14.47

Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Ich habe dieses Thema schon in der Aktuellen Europastunde angeschnit­ten und meine, es ist wirklich von höchster Wichtigkeit – aus meiner Sicht geht es heute bei den vielen Tagesordnungspunkten etwas unter. Das ist ein Thema, bei dem pro­gres­sive Parteien, AktivistInnen und so weiter 20, 30 Jahre darum gekämpft haben, Be­schlüsse wie diese durchzukriegen. Und das, was da jetzt über den Europäischen Gerichtshof gemacht wird, nämlich flächendeckend, quer durch die Europäische Union, ist tatsächlich aus sozialpolitischer Sicht, umweltpolitischer Sicht, arbeitsrechtlicher Sicht ein Meilenstein.

Um kurz zu erklären, wie sich das entwickelt hat – ich finde, man muss sich das einmal anschauen, um es zu verstehen –: Das erste dieser Abkommen, von denen es ja welt­weit Hunderte gibt, wurde in den Fünfzigerjahren zwischen Pakistan und Deutschland abgeschlossen, weil deutsche Firmen Angst hatten, wenn sie nach Pakistan gehen und dort eine Fabrik bauen, dass fünf Jahre später ein Gesetz kommt, das ihnen vielleicht höhere Löhne vorschreibt oder durch das sie höhere Sozialstandards oder höhere Umweltstandards einhalten müssen, und dann steht die Fabrik schon dort und sie können nicht mehr weg. Also wurde der Vertrag abgeschlossen, dass dann, wenn so etwas passiert, Pakistan die deutschen Firmen bezahlt und diese Mehrkosten über­nimmt. – Natürlich gnädigerweise gegenseitig, wenn eine pakistanische Firma nach Deutschland geht, passiert das auch: Wenn Deutschland seine Standards hebt, werden die Pakistanis entschädigt; man kann sich ausrechnen, wie oft das passiert ist.

Die dahinter stehende Grundidee ist: Das soll ein Schutz davor sein, dass man vielleicht in ein Land geht, in dem die Rechtsstaatlichkeit nicht gegeben ist, und dann ein korruptes Regime kommt und das Gesetz genau so macht, dass es Kosten für einen verursacht. Man muss auch einmal benennen, was da geschützt wird: Ein Unternehmen wird vor Gesetzgebung geschützt – vor Gesetzgebung! –, vor höheren Sozialstandards und Umweltstandards, deswegen heißt es Investitionsschutz.

Jetzt muss man wirklich sagen: Wenn die Angst besteht, dass man in einem Land inves­tiert, in dem einen, wenn man dort eine Fabrik gebaut hat, eine korrupte Regierung erpresst und sagt: Gib uns Geld oder wir heben dir die Sozial- oder Umweltstandards an!, dann sollte man vielleicht in solch einem Land nicht investieren, statt sich einen Investitionsschutz geben zu lassen. Ich finde, das wäre eigentlich die richtige Politik. (Beifall bei den Grünen.)

Wir schaffen mit solchen Verträgen Inseln für Konzerne, die in Länder mit niedrigen Standards gehen und dort bleiben können. Und machen wir uns nichts vor: Es ist dann wesentlich attraktiver, dort hinzugehen, als in Europa zu investieren und in Europa eine Fabrik zu bauen. Da brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, dass wir in den letzten Jahrzehnten eine solche Abwanderung von Industrie gehabt haben.

Nun ist es so, dass dieses eine Abkommen, das ich geschildert habe, zum Beginn einer großartigen Geschichte für Großkonzerne wurde. Über die Jahrzehnte wurden dann weltweit Hunderte solcher Abkommen geschaffen, und nachdem 1989 in Osteuropa quasi die Märkte aufgingen, hat man ganz Osteuropa mit solchen Investitionsschutz­abkommen mit westeuropäischen Ländern überzogen.

Jetzt muss man eines sagen: Wenn die in der Europäischen Union sind und wir so einen Vertrag machen und sagen: Na ja, ihr seid vielleicht ein rechtsstaatlich ein bisschen korruptes Regime, deswegen brauchen wir ein Investitionsschutzabkommen!, dann ist das vielleicht innerhalb der Europäischen Union nicht die richtige Message.

Es ist vollkommen richtig, dass wir uns gegenseitig bestätigen: Alle Staaten in der Euro­päischen Union sollten Rechtsstaaten sein und eine vernünftige Gesetzgebung haben. (Beifall bei den Grünen.) Es sollten keine Investitionsschutzabkommen nötig sein, durch die wir die Firmen in der Union vor der Gesetzgebung in der Union in Schutz nehmen. Dafür ist die Gesetzgebung da.

Wenn wir das in der Europäischen Union jetzt komplett aufheben, alle kreuz und quer laufenden Abkommen zwischen allen Mitgliedstaaten, dann ist das richtig, und dann sollten wir als nächste Stufe darüber diskutieren, wie wir es international machen.

Wir sollten uns dafür einsetzen, dass Rechtsstaatlichkeit, demokratische Gesetzgebung, hohe Sozial-, Umwelt- und Arbeitsrechtsstandards weltweit verbreitet werden und nicht unsere Konzerne für den Fall in Schutz nehmen, dass in dem Land, in dem sie inves­tieren, die Standards steigen. – Danke. (Beifall bei den Grünen.)

14.52

Präsidentin Doris Bures: Nun hat sich Frau Bundesministerin Schramböck zu Wort gemeldet. – Bitte.