4085/J XXVI. GP
Eingelangt am 01.08.2019
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Dr. Alfred J. NolI, Kolleginnen und Kollegen,
an den Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres,
betreffend die Vollziehung des Fremdenpolizeigesetzes und des „Visakodex“ in Zusammenhang mit „ elektronischen Verpflichtungserklärungen“ .
Für Familienangehörige aus Drittstaaten (außerhalb der EU) ist meistens ein Visum gemäß des „Visakodex“ (Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft idF Verordnung (EU) 2019/1155) erforderlich. Dafür ist bei Einladungen durch Inländer das Verfahren mittels sogenannter „elektronischer Verpflichtungserklärung“ (EVE) erdacht worden.
Für diese Prozedur muss der Angehörige in Österreich einen Termin bei seiner zuständigen Polizeidirektion (Wien: Kommissariat) vereinbaren und eine Vielzahl an Unterlagen beibringen: Identitätsausweis, Meldezettel, Geeignete Einkommensnachweise (z.B. Lohn- und Gehaltszettel, Einkommensteuerbescheid, Einkommensteuererklärung, aktuelle Gewinn-und Verlustrechnung), Mietvertrag oder vergleichbares Dokument bzw Grundbuchsauszug, bei Vorliegen Nachweise über bestehende Sorgepflichten, Nachweise über Kredite, eventuell Selbstauskunft des Kreditschutz-Verbandes oder Ähnliches, Unterlagen betreffend die Beziehung zur Visumwerberin/zum Visumwerber.
In manchen Wiener Bezirken
(zB 21. Bezirk) beträgt die Wartefrist für einen Termin häufig
mehrere Monate, sodass eine kurzfristige Einladung selbst von
Familienangehörigen gar nicht möglich ist. Die Prozedur ist insgesamt
entwürdigend und in Anbetracht der beizubringenden Dokumente eine
Zumutung. Diese Vorgangsweise entspricht nicht der Vorstellung vom Schutz des
Familienlebens, wie es in Art 8 EMRK und Art 7 GRC beschrieben und in der
Judikatur des EGMR und des VfGH konkretisiert wurde. Zum Schutzbereich dieser
Arti- kel gehört auch die Familie im weiteren Sinne, also auch Tanten und
Neffen etc.[1] Auch
Ausländern steht das aus Art 8 EMRK und Art 7 GRC abzleitende Recht
zu, gemeinschaftlich mit ihren Familienangehörigen zu leben[2],
worunter auch ein Besuch bei der an einem anderem Ort lebenden Teil der Familie
zu subsumieren ist.
Häufig werden Visa-Anträge von ausländischen Familienangehörigen trotz EVE abgelehnt, da nach Meinung der Behörde das Einkommen des EVE-Verpflichteten zu gering ist. Die Höhe des Einkommens kann aber kein Kriterium für das Grundrecht auf den Schutz des Familienlebens sein, welches auch eine Gewährleistungspflicht des Staates einschließt. Zwar steht dem Visum-Werber gem. § 11 FPG die Beschwerden gegen den ablehnenden Bescheide der österreichischen Vertretungsbehörde offen, dem inländischen Antragsteller gemäß dem EVE-Procedere steht jedoch kein Mittel des Rechtsschutzes zur Verfügung.
Die beschriebene Prozedur und der Visakodex werfen in Zusammenhang mit den zititerten Grundrechten etliche Fragen auf, daher ergeht an den Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres folgende
1) Wurden die Bestimmungen des Visakodex, welche die Details der polizeilichen Ermittlungen beim Einladenden vorschreiben, jemals einer Beurteilung im Lichte der Art. 8 EMRK und Art 7 GRC unterworfen?
3) Warum wird ein Verfahren angewandt, das offensichtlich das Grundrecht auf Schutz des Familienlebens verletzt, insbesondere durch eine Verknüpfung der Einkommensverhältnisse mit einem zum Wesenskern des Grundrechtes gehörigen Anspruch?
4) Falls nicht (Frage 1), beabsichtigen Sie, die Bestimmungen des Visakodex wie zuletzt gefragt untersuchen zu lassen, und allenfalls auf eine entsprechende Modifikation des Verfahrens und der EU-Verordnung „Visakodex“ hinzuwirken?
7) Werden Sie Schritte unternehmen, um das EVE-Verfahren insgesamt zu vereinfachen?
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[1] Baumgartner, Institutsgarantien und institutionelle Garantien, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayr (Hg), Handbuch der Grundrechte (HGR), Bd VII/12 (2014), C.F. Müller, Manz, § 7, RN 49.
[2] Ennöckl, Der Status der Ausländer, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayr (Hg), Handbuch der Grundrechte (HGR), Bd VII/12 (2014), C.F. Müller, Manz, § 5, RN 43 u 44, vgl auch RN 18.