4801/AB XXIII. GP

Eingelangt am 11.09.2008
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BM für Wirtschaft und Arbeit

Anfragebeantwortung

 

Präsidentin des Nationalrates

Mag. Barbara PRAMMER

 

Parlament

1017 Wien

 

 

                                                                                            Wien, am 9. September 2008

 

                                                                                                                           Geschäftszahl:

                                                                                            BMWA-10.101/0184-IK/1a/2008

 

 

In Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage Nr. 4857/J betreffend "Maßnahmen für faire Praktika“, welche die Abgeordneten Mag. Birgit Schatz, Kolleginnen und Kollegen am 15. Juli 2008 an mich richteten, stelle ich eingangs fest:

 

Im österreichischen Arbeitsrecht müssen bei "Praktikant/inn/en" mehrere Personengruppen unterschieden werden, deren rechtliche, aber auch berufliche Situation   unterschiedlich ist.

 

Zu unterscheiden sind:

·        Pflichtpraktikant/inn/en;

·        Ferialarbeitnehmer/innen;

·        Volontär/inn/e/n;

·        Personen, die zwar als Praktikant/inn/en beschäftigt werden, die aber Tätigkeiten in der Art und Weise erbringen, dass in Wahrheit ein Arbeitsverhältnis vorliegt.

 

Zu klären ist daher für den Einzelfall zunächst, ob das jeweilige Vertragsverhältnis als "echtes" Pflichtpraktikum, als Ferialarbeitsverhältnis oder als Volontariat zu qualifizieren ist.

 

Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung sind Pflichtpraktikant/inn/en Personen, deren Aufenthalt in einem Betrieb dem Erwerb von praktischen Kenntnissen und Fertigkeiten entsprechend den jeweiligen (zumeist schulrechtlichen oder universitären) Ausbildungsvorschriften dient. Allgemein soll das Pflichtpraktikum der Ergänzung und Vervollkommnung der in einer theoretischen, meist schulischen oder universitären Ausbildung erworbenen Fertigkeiten und Kenntnisse dienen, aber auch dazu beitragen, dass Schüler/innen oder Student/inn/en schon im Rahmen ihrer   theoretischen Ausbildung die Berufswirklichkeit kennen lernen. Im Vordergrund der Tätigkeit als Pflichtpraktikant/in steht jedenfalls der Lern- bzw. Ausbildungszweck. Wird ein auf Grund der einschlägigen (schulrechtlichen oder universitären) Aus-bildungsvorschriften vorgeschriebenes Pflichtpraktikum unter Zugrundelegung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze in einem Verhältnis der persön-lichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit erbracht, liegt ungeachtet des Willens der Vertragsparteien oder der Bezeichnung des Vertrages ein Arbeitsverhältnis vor, auf das sämtliche für den jeweiligen Betrieb geltende arbeitsrechtlichen Normen einschließlich des jeweiligen Kollektivvertrages und der Betriebsvereinbarung zur Anwendung kommen.

 

Zudem richtet sich der Inhalt des Pflichtpraktikums nach den jeweiligen schulrecht-lichen oder universitären Ausbildungsvorschriften. Zwar gibt es für den Vertrag     zwischen Arbeitgeber/in und Praktikant/in keine speziellen Bestimmungen, doch  setzen die einschlägigen Ausbildungsvorschriften an das Pflichtpraktikum einen   entsprechenden Ausbildungsvertrag voraus. Weiters muss der/die Praktikant/in für eine bestimmte, in den jeweiligen Ausbildungsvorschriften festgelegte Zeit mit dem Lehr- bzw. Studienplan abgestimmte praktische Tätigkeiten verrichten. Dadurch wird sichergestellt, dass die theoretischen Fertigkeiten und Kenntnisse durch die betriebliche Tätigkeit ergänzt und vervollkommnet werden.

 

Daraus ergibt sich, dass ein Pflichtpraktikum grundsätzlich als Arbeitsverhältnis, das als Ausbildungsverhältnis gestaltet ist, absolviert werden kann. Für dieses Arbeitsverhältnis gelten alle einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften.

 

Ferialarbeitsverhältnisse ("Ferialjob") hingegen sind grundsätzlich als Arbeitsverhältnisse zu qualifizieren: Die Tätigkeit hat nichts mit einer verpflichtend vorgeschriebenen Ergänzung der schulischen Ausbildung zu tun. Die Beschäftigung ist grundsätzlich von keinem Ausbildungszweck bestimmt.

 

Ein "Ferialjob" kann aber auch aufgrund eines freien Dienstvertrags ausgeübt werden, der im Gegensatz zum Arbeitsvertrag steht und zur Arbeit ohne persönliche Abhängigkeit, weitgehend selbstständig und frei von Beschränkungen des persön-lichen Verhaltens, verpflichtet. Es handelt sich – wie beim Arbeitsvertrag – um ein Dauerschuldverhältnis. Vor allem die Möglichkeit, den Ablauf der Arbeit selbstständig zu regeln und jederzeit zu ändern, also das Fehlen der persönlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit, unterscheidet den freien Dienstvertrag vom echten  Arbeitsvertrag. Grundsätzlich kann jede Leistung, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses erbracht werden kann, auch Inhalt eines freien Dienstvertrages sein.

 

Volontäre sind Personen, die in einem Betrieb mit Erlaubnis der Betriebsinhaber  maschinelle oder sonstige Einrichtungen kennen lernen und sich gewisse praktische Kenntnisse und Fertigkeiten für eine anderweitige Beschäftigung aneignen dürfen. Im Vordergrund stehen die Erweiterung und Anwendung von Kenntnissen in der Praxis sowie der Erwerb von Fertigkeiten und nicht die Erbringung von Arbeits-leistungen für das Unternehmen.

 

Ein Volontariat ist ein Ausbildungsverhältnis, aber kein Arbeitsverhältnis. Es sind  daher die arbeitsvertragsrechtlichen Bestimmungen nicht anzuwenden.

 


Zu beachten ist jedenfalls, dass das Volontariat rechtlich und tatsächlich so zu ge­stalten ist, dass sich aus der gelebten Vertragspraxis keine persönliche Abhängig­keit, also vor allem keine Einbindung in die betriebliche Organisation, sowie insbesondere keine Arbeitspflicht ergeben, da andernfalls trotz Bezeichnung des Vertragsverhältnis­ses als Volontariat ein Arbeitsverhältnis vorliegt.

 

 

Antwort zu Punkt 1 der Anfrage:

 

Da es sich bei Praktika in vielen Fällen um Arbeitsverhältnisse handelt und somit ohnedies Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, erscheinen gesetzliche Sonderreglungen nicht zielführend. Gleiches gilt umgekehrt für echte Volontariate, die der Ausbildung und nicht der Erbringung von Arbeitsleistungen dienen und daher nicht vom Arbeitsrecht erfasst sind. Wichtig wird in Hinkunft vor allem eine weitere effektive Durchsetzung der bestehenden Regelungen sein, um die Umgehung von arbeitsrechtlichen Vorschriften so weit wie möglich zu unterbinden.

 

 

Antwort zu Punkt 2a der Anfrage:

 

Unter dem hier verwendeten Begriff "Scheinpraktika" sollen offenbar Praktikant/inn/en verstanden werden, die faktisch wie unselbstständig Beschäftigte arbeiten, jedoch nach der gewählten Vertragsform nicht als Arbeitnehmer/innen behandelt werden. Diese Vorgangsweise ist jedenfalls abzulehnen.

 

Nach der arbeitsrechtlichen Judikatur ist im konkreten Einzelfall anhand der Vertragsgestaltung und der tatsächlich gelebten Vertragspraxis und den genannten Kriterien zu prüfen, welcher Vertragstyp tatsächlich vorliegt. So kann im Zuge eines Verfahrens das zuständige Arbeits- und Sozialgericht zum Schluss kommen, dass in Wahrheit kein Ausbildungsverhältnis vorliegt, sondern ein Arbeitsvertrag oder ein freier Dienstvertrag. Die Beurteilung hat anhand des wahren wirtschaftlichen Gehalts des Vertrags bzw. der gelebten Vertragspraxis zu erfolgen.

 

Antwort zu Punkt 2b der Anfrage:

 

Hier darf auf die einschlägigen Regelungen im ASVG verwiesen werden, die in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Soziales und Konsumentenschutz bzw. des Bundesministeriums für Gesundheit, Familie und Jugend fallen.

 

Praktikant/inn/en, die ihre Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis ausüben, unterliegen der Pflichtversicherung nach dem ASVG. Volontär/inn/e/n sind in der Unfallversicherung pflichtversichert. Pflichtpraktikant/inn/en, die in einem unentgeltlichen Ausbildungsverhältnis stehen, sind seit 1.9.2005 nach dem ASVG unfallversichert.

 

 

Antwort zu Punkt 2c der Anfrage:

 

Sofern kein schriftlicher Arbeitsvertrag vorliegt, ist dem/der (befristet beschäftigten) Praktikanten/in wie jedem/jeder anderen Arbeitnehmer/in unverzüglich nach dem Beginn des Arbeitsverhältnisses eine schriftliche Aufzeichnung über die wesentlichen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag (Dienstzettel) auszuhändigen (§ 2 AVRAG). Auch freien Dienstnehmer/inne/n ist ein solcher Dienstzettel auszuhän-digen, sofern kein schriftlicher freier Dienstvertrag vorliegt (§ 1164a ABGB).

 

 

Antwort zu Punkt 2d der Anfrage:

 

Liegt tatsächlich ein Arbeitverhältnis vor, so hat der/die Arbeitnehmer/in Anspruch auf Entgelt, das gerichtlich eingeklagt werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass einige Kollektivverträge Regelungen zur Entlohnung von Ferialpraktikant/inn/en vorsehen.

 

 


Antwort zu Punkt 3 der Anfrage:

 

Die Sozialpartner können jederzeit entsprechende Regelungen in Kollektivverträgen vorsehen. Zu bedenken ist allerdings, dass der Kollektivvertrag ganz grundsätzlich für Arbeitsverhältnisse gilt. Ist nun aber ein Praktikantenverhältnis als Arbeitsverhältnis zu werten, gelten ohnedies die kollektivvertraglichen Regelungen für dieses Vertragsverhältnis, unabhängig davon, wie das Vertragsverhältnis bezeichnet wird. Spezifische Regelungen für "Praktikanten-Arbeitsverhältnisse" könnten im Grunde sogar für die rechtliche Situation dieser Personen kontraproduktiv sein, da sie als Sonderregelungen den Praktikantenstatus "einzementieren" würden. Ziel führend erscheint damit, im Einzelfall zu prüfen, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt oder nicht. Liegt ein solches vor, sind die arbeitsrechtlichen - gesetzlichen und kollektivvertraglichen - Regelungen anzuwenden.

 

 

Antwort zu Punkt 4 der Anfrage:

 

Grundsätzlich ja. Soweit es sich bei den Praktika nicht um Arbeitsverträge, sondern um andere Vertragsformen handelt (wie z.B. freier Dienstvertrag, Werkvertrag als Neue/r Selbstständige/r), kann die Wahl dieses Vertragstypus durchaus im Interesse des/der so Beschäftigten gelegen sein. Für solche Formen der Beschäftigung können sich die Möglichkeiten des Erfahrungsgewinns, des Einstiegs in den Arbeitsmarkt und auch einer vom/von der Beschäftigten sogar gewünschten mangelnden Bindung (Ausprobieren einer Beschäftigung, während man sich gleichzeitig noch nach anderen Möglichkeiten umsieht) ergeben.

 

 

Antwort zu Punkt 5 der Anfrage:

 

Sowohl die Wochenstundenanzahl, als auch die zeitliche Begrenzung von "Pflichtpraktika" richten sich in der Regel nach den Anforderungen der einschlägigen Ausbildungsvorschriften. Nur so kann garantiert werden, dass der jeweilige Ausbildungszweck auch erreicht wird.

Es entspricht der Vertragsfreiheit, dass die Dauer von Ferialarbeitsverhältnissen von den Vertragsparteien im Einvernehmen festgelegt wird.

 

Wie bereits erwähnt, bestehen in einigen Kollektivverträgen Regelungen hinsichtlich der Entlohnung von Praktikant/inn/en. Es steht den Kollektivvertragspartnern frei, diese Regelungen flächendeckend vorzusehen.

 

 

Antwort zu Punkt 6 der Anfrage:

 

Es wird auf die Beantwortung der Anfrage Nr. 4855/J durch den Bundesminister für Wissenschaft und Forschung verwiesen.

 

 

Antwort zu den Punkten 7 und 9 der Anfrage:

 

Im Jahr 2005 absolvierten sechs Personen ein Verwaltungspraktikum gem. § 36a VBG mit einer durchschnittlichen Dauer von rund 45 Wochen, neun Personen ein Volontariat mit einer durchschnittlichen Dauer von rund sechs Wochen. Vier Verwaltungspraktikant/inn/en wurden in ein Dienstverhältnis übernommen. Im Jahr 2006 absolvierten drei Personen ein Volontariat mit einer durchschnittlichen Dauer von rund sechs Wochen. Im Jahr 2007 absolvierten acht Personen ein Volontariat mit einer durchschnittlichen Dauer von rund vier Wochen. Verwaltungspraktikant/inn/en wurden gem. § 36b VBG entlohnt. Die Anzahl an Praktikant/inn/en resultiert aus den zur Verfügung stehenden Betreuungsplätzen und Ausbildungsmöglichkeiten in Verbindung mit der jeweils gegebenen Anzahl an Interessent/inn/en.

 

 

Antwort zu Punkt 8 der Anfrage:

 

Von anderen Stellen auferlegte Pflichten, ein Praktikum zu absolvieren, wurden nicht eigens erhoben. Elf der in der Antwort zu Punkt 7 der Anfrage genannten Personen verfügten über einen Universitätsabschluss. Wiederholte Praktika kamen nicht vor.

Antwort zu Punkt 10 der Anfrage:

 

Die Motivation des Ressorts besteht in der Einräumung der Möglichkeit, Interessent/inn/en einen Einblick in das gewünschte Fachgebiet und in die Organisationsstruktur der Verwaltung im Allgemeinen zu gewähren.

 

 

Antwort zu Punkt 11 der Anfrage:

 

Das Vorhaben der Europäischen Kommission einer Initiative für eine europäische Qualitätscharta für Praktika wird grundsätzlich positiv bewertet. Da der konkrete Inhalt - soweit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit bekannt - derzeit noch nicht feststeht, bleibt vorerst der Kommissionsvorschlag abzuwarten.

 

 

Antwort zu Punkt 12 der Anfrage:

 

Praktika, die den arbeitsrechtlichen Standards bzw. den für sie geltenden Regelungen entsprechen, sind zu begrüßen. Es ist wesentlich, frühzeitig Kontakte zwischen Bildungseinrichtungen und Arbeitsmarkt herzustellen und die jungen Menschen mit der Arbeitswelt vertraut zu machen. Praktika, sofern sie mit dem Ausbildungs- oder Studienplan verknüpft sind, sind ein wichtiges Instrument in dieser Hinsicht. Andererseits muss verhindert werden, dass reguläre Stellen mit inadäquat bezahlten jungen Menschen unter dem Titel eines "Praktikums" besetzt werden. Im Übrigen wird auf die Einleitung sowie die Beantwortung der Punkte 1 bis 5 der Anfrage verwiesen.