12.30
Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! – Frau Ministerin, schade dass wir beide jetzt nicht beim Familienpolitischen Beirat sein können, der leider zeitgleich mit dem Bundesrat angesetzt wurde, weil auch dort heute sehr spannende und wichtige Dinge wie beispielsweise die Auswirkung der Teuerung auf Familien und viele andere Dinge, die Familien in diesem Land bewegen, zu besprechen gewesen wären! Wenn aber zwei solche Termine zum selben Zeitpunkt angesetzt werden, kann man natürlich nicht bei beiden Terminen gleichzeitig sein.
Was ich hier in Händen halte, ist etwas ganz Besonderes: Es ist die erste Ausgabe der „Wiener Zeitung“ nach dem Zweiten Weltkrieg (ein Exemplar der „Wiener Zeitung“ in die Höhe haltend), nach der Zeit des Nationalsozialismus, als der Mensch seine grauenhafteste Seite gezeigt hat. Man muss sich das in diesem Jahr 1945 vorstellen: Wien, weite Teile Österreichs liegen in Schutt und Asche. Es herrscht große Not unter der Bevölkerung. Die Alliierten haben Österreich in vier Teile aufgeteilt. Nach vielen, vielen Jahren ist endlich wieder freier Journalismus möglich – ohne Zensur, ohne Angst um sein Leben, wenn man zu seiner Meinung steht und seine Meinung vertritt.
Der eigenen Geschichte zu Zeiten des Nationalsozialismus und auch schon davor, ab 1934, hat sich die „Wiener Zeitung“ sehr wohl gestellt, hat dazu recherchiert und sie in einer eigenen Broschüre aufgearbeitet. Was aber muss das für ein Gefühl gewesen sein, endlich wieder frei schreiben zu können?! Und so kommt es – mein Vorredner hat es bereits gesagt – am 21. September 1945 zu dieser ersten Ausgabe der „Wiener Zeitung“: ein Symbol, ein Zeichen dafür, dass Österreich seine Freiheit wieder zurückbekommen hat. Auf der Titelseite – hier in der Mitte sieht man es (das Exemplar der „Wiener Zeitung“ erneut in die Höhe haltend) – stand: „Zur Wiederkunft der ‚Wiener Zeitung‘“.
Kein Geringerer als Dr. Karl Renner hat damals folgenden Absatz geschrieben, den ich gerne vorlesen möchte: „Wien und Österreich haben ihre lange und bedeutende Geschichte, aber sie haben zumeist auf sie stolz zu sein verlernt. Gewaltige Erschütterungen haben schmerzliche Unterbrechungen dieser Geschichte verursacht. Wir haben eben jüngst eine solche erlebt und sind geneigt, unser politisches Dasein von gestern zu zählen. Es ist gut, durch einzelne Tatsachen von Zeit zu Zeit erinnert zu werden, daß Wien und Österreich nicht von gestern sind.
Eine dieser Tatsachen ist: Die ‚Wiener Zeitung‘ erscheint wieder mit einer Nummer Eins – aber die erste Nummer dieses Blattes ist am 8. August 1703 erschienen, und die ‚Wiener Zeitung‘ findet nach verhältnismäßig kurzer Unterbrechung ihre Fortsetzung am heutigen Tage. Die lange Folge von nahezu einem Vierteltausend Jahren liegt vor – welche gewaltigen Peripetien staatlichen und menschlichen Geschehens umschließen diese Bände!
Mögen sich viele, viele Jahre friedlicher Arbeit der ‚Wiener Zeitung‘ an diese lange Reihe schließen, dereinst als unvergängliches Denkmal unserer heutigen und künftigen Mühen und Erfolge.“ (Beifall bei der SPÖ.)
Ein „unvergängliches Denkmal“ hat sie Dr. Karl Renner genannt, als das haben unsere Vorfahren sie bezeichnet. Sie haben quasi dieser Legende unter den Zeitungen – immerhin gibt es die „Wiener Zeitung“ seit 1703, und damit ist sie die älteste Tageszeitung der Welt – wieder ihren Platz in der Gesellschaft gegeben.
Es ist extrem spannend, in diese ersten Ausgaben hineinzuschauen und zu sehen, womit sich die Gesellschaft, die Bevölkerung damals befassen musste oder befasst hat. Daran – beispielsweise an dieser Auflistung, an diesem historischen Schatz (das Exemplar der „Wiener Zeitung“ erneut in die Höhe haltend) – wird auch deutlich, dass die „Wiener Zeitung“ mit ihrem reichhaltigen Archiv zu Recht zum Unesco-Dokumentenerbe gehört.
Ich möchte ein paar Dinge herausgreifen, was es an diesem 21. September 1945 zu berichten gab. Es geht beispielsweise darum, die Kriegsverbrecherprozesse einzuleiten. Da steht: „Über Antrag des Staatssekretärs für Justiz hat der Kabinettsrat die Einsetzung von zwei unter der Leitung der Staatssekretäre für Justiz und für Inneres stehenden Kommissionen zur Vorbereitung der Kriegsverbrecherprozesse beschlossen.“ – 1945 ganz aktuell, sozusagen der Start, mit der Geschichte aufzuräumen.
Es steht aber auch drinnen: „Eine frohe Botschaft“ – so wird das tituliert, und es wird über einen ganz frischen „Kompensationsvertrag“ zwischen der Tschechoslowakei – so hieß es damals – und Österreich berichtet, durch den Rohöl aus Österreich gegen sogenannten „Hüttenkoks“ getauscht wurde; das ist keine Droge, sondern ein Heizmittel. Da wird beschrieben: „Es ist anzunehmen, daß es den Wiener Gaswerken durch diese Kokslieferungen möglich sein wird, das gesamte Gebiet der Stadt Wien in gedrosseltem Ausmaß täglich in einer beschränkten Anzahl von Stunden mit Gas zu versorgen. Falls nicht Transportschwierigkeiten die regelmäßige Anfuhr unmöglich machen, erscheint durch diesen Vertragsabschluß eine beschränkte Versorgung [...] mit Gas für Kochzwecke ab Mitte Oktober durch mehrere Monate hindurch [...] gesichert.“ – Es ging also um die Existenz, es ging darum, tage-, stundenweise kochen zu können. Solche Dinge waren damals an der Tagesordnung.
Für uns als Länderkammer aber beispielsweise auch sehr spannend: „Der Alliierte Rat billigte den von Doktor Renner unterbreiteten Vorschlag bezüglich der Einberufung einer Länderkonferenz auf den 24. September und erklärte sich damit einverstanden, daß alle okkupierenden Mächte den Delegierten bei der Fahrt nach Wien Unterstützung erweisen.“ – Die Länderkonferenz wurde also wieder einberufen und es wurde garantiert, dass die Ländervertreter sicher nach Wien kommen können. Was für ein bedeutender Tag auch für unseren Föderalismus!
Es wurde aber unter anderem auch ganz klar das Tragen deutscher Uniformen für frühere Wehrmachtsangehörige, aber auch für die Zivilbevölkerung verboten – auch da klare Anordnungen, wie denn nun mit dieser Geschichte und in Zukunft damit umgegangen wird. Ich möchte also schwer empfehlen, solche Ausgaben mit solch historischer Bedeutung zu lesen. Sie schildern sehr eindrücklich die damaligen Zustände. Es ist eine große Leseempfehlung. (Zwischenruf des Bundesrates Spanring.)
Was finden wir heute vor? – Wir leben in einer Zeit ungeheurer, nie da gewesener Informationsflut. Noch nie gab es so viele unterschiedliche Kommunikations- und Informationskanäle, und es wird zunehmend schwieriger, seriöse Informationsquellen oder Informationen herauszukristallisieren und zu erhalten. Seriöser, qualitätsvoller Journalismus, professionelle Recherche, auch Gegenrecherche und Analyse bekommen heute eine zunehmend wichtige Bedeutung.
Ich verweise auch auf die gerade eben erschienene Ausgabe der Zeitung der Demokratiewerkstatt (ein Exemplar der „Demokratiewerkstatt Aktuell“ in die Höhe haltend), in der sich junge Menschen mit dem Thema Fakenews beschäftigen: Wie lese ich Medien? Wie erkenne ich Fakenews? Wie erkenne ich seriöse Berichterstattung? (Zwischenruf des Bundesrates Kornhäusl.) – Ein großes Thema für junge Menschen in unserem Land; es ist schwer, sich Orientierung zu verschaffen und die richtige Information herauszufinden. (Beifall bei der SPÖ.)
Exakt in einer solch schwierigen, sehr sensiblen Phase unserer Gesellschaft plant die Regierung, genau das aufzugeben. Wie kurzsichtig ist das und wie leichtfertig wird da ein kulturelles, ein historisches, ein medienkulturelles Erbe aufgegeben?!
Wir als sozialdemokratische Fraktion bedauern das zutiefst, wir halten es für einen großen historischen Fehler und wir werden diesen Schritt bestimmt nicht mitgehen. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)
12.39
Vizepräsidentin Doris Hahn, MEd MA: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat David Egger-Kranzinger. – Bitte, Herr Bundesrat.