10.23

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Frau Bundesministerin! Werte Bundesrätinnen und Bundesräte! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Heute ist ein dunkler Tag in der Geschichte des Bundesrates. Heute wird mit den Stimmen der Regierungsfraktionen – der Grünen und der ÖVP – die „Wiener Zeitung“, die älteste Zeitung der Welt (ein Exemplar der „Wiener Zeitung“ mit der Überschrift „1703 2023“ auf der Titelseite in die Höhe haltend), zu Grabe getragen.

Qualitätsjournalismus und die Förderung objektiver Berichterstattung sind in unserer Zeit so wichtig wie noch nie. Das betonen alle. Landauf, landab wird es betont, und völlig zu Recht: Wir müssen das Erstarken von Fakenews hintanhalten. Es gibt den Ruf nach dringend nötiger klarer und faktenbasierter Berichterstattung in den Medien.

Das haben wir auch von Nationalratspräsident Sobotka im Rahmen der Gedenkveranstaltung letzte Woche gehört. Sie aber, werte Bundesrät:innen der ÖVP und der Grünen, würde ich ersuchen, zukünftig nicht zu laut in diese Forderung einzustimmen, denn Sie machen das Gegenteil: Sie tragen mit Ihrer heutigen Entscheidung, dafür zu stimmen, die „Wiener Zeitung“ ein­zustellen, einen wesentlichen Teil des österreichischen Qualitätsjournalismus zu Grabe (Beifall bei der SPÖ); und Sie tun es ganz bewusst – ganz bewusst!

Diese Zeitung ist nicht nur ein wichtiger Teil des Qualitätsjournalismus, sondern sie ist auch ein wichtiger Teil der Kulturgeschichte unseres Landes. 320 Jahre ist die „Wiener Zeitung“ alt, sie wurde über die Jahrhunderte erhalten, und heute geben Sie ihr den Todesstoß.

Was uns wirklich unrund laufen lässt, ist, dass die ÖVP ein sehr eigenartiges Verhältnis zu Zeitungen, zu Inseraten hat. Wir haben das ja in den Chat­protokollen nachverfolgen können. Es entsteht eher das Gefühl, die ÖVP sieht Zeitung als eine Art Bestellladen für gefällige Berichterstattung (Ruf bei der SPÖ: So ist es!), und das ist es nicht, was wir uns wünschen. Wir wollen einen unabhängigen Journalismus. (Beifall bei der SPÖ.)

Warum die Grünen so derartig aktiv mit dabei sind, das Ende der „Wiener Zeitung“ herbeizureden, herbeizuschwören, herbeizustimmen, ist mir ein beson­deres Rätsel. Ich muss sagen, die Rede von Nationalratsabgeordneter Blim­linger in der letzten Sitzung des Nationalrates, in der sie das Ende dieser „Wiener Zeitung“ verteidigt hat (Bundesrat Kornhäusl: Die war super!), war absolut letztklassig. Sie musste sich dann dafür entschuldigen, Herr Fraktionsvorsitzen­der Kornhäusl. Die war nicht super, die war letztklassig. (Bundesrätin Grimling: Super letztklassig!) Ich verstehe nicht, warum das sein muss. Wir brau­chen Qualitätsjournalismus. Es gibt keinen Grund dafür, dass wir diese Zeitung jetzt einstellen.

Die Regierung trifft viele Fehlentscheidungen, und das Ende der Zeitung ist eine davon. Die Fehlentscheidungen, die Sie jetzt bei der Inflationsbekämpfung treffen und die nicht greifen, sind die allerschlimmsten, weil es solche sind, die den Menschen ihr Leben schwerer und schwerer machen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Inflation beträgt 9,8 Prozent – das ist unglaublich hoch –, und Sie machen einen Lebensmittelgipfel, der – auf Wienerisch gesagt – zum Krenreiben war; da ist nichts dabei herausgekommen – einer der vielen Gipfel in der Reihe der Gipfel, bei denen nichts herauskommt.

Die Menschen wollen aber, dass etwas herauskommt! Die wollen, dass die Preise runtergehen, die wollen, dass sie entlastet werden, dass ihre Mieten nicht noch einmal mehr steigen. Das wollen sie, und Sie handeln nicht, und dann wird der Druck zu groß, das ist klar, und dann kommt eine Pressekonferenz, bei der einige Maßnahmen vorgestellt werden – dünne Maßnahmen, weiche Maß­nahmen, keine, die wirklich eingreifen werden, und keine, die für die Bevölkerung, die das so dringend braucht, schnell die Preise senken werden.

20 Prozent aller Kinder in diesem Land, Frau Bundesministerin, sind armuts­gefährdet – das ist unerträglich! –, und Sie machen kleine Maßnahmen, obwohl Dinge notwendig wären, die viel stärker wirken.

Es braucht eine Mietpreisbremse, es braucht dringend eine Deckelung der Mehrwertsteuer bei den lebensnotwendigen Produkten und es braucht eine Preiskommission, nicht ein bisserl Transparenz, sondern wirklich eine Preis­kontrolle, damit der Gierflation Einhalt geboten wird – und Sie handeln nicht!

Ich sage es ganz klar: Der Markt hat in der Finanzkrise nach dem Staat und der staatlichen Unterstützung gerufen, und es wurde die staatliche Unterstüt­zung gegeben. In der Coronazeit hat der Markt gerufen: Wir brauchen jetzt die staatliche Unterstützung!, und es wurde die staatliche Unterstützung gege­ben. Jetzt ist es wieder so: Wieder wird nach dem Staat gerufen – der Markt, der sonst so unabhängig agiert –, und es sind wieder die Menschen, die Arbeit­nehmer:innen und Pensionist:innen, die das zahlen.

Ganz ehrlich: Was wird denn die Konsequenz daraus sein? – Die Konsequenz daraus wird sein: Sie als Regierung greifen nicht in den Markt ein, das heißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die Konsumentinnen und Konsu­menten zahlen es, und in der Folge wird es Sparpakete geben – darauf wird es hinauslaufen –, mit denen Sie dann den Sozialstaat schwächen. Ich kann Ihnen aber mit hundertprozentiger Sicherheit sagen: Da ist die Sozialdemokratie nicht dabei!

Wir schauen auf die Leute, und wir wollen, dass sie jetzt entlastet werden. (Beifall und Bravoruf bei der SPÖ.)

Warum spricht man gerade im Zusammenhang mit der „Wiener Zeitung“ von der Krise? – Weil Zeiten der Krise, Zeiten, in denen Menschen Sorgen haben, in denen sie Ängste haben, in denen sie nicht mehr wissen, wie sie ihren Alltag finanziell bestreiten sollen, natürlich Zeiten sind, in denen Fakenews, fal­sche Berichterstattung und Verschwörungstheorien ihren Boden finden. Das wissen wir doch schon aus der Geschichte. Da müsste man doch Einhalt gebieten. Was aber machen Sie? – Nein, Sie sagen: Die „Wiener Zeitung“ verab­schieden wir jetzt, die brauchen wir nicht mehr! – Das ist gerade jetzt die fal­scheste aller Entscheidungen. (Bundesrätin Gerdenitsch: Wie so viele!)

Wir schauen hier auf die erste Ausgabe der „Wiener Zeitung“ (ein Schriftstück in die Höhe haltend); das ist ein Faksimile der Ausgabe vom Jahre 1703, die am 8.8.1703 erschienen ist:

„Wiennerisches Diarium, Enthaltend Alles Denckwürdige / so von Tag zu Tag so wohl in dieser Käyserlichen Residentz-Stadt Wienn selbsten sich zugetragen / als auch von andern Orthen auß der gantzen Welt, allda nachrichtlich eingeloffen / Mir diesem besondern Anhang / Daß auch alle die jenige Persohnen /welche wochentlich allhier gestorben / hingegen was von Vornehmen gebohren / dann copuliret worden / ferner anhero und von dannen verreiset / darinnen befindlich.“

Das ist sie, die erste Ausgabe der „Wiener Zeitung“ von 1703. 1703: Regentschaft Karl VI., Vater von Maria Theresia – da war noch nicht einmal die Pragmatische Sanktion in Kraft, die dann in Kraft gesetzt wurde, um die weibliche Erbfolge zu ermöglichen –, die Zeit von Prinz Eugen. Ganz ehrlich: Das war die erste Ausgabe, das war der Beginn des Journalismus in Österreich – noch ein abhängiger, natürlich ein zensurierter, darüber brauchen wir nicht zu re­den, aber es war der Beginn. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn man in dieses illustre Blatt hineinblättert, dann liest man auch noch auf der Seite 3: „Alldieweilen sich die grosse Armée unter Ihro Durchleucht dem Printz Louis zu Baaden fast täglich vermehret / als hat man von hier auß grosse Geld-Summen durch den General Schallenberg dahin abgeschi­cket.“ (Heiterkeit bei der SPÖ. – Vizepräsident Himmer übernimmt den Vorsitz.)

Schau einer an, der Herr Minister – es muss sich um Verwandtschaft handeln, eindeutig –, der gerade noch hier gesessen ist. Seine Verwandtschaft wird bereits 1703 in der „Wiener Zeitung“ erwähnt. Na, es wäre doch eine tolle Geschichte, wenn wir diese Zeitung erhalten würden. Nein, Sie wollen sie nicht erhalten: Was ist schon ein historischer Wert? Wir, als ÖVP vor allen Din­gen, sind für Tradition, aber wir sind es nur dort, wo wir es wollen, bei der „Wiener Zeitung“ wollen wir es nicht mehr. – Das kann doch nicht der Weg sein. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Buchmann: Wir sind für Innovation!)

Der „Wiener Zeitung“ wurde keine Chance gegeben, sich neu aufzustellen; das wollte man nicht. Die Anzahl der Leserinnen und Leser als Argument anzu­führen ist unanständig, wirklich, denn die Zeitung durfte ja keine Inserate und Anzeigen keilen. Die Zeitung war nicht von der Presseförderung erfasst und die Onlineleserinnen und -leser wurden nicht berücksichtigt.

Natürlich ist das Amtsblatt der „Wiener Zeitung“ nicht mehr zeitgemäß, auch das wissen wir, das ist ja keine Frage. Sie wechseln jetzt zu einem Schwarzen Onlinebrett. Wir hoffen, dass die verpflichtenden Kundmachungen und Verlaut­barungen in Zukunft noch allen zugänglich sein werden und von allen gele­sen werden können. Das ist eine wichtige Frage. Und ganz ehrlich: Sie haben al­len alternativen Finanzierungsvorschlägen eine Absage erteilt. Es musste das Ende der „Wiener Zeitung“ sein, das wollten ÖVP und Grüne so.

Zu den neu aufgestellten Themen innerhalb der „Wiener Zeitung“, zur Content Agentur: Wir haben da größte Bedenken, und die teilen wir übrigens auch mit Reportern ohne Grenzen, die heute noch eine sehr aktuelle Aussendung zum Ende der „Wiener Zeitung“ gemacht haben. Wir haben große Bedenken bezüglich der großen Nähe der Content Agentur zur Regierung. Das ist nicht gut für unabhängigen Journalismus.

Wir haben auch größte Bedenken, was die neu aufgestellte Journalist:innen­ausbildung angeht. Auch da denken wir: Warum muss das in der Nähe des Bundeskanzleramts angesiedelt sein? Vor allen Dingen werden für die allgemeine journalistische Ausbildung 1,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und für dieses Traineeprogramm 6 Millionen Euro. Das passt nicht, das ist nicht ausgeglichen, um den unabhängigen Journalismus zu stärken.

Wir sehen jetzt bei vielen Zeitungen einen Personalabbau. Da müsste man hinschauen. Ein Stärken der Zeitungen stünde jetzt zur Frage – nicht Journalistinnen und Journalisten abzubauen, sondern sie aufzubauen, um objektiven Journalismus zu ermöglichen.

Kaum war der Beschluss im Nationalrat gefallen, konnten wir schon hören: Der „Wiener Zeitung“ drohen „50 bis 60 Vertragsauflösungen sowie 20 bis 30 Änderungskündigungen“. – Der Geschäftsführer der „Wiener Zeitung“, Mar­tin Fleischhacker, wollte diese Zahlen zwar im APA-Interview nicht bestäti­gen, aber er sagte: „Wir führen Gespräche mit dem Betriebsrat, und wir müssen uns von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern trennen.“

Ich sage Ihnen – das haben wir aus dem Betriebsrat –: Die ersten Kündigungen werden am Freitag stattfinden. – So schaut es aus. Da können sich die Mit­arbeiterinnen und Mitarbeiter ganz herzlich bei Ihnen bedanken.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden eine namentliche Ab­stimmung fordern. Dann wird klar, wer von Ihnen als Bundesrätin oder Bun­desrat dem Ende der „Wiener Zeitung“ seine Zustimmung gibt. (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)

Wir sehen großen Widerstand bei Journalist:innen, Künstler:innen und Wissenschaftler:innen. Es kommt noch der Kurt-Vorhofer-Preis – wir werden noch darüber sprechen –, und die Reporter ohne Grenzen haben – noch einmal – ihr Statement dazu abgegeben.

Sollten die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat halten, wird das ein dunkler Tag in der Geschichte der österreichischen Demokratie, ein dunkler Tag in der Geschichte des österreichischen Journalismus. (Bundesrat Kornhäusl: Der Menschheit!) Nein, das ist nicht lustig, Herr Bundesrat, es ist nicht lustig. Es ist wirklich ein dunkler Tag, weil Sie damit den Qualitätsjournalismus zu Gra­be tragen. (Bundesrat Kornhäusl: Das hat keiner ...!) Sie werden es zu ver­antworten haben, das ist auch ganz klar. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

10.36

Vizepräsident Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bun­desrat Matthias Zauner. – Bitte, Herr Kollege.