14.54

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Geschätzte Gäste, die Sie unsere Sitzung heute hier live oder auch zu Hause via Livestream mitverfolgen! Geschätzter Herr Minister! Ja, wie wir gerade vom Berichterstatter gehört haben: Es geht wie so oft, muss man sagen, um die unterschiedlichsten Materien; die unterschied­lichsten Gesetze sind von dieser Änderung betroffen. Es ist alles Mögliche und Unmögliche, möchte ich fast sagen, in einem Konvolut zusammengefasst.

Man muss dazusagen, das sind unterschiedliche Materien, die man auch entspre­chend unterschiedlich bewerten und beurteilen muss. Daher – das kann ich auch vorweg schon so sagen – können wir in Summe diesem Gesamtpaket unse­re Zustimmung nicht erteilen, auch wenn diese zu einzelnen Punkten für uns durchaus möglich gewesen wäre. Bei den Änderungen des häuslichen Unter­richts zum Beispiel hätten wir durchaus mitgehen können, aber leider ist eben für uns im Bundesrat eine getrennte Abstimmung in der Form nicht möglich.

Aus unserer Sicht muss man sagen: Ja, wo es nur möglich ist, ist natürlich dem Lernen in einer Bildungsinstitution, in einer Schule der Vorrang zu geben, ganz klar. Das aber nicht, weil wir es den Eltern womöglich nicht zutrau­en würden, fachlich, inhaltlich kompetent genug zu sein, um ihren Kindern das entsprechende Kompetenzvolumen mitzugeben, sondern weil das Lernen so viel mehr ist – und ich glaube, da sind wir uns einig – als dieses reine Fakten­wissen, Fachwissen, rein das Vermitteln von Fachkompetenzen. Da geht es auch ganz besonders um das Voneinanderlernen, um das Miteinander­lernen, nämlich um diese soziale Komponente von Lernen. (Beifall bei der SPÖ.)

Es geht unter Umständen auch um das Umgehenlernen mit verschiedenen Persönlichkeiten. Das muss auch erst gelernt werden, und das kann man eben nur miteinander. Und dafür, muss man auch sagen – und das sage ich jetzt natürlich als Lehrerin –, gibt es Lehrkräfte, die auch die entsprechende fachdi­daktische Expertise mitbringen, und diese ist mindestens genauso wichtig. Dazu aber nur in aller Kürze, meine Kollegin Daniela Gruber-Pruner wird diesen Bereich des Gesetzes dann noch näher ausführen.

Womit ich mich ganz konkret näher beschäftigt habe, no na net, weil es mich auch ganz persönlich in meiner Praxis betrifft, sind die Mika-D-Testungen. Für alle, die es nicht wissen: Es handelt sich dabei um das sogenannte Messins­trument zur Kompetenzanalyse – Deutsch. Das klingt sperrig, ist es aus meiner Sicht auch. Da gibt es Kritik seitens der Forschung, der Wissenschaft zur Sprachförderung, aber auch aus der Schulpraxis ganz konkret. Man muss wirklich ganz ehrlich sein – und ich hoffe, dessen sind Sie sich auch bewusst –: Das Urteil ist teils wirklich vernichtend und stellt diesem Konzept, also der Deutschförderklasse, den Mika-D-Tests, allem, was damit zusammenhängt – diese beiden Bereiche sind ja in Wahrheit untrennbar miteinander verbunden –, ein vernichtendes Urteil und alles andere als ein gutes Zeugnis aus.

Wie lernt man denn eine Sprache am allerbesten und am allerleichtesten? – Na natürlich in einem Umfeld, in dem diese Sprache auch tatsächlich gespro­chen wird! So logisch und so einfach wäre das in Wahrheit.

Was aber passiert in Österreich? – Da passiert in Wahrheit genau das Gegenteil, man trennt Kinder, man trennt Jugendliche, nämlich von ihrer Regelklasse, und setzt sie in eigene Deutschförderklassen, in denen aber niemand ist, der Deutsch als Erstsprache spricht. Man trennt die Kinder also nicht nur von der Sprache, die sie eigentlich lernen sollen, man trennt sie auch von der Möglichkeit, sich in eine Klassengemeinschaft einzufinden, dort hineinzuwach­sen. Und dazu kommt noch: Es geht ja auch darum, den Fächern Mathe­matik, Geometrie, Biologie und vielem anderen mehr – Sie kennen den Fächer­kanon genauso gut wie ich – folgen zu können. Wie soll das gehen, wenn die Kinder aus diesen regulären Fächern jedes Mal herausgenommen werden?

Man separiert also, man trennt. Ich glaube einfach – und das traue ich mich jetzt, einfach so zu interpretieren –, man will gar keine Integration, und das sage ich jetzt ganz bewusst in Richtung ÖVP.

In Wahrheit ist die Mika-D-Testung aus meiner Sicht ja die Spitze des Eisbergs, wenn man das sagen möchte. Die Kritik aus der Praxis geht ganz klar in die Richtung, dass man sagt: Da geht es eigentlich um ein reines Abfragen von grammatikalischem Wissen; also da geht es darum, dass ein Kind unter­scheiden kann, ob es sich um ein Objekt im dritten Fall oder um ein Objekt im vierten Fall handelt, oder dass man zwischen einer Orts- und einer Zeit­ergänzung unterscheiden kann.

Gut, ich frage mich jetzt als Lehrerin halt schon, ob das ein Urteil darüber abgeben kann, ob eine Schülerin, ein Schüler dem Regelunterricht dann auch wirklich folgen kann oder nicht. Ich persönlich halte es für realitätsfern, denn ich glaube, dass das Multiplizieren schon auch ohne das Wissen, was eine Zeitergänzung ist, möglich ist. Das ist aber meine persönliche Sicht der Dinge.

Ich muss aber auch Folgendes dazusagen: Das sehen nicht nur wir als Sozial­demokratie so, sondern uns geben eigentlich alle Fachexpertinnen und Fachexperten, alle Wissenschafterinnen und Wissenschafter recht. Mir per­sönlich ist keine Befragung, keine Studie bekannt, die diesem Konzept ein positives Zeugnis ausstellt – keine einzige!

Es gibt zum Beispiel – und diese ist Ihnen sicher bekannt – eine Aussage der Bildungspsychologin Christiane Spiel zu genau diesem Konzept, zu den Deutschförderklassen und den Mika-D-Tests. Man höre und staune bitte und muss das dick und fett unterstreichen, sie sagt nämlich in einem Interview mit dem „Standard“ im Zusammenhang mit Deutschförderklassen: „In Österreich haben wir dauernd Blindflug.“ – Wenn ich es in Noten formulieren möchte, wäre das wahrscheinlich ein Nicht genügend.

Es gibt zum Beispiel auch noch eine Befragung von Lehrer:innen, die mit den Mika-D-Tests befasst sind, durchgeführt von der Universität Wien. Ich habe (ein mehrseitiges Schriftstück in die Höhe haltend) die Zusammenfassung mitgebracht. Da wurden eben jene befragt, die tagtäglich mit diesem Ins­trument zu tun haben, nämlich die Lehrkräfte selber. Ich muss gestehen, eine Aussage ist vernichtender als die andere, ich kann da wirklich nur einzelne herausgreifen: Über 40 Prozent meinen, dass ein standardisiertes Screening von Schüler:innen in diesem Ausmaß nicht sinnvoll ist. 46 Prozent sagen, dass mittels Mika-D eher nicht möglich ist, Entscheidungen über Ressour­cen eindeutig zu treffen. Die Hälfte der betroffenen Lehrkräfte sagt, es ist kein gutes Instrument. Über 50 Prozent – nämlich fast 54 – finden es eher nicht gut, dass alle Schüler:innen mit geringen Deutschkenntnissen damit getestet werden.

Weiters ist auch davon die Rede, dass Lehrer:innen und Schulleitungen aufgrund dieses Konzepts vor enorme Herausforderungen gestellt werden: dass die Räumlichkeiten fehlen, dass die personellen Ressourcen fehlen. Einen Satz möchte ich wirklich wortwörtlich zitieren, weil er aus meiner Sicht sehr vielsagend ist: „Es sollte nicht sein, dass Schüler*innen mit mangelnden bzw. unzureichenden Deutschkenntnissen als Belastung erlebt werden“. – Ich glaube, das sagt vieles aus.

Es wird auch festgestellt, „dass Schüler*innen mit einer anderen Erstsprache als der Unterrichtssprache am besten durch sogenannte Sprachvorbilder lernen. Diese Möglichkeit wird ihnen durch die (teilweise) Segregation von ihren Mitschüler*innen genommen“. Weiters heißt es: „Eine bestmögliche Sprachför­derung bei gleichzeitiger Inklusion aller Kinder in den Unterricht sollte im Bildungssystem oberste Priorität haben.“ – Ich glaube, dem ist nichts hinzuzu­fügen. Allerdings passiert in Österreich eben genau das Gegenteil.

Kommen wir aber noch zum dritten Teil, der wie gesagt in diesem Konvolut auch Thema ist, nämlich zur Pflegelehre, die da auch einige Veränderungen er­fahren soll. Ja, wir wissen das alle – und ich glaube, da sind wir uns einig –: Wir stehen vor einem veritablen Pflegenotstand, in einer Pflegekrise oder sind in Wahrheit schon mittendrin. Es fehlen in nahezu allen Regionen Öster­reichs Pflegekräfte. Gleichzeitig steigt auch der Bedarf an der entspre­chend qualitativ hochwertigen Pflege kontinuierlich an. Wir werden zwar alle älter, aber nicht immer gesünder. Wir brauchen also vielfach mehr Pflege und schon früher Pflege, als wir uns das wünschen würden. Es braucht also Maßnahmen – das ist ganz klar, da sind wir uns einig.

Aus unserer Sicht ist die Pflegelehre da aber nicht der richtige Weg, denn jemanden zu pflegen ist eine hochsensible Tätigkeit, eine körperlich wie psychisch immens anstrengende Tätigkeit, die, glaube ich, ein immens hohes Maß an Resilienz erfordert. Das kann man in Wahrheit einem so jungen Menschen, mit 15, 16 Jahren, gar nicht zumuten. Das heißt, aus unserer Sicht ist die Pflegelehre an sich schon sehr zu hinterfragen (Bundesrat Schennach: Zumindest mit 15, 16!), auch wenn – und das möchte ich schon positiv anmer­ken – die Intention dahinter womöglich auch eine gute gewesen ist.

Die Ausbildung – dessen müssen wir uns auch bewusst sein – im Rahmen so einer Lehre braucht aber auch entsprechendes Personal, eben für die Ausbildung selbst, aber natürlich auch für die Qualitätssicherung und den Patienten­schutz. So steht es ja auch im Gesetzentwurf, den wir nun zu beschließen haben. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen: Wir brauchen die Pflege­kräfte draußen am Pflegebett, und zwar ganz, ganz dringend. Das heißt, diese beiden Dinge passen in Wahrheit nicht zusammen, wenn uns auf der ei­nen Seite das Personal sowieso schon fehlt und wir es dann sozusagen auch noch in die Pflegelehre wegnehmen. Das kann uns unterm Strich also nicht nachhaltig helfen.

Kurz zusammengefasst – das gilt für alle drei Bereiche, die ich gerade angespro­chen habe –: Gut gemeint ist halt leider nicht immer gut gemacht und gut umgesetzt.

Herr Minister, ich möchte Ihnen vielleicht noch mitgeben, dass wir als Sozialde­mokratie die letzten Monate, Jahre laufend Ideen, Konzepte, wie es gehen könnte, liefern. Ich glaube, Sie müssten nur einmal einen Blick hinein riskieren, denn gerade in den Bereichen, die ich gerade angesprochen habe, in der Bildung, in der Pflege, muss es um Lösungen und nicht um Ideologien oder um Parteipolitik gehen. (Bundesrat Kornhäusl: Das ist euch völlig fremd!) Ich glau­be, da könnten Sie durchaus einmal ein Auge drauf werfen und einen Blick riskieren. Es würde nicht schaden, ganz im Gegenteil. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

15.05

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundesrat Bernhard Hirczy. – Bitte, Herr Kollege.