Parlamentskorrespondenz Nr. 313 vom 10.04.2006

Gemeinsamer Wille zur Koordination der EU-Migrationspolitik

Konferenzteilnehmer diskutieren über den zukünftigen Weg

Wien (PK) – Im Anschluss an die Referate von Jean-Louis De Brouwer (Europäische Kommission) und von Innenministerin Liese Prokop war eine einstündige Diskussion angesetzt, bei der die einzelnen Staaten ihre Standpunkte hinsichtlich einer gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik präsentierten. Die Vertreter der jeweiligen Länder stimmten darin überein, dass die Maßnahmen im Bereich Asyl und Migration stärker harmonisiert und abgestimmt werden müssen, wobei von Seiten der EU noch mehr finanzielle und technische Unterstützung erwartet wird.

Gavin Gulia (Malta) wies in seiner Wortmeldung darauf hin, dass der Einwanderungsstrom aus Afrika in den letzten Jahren sehr stark zugenommen habe. Seit dem Jahr 2000 sei Malta jährlich mit ca. 1.500 Einwanderungswilligen konfrontiert, was für ein kleines Land ein großes Problem darstelle. Die meisten Menschen sehen Malta nur als Transitland an und wollen dann weiter in die EU einreisen, informierte Gulia. Obwohl es sich bei der Mehrheit um Wirtschaftsflüchtlinge handelt, können viele nicht in ihre Heimatländer rückgeführt werden, da oft ihre Identität nicht bekannt sei oder es keine Verträge mit den jeweiligen Ländern gibt. Es sei dringend notwendig, dass Malta von Seiten der EU in dieser Frage geholfen wird, appellierte der Redner. Solidarität dürfe nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben, es müssen auch Taten folgen, unterstrich auch David Agius aus Malta. Es sei nicht nur sein Land stark betroffen, sondern auch viele andere Mittelmeerinseln, hob er hervor. Man wolle die europäischen Innen- und Justizminister einmal nach Malta einladen, damit sie sich ein Bild von der spezifischen Problemlage vor Ort machen können.

Lord Patrick Wright of Richmond (Großbritannien, House of Lords) berichtete darüber, dass man im zuständigen Ausschuss gerade dabei sei, die EU-Richtlinie über die Rückführungspolitik zu prüfen. Eine der Empfehlungen werde lauten, dass die Leitlinien des Europarates berücksichtigt werden sollen, und zwar mit dem Ziel des Schutzes besonders gefährdeter Personen, zum von Beispiel Kindern. Er begrüße jedenfalls die österreichische Initiative, den europaweiten Informationsaustausch zu verbessern.

Kresimir Cosic (Kroatien) sprach insbesondere den illegalen Handel vor der kroatischen Küste an. In den Sommermonaten sind in den kroatischen Gewässern mehr als 200.000 Schiffe unterwegs, von denen niemand wisse, woher sie kommen und wohin sie fahren. Unter dem Deckmantel des Tourismus komme es dabei zu illegalen Aktivitäten, die kaum kontrolliert werden können, da sie nicht unter den integrierten Grenzschutz fallen. Dies sei ein Gefahrenpotential für alle Mittelmeeranrainerstaaten, meinte Cosic.

Die Vertreterin aus Slowenien, Mocja Kucler Dolinar, gab zu bedenken, dass ihr Heimatland am Kreuzungspunkt mehrerer Immigrationsrouten liege. Auch sie befürchtete, dass die illegale Migration übers Meer noch zunehmen wird. Sie unterstütze die Bemühungen, ein gemeinsames Asylsystem zu schaffen, wobei insbesondere auf eine gerechte – finanzielle – Lastenverteilung Bedacht genommen werden sollte.

Goria Rivero Alcover (Abgeordnetenhaus, Spanien) war der Auffassung, dass die Themen illegale Einwanderung, Migration und Menschenhandel umfassend betrachtet werden müssen. Ihrer Auffassung nach sei es unbedingt erforderlich, die eigentlichen Ursachen dafür zu ergründen und entsprechende Maßnahmen schon in den Herkunftsländern der Migranten zu setzen. Als Vertreterin der Kanarischen Inseln im spanischen Parlament sei sie sich im besonderen bewusst, dass vor allem kleine, abgelegene Regionen und Inseln bevorzugte Zielländer seien. Gerade diese Gebiete müssten vermehrt von der EU finanziell unterstützt werden, forderte sie.

Wenn alles gut gehe, werde sein Land ab 2007 Mitglied der EU sein, meinte Christian Maior aus Rumänien. Eine große Herausforderung stelle dann die über 1.000 Kilometer lange EU-Außengrenze mit der Ukraine dar, gab er zu bedenken. Der Vertreter aus Luxemburg, Marco Schenk, erkundigte sich insbesondere nach der Herkunftsländerdatenbank.

Francois-Noel Buffet (Senat, Frankreich) machte darauf aufmerksam, dass sich die Migrationsprobleme in seinem Heimatland sehr unterschiedlich darstellen; einerseits gehe es um die Situation in Frankreich selbst und andererseits um die überseeischen Gebiete. Er war überzeugt davon, dass die Einreise- und Ausreisekontrollen noch stark verbessert werden müssen. Da viele Illegale zunächst mit einem Touristenvisum einreisen und dann untertauchen, schlug Buffet die Einführung eines biometrischen Visums sowie die Durchführung von Evaluierungsmaßnahmen in diesem Bereich vor. Auch Guy Geoffroy (Nationalversammlung, Frankreich) zeigte sich froh darüber, dass ein gemeinsamer Wille zu einer Harmonisierung der Rechtsgrundlagen bei so heiklen Fragen wie dem Schutz der Außengrenzen oder der Sicherheit der Dokumente erkennbar sei. Im besonderen interessierte er sich für das Verhältnis nationale Gesetzgebung versus EU-Recht.

Jean-Louis De Brouwer (Europäische Kommission) bedankte sich für die Kommentare der Konferenzteilnehmer. Was die spezifische Situation von Malta anbelangt, so könnte man natürlich sehr lange darüber sprechen. Mit ähnlichen Problemen haben Zypern, die Kanarischen Inseln, Lampedusa oder einige griechische Inseln zu kämpfen, gab er zu bedenken.

Die Kommission gehe davon aus, dass im Herbst der erste Dreijahresbericht betreffend die Implementierung von Dublin II und dem EURODAC-System vorliegen wird. Derzeit werden noch Informationen von den Mitgliedstaaten eingeholt bzw. gesammelt. Bei der Diskussion über ein europäisches Asylsystem werde Dublin II eine ganz zentrale Rolle einnehmen. In dieser Verordnung wird festgelegt, dass jener Staat für den Asylantrag zuständig ist, in dem der Flüchtling zuerst registriert wurde. Im Herbst soll die Diskussion auf der Basis des Berichts nun neu aufgenommen werden, kündigte De Brouwer an.

Was die Effizienz der Rückführungspolitik angeht, so gebe es drei Hauptelemente, die dafür entscheidend sind: eine gemeinsame Plattform für die operationelle Zusammenarbeit, eine gemeinsame Finanzierung und gemeinsame Regeln. Nachdem die ersten beiden Punkte gelöst werden konnten, fehlen jetzt nur noch die gemeinsamen Standards. Die Diskussion über eine gemeinsame Rückführungsrichtlinie gestalte sich allerdings schwierig, weshalb  man für die österreichische Initiative in diesem Bereich sehr dankbar sei. Eine Reihe von Maßnahmen wurden bezüglich des Einsatzes neuer Technologien gesetzt, führte De Brouwer aus, und wies u.a. auf jene im Bereich der Biometrie hin. Im 7. Forschungsprogramm zum Beispiel sei ein Teil der Mittel für die Sicherheitsforschung vorgesehen. Die Einigung über den Finanzrahmen zeige auch sehr deutlich, dass die EU bereit und in der Lage sei, den Mitgliedstaaten "größere finanzielle Solidarität zuzugestehen als bisher", betonte er.

Ein integriertes Vorgehen strebe man auch bezüglich der Visapolitik an, erklärte De Brouwer. Man müsse davon ausgehen, dass die Mehrheit der Personen, die sich illegal in der EU aufhalten, zunächst legal, und zwar entweder mit einem Touristenvisum oder als Asylwerber, eingereist sind. Eine weitere Schlüsselfrage sei die Beziehung zwischen nationaler Gesetzgebung und EU-Recht, betonte er. Während es die einhellige Meinung gebe, dass EU in der Asylpolitik mehr tun müsse als bisher, seien die Positionen bei der legalen Einwanderung nicht so klar; denn in dieser Frage müsse die Entscheidung einstimmig zustande kommen. Der Migrationsdruck werde in Zukunft nicht nachlassen, war De Brouwer überzeugt. Darauf müsse man entsprechende Antworten finden; ein Dichtmachen der Grenzen oder eine strengere Visapolitik allein seien als Antworten aber sicherlich zu wenig.

Innenministerin Liese Prokop sprach sich für eine Diskussion auf breitester Ebene aus, um die anstehenden Probleme, zum Beispiel das "Asylshopping", lösen zu können. Es sei äußerst unbefriedigend, dass sich die Anzahl der Asylwerber in Österreich, das seit 2004 EU-Binnenland ist, kaum verändert habe. Auch Legalisierungen, wie sie in Spanien durchgeführt wurden, haben zu einem "Run" auf die Grenzen geführt. Man müsse bedenken, dass Maßnahmen im Bereich Asyl oder Migration, die in einem Land getätigt werden, sofort Auswirkungen auf die anderen EU-Staaten haben; eine gewisse Abstimmung wäre daher sehr wichtig. Ein nationaler Spielraum sollte jedoch immer bleiben, da etwa Länder wie Malta und Finnland kaum vergleichbar sind und da sie ganz unterschiedliche Problemlagen aufweisen.

Enorm wichtig sei auch die Verbesserung des Informationsaustausches zwischen den einzelnen Ländern, führte Prokop weiter aus. Es sollten zumindest die bisher vorhandenen Dokumentationen ausgetauscht und laufend aktualisiert werden. Dieser erste Schritt soll jetzt gesetzt werden, kündigte die Innenministerin an. Ein prioritäres Anliegen der österreichischen Präsidentschaft sei auch der Grenzschutz sowie die Verbesserung der Einreise- und Ausreisekontrollen (Stichwort Dokumentensicherheit), wobei das Hauptaugenmerk auf den Westbalkan gelegt wurde. All diese Fragen können natürlich nicht isoliert betrachtet werden, warnte die Ministerin, zumal Probleme wie die Schlepperei, der Drogen- und Menschenhandel, organisierte Kriminalität und Terrorismus eng damit zusammenhängen. (Fortsetzung)