OHNE SEIN ZAUDERN WÄRE EUROPA VIELLEICHT PUNISCH GEWORDEN
Quintus Fabius Maximus Cunctator - ein Sohn aus gutem Haus
Wien (PK) - Man soll in der Geschichte nicht fragen "was wäre gewesen, wenn ..." - doch erfreut sich diese Frage im Sinn einer "kontrafaktischen Geschichtsschreibung" einer gewissen Beliebtheit. Der Gedanke mag daher zugelassen werden, dass Europa deutliche(re) punisch-phönizische Züge trüge, hätte Quintus Fabius Maximus Cunctator durch sein Zaudern und Zögern Hannibal in Italien nicht Paroli geboten. Das nächste Standbild, nach Cincinnatus, in der Reihe bedeutender römischer Staatslenker im Abgeordnetenhaus des Parlaments zeigt diesen Quintus Fabius (ca. 283 bis 203 v.Chr.), der unter dem Beinamen "Cunctator" (der Zauderer) bekannt wurde. Er entstammte einem alten Patriziergeschlecht, welches beinahe schon ein Gewohnheitsrecht auf das Konsulat zu haben schien.
RUHMREICHE VORFAHREN
Der Urgroßvater des Cunctators, Quintus Fabius Maximus, genannt Rullianus (wobei die Bedeutung dieses Wortes unklar ist), war um das Jahr 350 v.Chr. geboren worden und hatte in Rom für Aufsehen gesorgt, als er unter Missachtung eines Befehls des seinerzeitigen Diktators Papirius die Samniten angegriffen und besiegt hatte. Titus Livius berichtet uns, dass Papirius den Rullianus darauf hinrichten lassen wollte, das Volk von Rom aber seine Begnadigung erzwang. Rullianus wurde jedenfalls 322 v.Chr. erstmals Konsul und sollte dieses Amt auch noch in den Jahren 310, 308, 297 und 295 ausüben, wobei er sich mit seinem Mitkonsul Decius Mus als erfolgreich im Kampf gegen die Etrusker erwies. Nach 291 übernahm er das Amt des Princeps Senatus, quasi des Parlamentspräsidenten, in welchem er mutmaßlich verstarb.
Sein Sohn Quintus Fabius Maximus, genannt "Gurges" (der Verschwender), begann 297 v.Chr. seine Laufbahn als Militärtribun, ehe er 295 Ädil wurde. In dieser Funktion ordnete er den Bau des Venustempels am Circus Maximus an, wodurch er 292 v.Chr. - also noch während der aktiven Zeit seines Vaters - erstmals Konsul wurde. In der Folge blieb er einer der bedeutenden Senatoren seiner Zeit, den Rom immer wieder mit diplomatischen Aufgaben betraute, von denen die Reise zu König Ptolemaios Philadelphos die literarisch berühmteste wurde. 276 v.Chr. erlangte er noch einmal die Konsulatswürde, wodurch auch er die Gelegenheit erhielt, gegen die Samniten zu kämpfen und dabei ähnlich erfolgreich wie sein Vater zu sein.
Quintus Fabius Maximus Gurges, der Sohn des ersten Gurges, blieb die schemenhafteste Gestalt in jener Familienepoche. Er stand im Schatten seiner Vorfahren, denn als er 265 v.Chr. das Konsulat errang, konnte er jenes nicht sonderlich lange ausüben, da er in der Schlacht bei Volsinii verwundet wurde und diesen Verletzungen nur wenig später erlag.
Wie bei seinen unmittelbaren Ahnen liegt auch das Geburtsdatum von Quintus Fabius Maximus Cunctator im Dunklen. Da er aber im Jahr 265 v.Chr. - also in jenem Jahr, da sein Vater starb - das Augurenamt übernahm, kann davon ausgegangen werden, dass er wohl um 283 v.Chr. das Licht der Welt erblickte. Er erhielt die übliche patrizische Erziehung und bereitete sich frühzeitig auf den für seinesgleichen gängigen Cursus Honorum vor. Die Funktion als Deuter der Zukunft war dabei die erste Stufe auf dem Weg zum Konsulat.
Nach einigen Jahren als Militärtribun wurde der Cunctator mit dem Steuerwesen befasst und wirkte ab 237 als Quaestor, ehe er 235 v.Chr. Ädil wurde. Den ersten Höhepunkt seiner politischen Laufbahn erlebte er mit seinem ersten Konsulat anno 233 v.Chr., in welchem er sich durch einen Sieg gegen die Ligurer mit Ruhm bedecken konnte. Dennoch trug er zu jener Zeit den durch eine anatomische Besonderheit hervorgerufenen Beinamen "Verrucosus" (die Warze), was darauf hindeutet, dass er schon damals nicht besonders populär war. Dennoch wurde er zunächst Censor und 228 zum zweiten Mal Konsul.
DIE STUNDE DES KAIROS
Damit schien es vorerst sein Bewenden zu haben. Der Cunctator war nun Mitte 50, ein Alter, in dem man in jenen Jahren bereits als Greis galt. Der zweifache Prokonsul saß auch weiterhin im Senat, einen politischen Höhenflug schien von ihm jedoch niemand mehr zu erwarten. Doch plötzlich stand er wieder im Rampenlicht, als er zum Anführer jener Delegation nach Karthago ernannt wurde, die dort die Kriegserklärung zum (zweiten) Punischen Krieg zu überbringen hatte.
Nach den Anfangserfolgen der Karthager, vor allem nach der für die Römer verheerenden Niederlage am Lacus Trasimenicus, wurde Fabius per Volksbeschluss zum Diktator proklamiert. Fabius reorganisierte umsichtig das römische Heer, vermied aber die direkte Konfrontation mit den Karthagern, weshalb er nun "Cunctator" geheißen wurde. Seine scheinbar feige Haltung erwies sich als goldrichtig, da er auf den entscheidenden, fruchtbringenden Augenblick wartete, um den Sieg vollkommen werden zu lassen. Diese Lektion musste auch sein Mitdiktator Rufus machen, der mit seiner vorwärtsstürmenden Taktik in einen Hinterhalt der Karthager geriet, aus welchem ihn just der Cunctator rettete.
Fabius war nun der in Rom bestimmende Mann. 216 v.Chr. wurde er zum Pontifex ernannt, in welcher Funktion er den Tempel der Venus Erucina weihte, 215 v.Chr. trat er sein drittes Konsulat an, worauf 214 gleich das vierte folgte. In der Zwischenzeit gerieten die Karthager immer mehr in die Defensive, und die Römer konnten, da sie zu Beginn des Krieges mit solcher Umsicht agiert hatten, nun die Früchte der Fabianischen Taktik ernten. Fabius erhielt daraufhin den Ehrentitel "Schild Roms".
Nachdem er zwischenzeitlich als Legat gewirkt hatte, wurde er 209 v.Chr. zum fünften Mal zum Konsul bestellt, ehe er sich (bis 204) auf den Posten des Princeps Senatus, also des Parlamentspräsidenten, zurückzog. Während dieser Amtszeit erlebte Fabius einen schweren Schicksalsschlag, denn sein Sohn verstarb - und unterbrach somit die vier Generationen währende Kette von Familienmitgliedern an der Staatsspitze. Fabius hielt für ihn die Totenrede und zog sich aus der Politik endgültig zurück. Sein Todesjahr ist mit 203 v.Chr. überliefert, sodass er wohl rund 80 Jahre alt wurde.
DIE FABIER
Die Person des Cunctator spielte rund zwei Jahrtausende später nochmals eine Rolle in der Politik. Diesmal freilich aus einer sozialistischen Sicht. Es war im England des ausgehenden 19. Jahrhunderts, als sich einige sozialistische Aktivisten um das Ehepaar Webb zu einer Gemeinschaft zusammenschloss, die sich just nach dem Zauderer benannte. Im Gegensatz zur revolutionären Linken stützten sich jene 15 Personen, die im Januar 1884 die "Fabian Society" gründeten und der als wohl berühmtestes Mitglied ab Sommer desselben Jahres der spätere Literaturnobelpreisträger George Bernard Shaw angehören sollte, nicht auf die Lehren von Karl Marx, sondern ursprünglich auf eine religiös motivierte egalitäre Grundhaltung. Ihr Kampf zielte primär auf die Ausrottung der Armut und auf eine anzustrebende Gleichheit aller Menschen ab.
Den Namen wählte die Gruppe aus folgender Überlegung, wie Shaw später ausführte: "Man muss den richtigen Augenblick abwarten wie Fabius, der höchst geduldig verfuhr, als er gegen Hannibal Krieg führte, obgleich viele sein Zaudern verwarfen. Aber wenn die Zeit kommt, muss man, wie Fabius es tat, zuschlagen, oder man wartet vergebens und ohne Erfolg." Die Fabier entwickelten sich schnell zur wichtigsten linksreformatorischen Kraft in England und bildeten mit anderen Organisationen wie der Scottish Labour League des Keir Hardie oder der Socialist League die Keimzelle der späteren Labour Party, in der die Fabier 1906 aufgingen. Shaw war spätestens ab 1887 einer ihrer anerkannten Führer und kandidierte 1897 bei den Londoner Kommunalwahlen für den Bezirksrat von St. Pancras, sich dabei für Umverteilung und Sozialmassnahmen, nicht aber für Klassenkampf und Dogmatismus aussprechend.
Shaw wurde gewählt und saß bis 1903 in der parlamentarischen Vertretung von 250.000 Londonern und kümmerte sich dort um Dinge wie Stromversorgung, Kanalisation, kommunalen Wohnbau und Gesundheitswesen. Seine Bilanz veröffentlichte er 1904 unter dem Titel "The Common Sense of Municipal Trading".
Den Fusionsprozess der verschiedenen linken Gruppierungen ab 1900 fand jedoch nicht mehr Shaws Interesse, und so blieben sein politisches Engagement ebenso wie die Geschichte der Fabier letztlich Episode. (Schluss)