"TOTALE ÜBERWACHUNG DER ÖSTERREICHER/INNEN TROTZ DATENSCHUTZ"
Liberale warnen in Aktueller Stunde vor dem Überwachungsstaat
Wien (PK) - Abgeordnete Dr. SCHMIDT (L) spricht von einem Thema, das ans "Mark des Rechtsstaates" geht, und sieht die Befürchtungen ihrer Fraktion bei der Diskussion um die Einführung von Rasterfahndung und Lauschangriff bestätigt. Auch die Liberalen wollen die organisierte Kriminalität effizient bekämpfen, ihnen kommt es aber darauf an, dabei die Grundsätze des Rechtsstaates zu wahren. "Wenn Sie einmal akzeptieren, Waffengleichheit mit dem Verbrechen herzustellen, heben Sie den Rechtsstaat auf."
Schmidt nennt Beispiele von Krankenkassen, die Gesundheitsdaten sammeln, von den Banken, die Einkommensdaten ihrer Kunden registrieren, und weist auf die Möglichkeiten von Versandhäusern und Kreditkartenunternehmen hin, Einkaufs- und Essensgewohnheiten ihrer Käufer festzustellen oder aufgrund von Verleihgewohnheiten in Videotheken Geschmacksprofile zu erstellen. Reisebilder werden mit Hilfe von Handys erstellt - zu diesen Horrorszenarien kommt nun die Forderung der Polizei, Telefongespräche mit Wordscannern zu überwachen. "Rasterfahndung und Lauschangriff haben offenbar eine Schleuse geöffnet, die nun nicht mehr zu schliessen ist", klagt die L-Chefin.
Innenminister Mag. SCHLÖGL bekennt sich zu einer sensiblen Behandlung der Probleme des Datenschutzes, macht aber darauf aufmerksam, dass die von Schmidt aufgezeigten Gefahren nicht von der Exekutive ausgehen, sondern von privaten und halböffentlichen Institutionen. Das Szenario einer totalen Überwachung entspricht in Österreich nicht der Realität. Die Exekutive schafft keinen "Staat im Staat" und keinen "gläsernen Menschen". Observierungen erfolgen auf der Grundlage des Rechtsstaates und einer ordentlichen Datenschutzgesetzgebung. Bei Einführung neuer Ermittlungsmethoden wurden viele Kontrollmechanismen eingebaut und alles getan, um dem Recht der Bürger auf Datenschutz und den Befürchtungen der Opposition zu entsprechen. Schlögl listet dazu auf: Die neuen Ermittlungsmethoden wurden zeitlich befristet eingeführt; den Anliegen eines Geheimschutzes wurde Rechnung getragen, ein zusätzlicher Rechtsschutzbeauftragter installiert, dem Prinzip der Verhältnismässigkeit nachgekommen und der Einsatz der neuen Ermittlungsmethoden nur für den Kampf gegen die organisierte Kriminalität sowie zur Aufklärung von Verbrechen zugelassen, die mit mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Bestimmte Berufsgruppen wurden ausgenommen. Eine jährliche Berichtspflicht an das Parlament konnte rechtlich verankert werden.
Telefonüberwachung ist nur aufgrund einer richterlichen Genehmigung möglich, das gilt auch für Handys. Tatsache ist aber, dass Straftäter im Suchtgiftbereich anonyme Wertkartenhandys einsetzen. Um die Rufdatenrückermittlung, die in diesem Deliktbereich viele Fahndungserfolge ermöglicht hat, zu sichern, setze er, Schlögl, sich für eine EU-weite einheitliche Regelung ein, um Wertkartentelefone bei ausreichender Verdachtslage ebenso kontrollieren zu können wie stationäre Telefonanlagen. Um die Dimension der Telefonüberwachung in Österreich klarzumachen, teilt Schlögl mit, dass 1996 319 Telefonüberwachungen durchgeführt wurden.
Diese Zahl weist Abgeordneter Dr. KIER (L) mit dem Hinweis auf die Dunkelziffer bei der Telefonüberwachung zurück und spricht die Vermutung aus, dass die Exekutive auch ohne richterliche Genehmigung Telefonüberwachungen durchführt. Auch die Berufung des Innenministers auf die ordentliche Datenschutzgesetzgebung in Österreich überzeuge nicht. Das Datenschutzrecht stehe in intensiver Diskussion, überdies mangle es an personellen Ressourcen, um die Rechte der Bürger ausreichend zu schützen. Der Innenminister gebe seinen Beamten mit den neuen Fahndungsmethoden ein scharfes Skalpell in die Hand, "es operieren aber nicht Chirurgen, sondern angelernte Krankenpfleger", schliesst Kier pointiert.
Abgeordneter Dr. JAROLIM (SP) hält es für notwendig, Gefahren aufzuzeigen, die dem Datenschutz durch die technische Entwicklung drohen. Das ist ein sensibles Thema, zumal die Qualität einer Demokratie auch in ihrem Umgang mit dem Datenschutz gemessen werden kann. Wenn Private Missbrauch mit Daten treiben, sei dafür aber nicht der Innenminister verantwortlich zu machen, antwortet Jarolim den Liberalen. Die Möglichkeit, Telefone zu überwachen, will der neue Justizsprecher der SPÖ auch bei Wertkartenhandys wahren - die Liberalen sollten darauf verzichten, das bestehende Instrumentarium mit dem Argument zu attackieren, dass es von Privaten missbraucht werden könne.
Auch Abgeordnete Dr. FEKTER (VP) will sich mit der Möglichkeit des Missbrauchs technischer Neuerungen sensibel auseinandersetzen. Es gehe aber auch darum, der Exekutive die Mittel an die Hand zu geben, die sie im Kampf gegen das Verbrechen braucht. Datenmissbrauch finde statt, stellt Fekter illusionslos fest. Daher sind kriminelle Machenschaften aufzudecken und zu bestrafen. Als Problembereiche nennt Fekter die Elektronik in PKW, Firmendaten, Kreditkarten, Telekom-Daten sowie Fernsehchips. Entschlossener Kampf gegen die organisierte Kriminalität und gleichzeitig Datenschutz für den Bürger, das ist laut Fekter die Aufgabe der Politik.
Abgeordneter Dr. OFNER (F) bekennt sich zum Kampf gegen die organisierte Kriminalität, wendet gegenüber dem Innenminister aber ein, dass bei der Telefonüberwachung nicht schon damit alles in Ordnung sei, weil sie nur auf richterliche Anordnung durchgeführt werden darf. Konkrete Fälle zeigen, dass die Telekom-Gesellschaft der Polizei über den Umfang richterlicher Anordnung hinaus Daten bekanntgibt. Ausserdem lassen Äusserungen von Staatsanwälten darauf schliessen, dass der "ausreichende Verdacht" oft erst durch Abhörmassnahmen erhoben wird und nicht die Voraussetzung dafür bildet.
Abgeordnete Mag. STOISITS (G) erneuert ihre Kritik an der Einführung des Lauschangriffes, mit dem für sie eine Einschränkung der Bürgerrechte einhergeht. Die Aussage des Innenministers, Unschuldige seien davor geschützt, in das "Netz der Sicherheitsbehörden" zu geraten, sei unrichtig, der Datenschutz ungenügend. Verwundert zeigt sich die Rednerin über die Aussagen des neuen SP-Justizsprechers Jarolim, der für die Einschränkung von Bürgerrechten eintrete. Konkrete Befürchtungen äussert Stoisits wegen der Entstehung eines Überwachungsstaates im Gesundheitsbereich.
L-Abgeordneter Mag. BARMÜLLER wirft der VP-Justizsprecherin Fekter vor, bei der Überwachung der Bürger die modernsten Mittel einzusetzen, bei der Wahrung der Bürgerrechte aber auf dem Stand Metternichs stehen geblieben zu sein. Der Datenschutz sei sowohl im staatlichen als auch im privaten Bereich zu wahren, sagt Barmüller und weist etwa kritisch darauf hin, dass die EDV des SPÖ-Klubs mit der Sozialversicherung vernetzt sei. Strenge disziplinäre Massnahmen verlangt Barmüller überall dort, wo in der Exekutive Missbrauch mit Daten bekannt wird.
Abgeordneter KIERMAIER (SP) tritt der Darstellung der Liberalen entgegen, der Überwachungsstaat und der "gläserne Mensch" seien bereits Realität. Lobend äussert er sich über die Geheimschutzverordnung des Innenministers und sieht durch die mit 319 Überwachungen sehr geringe Zahl von Telefonüberwachungen 1996 die Behauptung widerlegt, Österreich sei ein Überwachungsstaat. Die Sozialdemokraten wollen keinen Polizeistaat, sie wollen aber eine Exekutive, die technisch so ausgerüstet ist, dass sie zum Wohle der Bürger tätig werden kann. Dazu gehört auch die Möglichkeit, die Verwendung von GSM-Handys durch Suchtgiftkriminelle zu kontrollieren.
Abgeordneter KISS (VP) meint, die Klubobfrau der Liberalen, Schmidt, argumentiere in Sachen Datenschutz gegen die Interessen der Bevölkerung. "Fast scheint mir, Sie wollen Schutzpatronin der organisierten Kriminalität werden", sagt er in ihre Richtung. Kiss erachtet den Schutz des Bürgers vor schwerster Kriminalität für vorrangig, betont aber, dass sich die ÖVP der Sensibilität des Themas Datenschutz durchaus bewusst sei. Bei etwaigen Problemen gebe es aber ohnedies den Datenschutzrat.
Abgeordnete Dr. POVYSIL (F) hält fest, die wirkliche Gefahr für den Bürger drohe nicht in der Erhebung, sondern in der Verknüpfung einzelner Daten. Erst dadurch entstehe der "gläserne Mensch". Ihrer Ansicht nach ist der Gesundheitsbereich ein besonders sensibles Gebiet des Datenschutzes. Einem jüngst erschienenen Buch zufolge hätten zum Beispiel zahlreiche Organisationen Zugriff auf die im Rechner der Sozialversicherungsträger gespeicherten Daten. Der Datenschutz in Österreich sei "unter dem Hund", resümiert Povysil, ihr fehlen angemessene Konsequenzen bei Missbrauch.
Abgeordneter WABL (G) sieht ein, wie er sagt, dass Innenminister Schlögl eine gute Ausrüstung und gute Gesetze für die Exekutive verlange. Es gebe in einem Rechtsstaat aber Grenzen, und diese Grenzen würden stets übersehen. Wabl zeigt sich beunruhigt darüber, dass die Exekutive bereits die einfachen Möglichkeiten, die sie habe, gegen die BürgerInnen einsetze. So fragt er etwa, was die Staatspolizei bei einer Demonstration in Kärnten gegen eine geplante unökologische und unökonomische Abwasserentsorgung letzte Woche eigentlich zu tun hatte.
In einer Wortmeldung zur Geschäftsbehandlung beklagt SP-Abgeordneter SCHIEDER, dass es seiner Fraktion nicht möglich sei, in einer tatsächlichen Berichtigung der Behauptung, der SPÖ-Klub habe einen Online-Zugang zum Rechner der Sozialversicherungsträger, zu widersprechen. Er erkundigt sich beim vorsitzführenden Nationalratspräsidenten Dr. FISCHER, welche Möglichkeiten er zur Berichtigung habe. Dieser erklärt daraufhin, Schieder in einem persönlichen Gespräch darüber zu informieren. Gleiches gilt für Abgeordneten Mag. BARMÜLLER (L), der die Wortmeldung von Schieder kritisiert. (Schluss)