SITUATIONSBERICHT DES VERTEIDIGUNGSMINISTERS LIEGT VOR
Bericht über HG-Neu am Donnerstag im Verteidigungsausschuss
Wien (PK) ‑ Der Landesverteidigungsausschuss wird am Donnerstag, dem 30.1.1997, den kürzlich von Bundesminister Fasslabend vorgelegten SITUATIONSBERICHT 1996 zur Umsetzung der Heeresgliederung-Neu behandeln, die, wie Fasslabend betont, in nur 22 Monaten plangemäss umgesetzt wurde, ohne die Einsatzfähigkeit des Heeres zu beeinträchtigen. Der Bericht informiert detailliert über den aktuellen Zustand des Heeres nach Organisationsumstellung und Ausbildungsreform und beleuchtet aktuelle Probleme wie das sinkende Präsenzdieneraufkommen und die Auswirkungen des Sparpakets auf die Rüstungspläne.
Ziel der neuen Heeresgliederung ist es, die Landesverteidigung nach dem Wegfall des Bedrohungsbildes "Bündniskonflikt" auf regional begrenzte Bedrohungen auszurichten. Dabei war vom bisherigen Grundsatz der Raumverteidigung ab- und auf das Verfahren grenznaher Sicherung und Abwehr überzugehen. Dafür sind zunächst rasch einsetzbare Kräfte für Hilfeleistungen, Assistenzen und Sicherungseinsätze geringer Intensität notwendig. Darüber hinaus gilt es, bei bedrohlicheren Entwicklungen abgestuft auf volle Einsatzstärke "aufzuwachsen", wie es im Heeresjargon heisst. Anders als bei der Raumverteidigung soll das Bundesheer "im Falle eines Angriffs gegen das Bundesgebiet den Abwehrkampf bereits an der Staatsgrenze in nachhaltiger Form aufnehmen" und ihn "über längere Zeit bis zum Wirksamwerden politischer Massnahmen oder internationaler Sicherheitsmassnahmen" führen.
Zu diesem Zweck hat die Regierung im Juli und Dezember 1992 neue Einsatzerfordernisse und die Umsetzung der Heeresgliederung-Neu festgelegt: Als rasch verfügbare Präsenzkräfte sind mindestens 10.000 Mann Kaderpersonal und Grundwehrdiener vorgesehen; dazu kommen als Verstärkung Milizgrenzschutzverbände im Umfang von mindestens 5.000 Mann. Der Mobilmachungsrahmen umfasst 120.000 Mann (plus 20 % Reserven). Im einzelnen sind 12 Jäger- und 3 Panzergrenadierbrigaden vorgesehen, wobei die Einsatzorganisation jeweils aus der Friedensorganisation erwächst. Die erforderlichen Ausrüstungs- und Investitionsmittel auch bei anhaltender Budgetknappheit sollen durch Personalreduzierungen gewährleistet werden. Weiters beschloss die Regierung eine flexible Gestaltung des ordentlichen Präsenzdienstes. Unmittelbar im Anschluss an den sechsmonatigen Grundwehrdienst kann eine Truppenübung im Umfang von bis zu einem Monat abgeleistet werden.
DAS NEUE AUSBILDUNGSSYSTEM
Erfolgreich neugestaltet wurde, so der Verteidigungsminister, auch das Ausbildungswesen. Ziel war mehr Professionalität, bessere Ausbildungsmittel und eine Straffung der Ausbildungszeit.
Um die Effektivität der Mob-Verbände zu steigern, wurde die militärische Ausbildung in zwei Abschnitte gegliedert: Nach der Basisausbildung sollen die Soldaten die "Präsenz-Kernaufgaben" beherrschen; der zweite Abschnitt "Verbandsausbildung" sichert die Einsatzbereitschaft in Einheit und Verband. Qualität und Motivation der praktischen Ausbildung wurden durch den Einsatz von Simulatoren erhöht. Dazu kommt ein Kaderaus-, Fort- und Weiterbildungssystem und eine neugestaltete Ausbildung der Berufsunteroffiziere. Sie umfasst Grundwehrdienst, Kaderausbildung und einen zweisemestrigen Unteroffizierslehrgang, in dem grosses Augenmerk auf die Menschenführung gelegt wird.
Völlig neu gestaltet wurde auch die Ausbildung der "Einjährig Freiwilligen" und der Berufsoffiziere. Auswahl und Zugang zur Ausbildung wurden objektiviert und die Inhalte an neue praktische Erfordernisse und an ein modernes Offiziersleitbild angepasst. Die Anerkennung der Theresianischen Militärakademie als Fachhochschul-Lehrgang ist beantragt.
DIE PERSONALSITUATION
Der jährliche Wehrpflichtigenbedarf für Friedensorganisation und Mob-Fall wurde für die "HG-Neu" mit durchschnittlich 34.000 Mann angegeben. In den Jahren 1993 bis 1996 betrug die Zahl der zum Dienst herangezogenen Grundwehrdiener im Durchschnitt 35.215 Mann. Mit Hinweis auf die Entwicklung der Geburtsjahrgänge, die zu erwartenden Tauglichkeitsraten und Meldungen zum Zivildienst (1996: 6.644) geht der Minister von künftig 32.000 Mann pro Jahr aus. Solch knappe GWD-Zahlen machen, so Fasslabend weiter, die Straffung der Organisation notwendig, um die Einheiten ausreichend mit Personal zu versorgen. Zur Diskussion um die allgemeine Wehrpflicht weist er darauf hin, dass alle Nachbarstaaten Österreichs auf dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht aufbauen.
DAS BUNDESHEER UNTER DEN BEDINGUNGEN DER SPARPOLITIK
Im Zeitraum 1990 bis 1997 stieg das Landesverteidigungsbudget von 17,5 auf 20,8 Mrd. S. Gleichzeitig verringerte sich der Anteil am Gesamtbudget von 3,1 % auf 2,8 % bzw. am BIP von 0,98 % auf 0,83 %. Die Personalausgaben stiegen im Jahresdurchschnitt um + 3,67 %, das Wachstum des Sachaufwands betrug dagegen im Durchschnitt nominell nur + 1,5 % bzw. + 2,2 % unter Einbeziehung der Beschaffungsermächtigung (aus Liegenschaftsverkäufen) von 400 Mill. S für 1997.
Um innerhalb von zehn Jahren die Rüstungsziele zu erreichen, sah die Planung der "HG‑Neu" für das Budgetkapitel Landesverteidigung einen Anteil von 1 % am BIP vor. Durch konsequente Rationalisierung konnte der Anstieg der Personalkosten begrenzt werden, was jedoch nicht zu einer entsprechenden Ausweitung bei den Sachaufwendungen führte, klagt Fasslabend.
Da die ursprünglich vorgesehenen Mittel nicht zur Verfügung stehen, setzte bereits 1992 eine "Verzichtsplanung" ein. Neben einer Neufestlegung der Planungs‑ und Beschaffungsprioritäten wurden Einschränkungen in der Anzahl der mit neuem Gerät auszurüstenden Verbände festgelegt. Das allgemeine Sparpaket führte zu einer neuerlichen Umplanung und zeitlichen Verschiebung sowie zu einer Reduzierung der bisher geplanten Rüstungsbeschaffungen. Dennoch war und ist es möglich, wesentliche Qualitätssteigerung bei der Ausrüstung des österreichischen Bundesheeres zu erreichen, merkt der Verteidigungsminister an.
MODERNERE PANZER - DAS "MECH-PAKET"
Mit dem ersten Schritt des "Mech-Pakets" ist es gelungen, die mechanisierten Truppen zu modernisieren und die Panzerabwehr zu stärken. 114 "Leopard"-Kampfpanzer werden den M60A3, 112 Kampfschützenpanzer "ASCOD" die Schützenpanzer der Panzergrenadiergruppen ersetzen. Raketenjagdpanzer vom Typ "Jaguar" mit dem Lenkwaffensystem "HOT" werden die Panzerabwehr der Aufklärungs‑ und Panzergrenadierverbände übernehmen, der Radschützenpanzer "Pandur" Gefechtsaufgaben im Bereich von Infanterie, Aufklärung und Führung. Die Beweglichkeit bei Peace Keaping-Einsätzen wurde durch die Beschaffung von 68 Mannschaftstransportpanzern "Pandur" verbessert. Der Ankauf weiterer 200 Radpanzer wird vorbereitet.
ARTILLERIE - WESENTLICH HÖHERE FEUERKRAFT
Die Feuerkraft der Artillerie wurde mit dem M109‑Programm auf das vier‑ bis fünffache erhöht. Die Geschütze werden vereinheitlicht und mit dem Artillerie‑Aufklärungs‑ und Schiessradargerät, mit Gefechtsfeldradar, dem elektronischen Artillerie‑Feuerleitsystem und mit moderner panzerbrechender Munition ausgestattet.
NEUERUNGEN BEI INFANTERIE, PANZER- UND LUFTABWEHR
Die Beschaffung von Simulationssystemen bei den neu eingeführten Waffen und in der Infanterie dient einer kostengünstigen und qualitativ besseren Ausbildung. Neue Kampfhelme und Splitterschutzwesten erhöhen zunächst bei den rasch verfügbaren Kräften sowie bei international eingesetzten Soldaten den persönlichen Schutz.
Das Fliegerabwehrlenkwaffensystem "Mistral" plus Zielzuweisungsradar verbessern die Fliegerabwehr, Tieffliegererfassungsradar und Luft‑Luftraketen vom Typ "Sidewinder" die Luftraumüberwachung.
Die Vollausstattung der infanteristischen Kampftruppen mit der PAL 2000 stärkt die Panzerabwehr und vereinheitlicht durch den Ersatz der 10,6 cm-PAK die Bewaffnung.
Um die Interoperabilität der österreichischen Bundesheer-Führung bei internationalen Einsätzen zu stärken, wird derzeit in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Seibersdorf das Führungsunterstützungssystem "Heros" erprobt.
DIE KÜNFTIGEN PRIORITÄTEN DES VERTEIDIGUNGSMINISTERS
Für die Zukunft setzt Minister Fasslabend Schwerpunkte in bezug auf Führungsfähigkeit, Aufklärung, Luftraumüberwachung, Fliegerabwehr, Beweglichkeit, Splitterschutz, Panzerabwehr, Ausbildung und Versorgung.
FÜHRUNGSFÄHIGKEIT: Ersatz der UKW‑Truppenfunkgeräte sowie Erneuerung und Ergänzung der Fernmeldegeräte bis zum Jahr 2000.
AUFKLÄRUNG: Ersatz des Jagdpanzers "Kürassier" durch Radpanzer; Gefechtsfeldsensoren für Aufklärungseinheiten.
LUFTRAUMÜBERWACHUNG: Entscheidung für die "Draken"-Nachfolge bis spätestens 1998; Modernisierung und technische Anpassung des Systems "Goldhaube".
FLIEGERABWEHR: Nach Beschaffung der "Mistral" geht es um die Abdeckung der "mittleren Reichweite" und die Ausrüstung der mechanisierten Verbände; Grundüberholung und Technologieanpassung der Feuerleitgeräte "Skyguard" für die 3,5 cm-Flak.
HUBSCHRAUBER: Nachtsichtfähigkeit der Hubschrauberflotte für Grenzraumüberwachungseinsätze (u.a. zur Erfüllung des Schengener Abkommens); Entscheidung über den Ersatz von Hubschraubern zur Feuerunterstützung der Truppe am Gefechtsfeld und beim Transport.
BEWEGLICHKEIT: Generalüberholung der Standard‑Lkw 680M und M3 im wirtschaftlich vertretbaren Rahmen; Beschaffung von 1.000 neuen Lkw; Grundüberholung der Pinzgauer‑Flotte; Suche nach neuen Lösungen für ökonomischere Versorgungstransporte; neues Kriegsbrücken‑ und Fährengerät sowie Patrouillenboote für Pioniere.
PANZERABWEHR: Grundüberholung der Jagdpanzer "K", die das bewegliche Panzerabwehrelement der Jägertruppe bleiben.
VORBEREITETE EINHEITEN (VOREIN)
Im Mai 1993 hat der Ministerrat beschlossen, für die weitere Mitwirkung an friedenserhaltenden Operationen speziell vorbereitete Einheiten (VOREIN) im Gesamtausmass von 2.500 Mann aufzustellen. Es handelt sich um drei Jägereinheiten, eine Pionierkompanie, ein Feldspital, eine Fliegereinheit, eine Transportkompanie, eine Katastropheneinheit sowie eine Dienstleistungs- und Versorgungseinheit. Ausbildungskonzept, Organisationspläne und Einberufungsmodus für VOREIN wurden bereits festgelegt.
FOLGERUNGEN UND ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN
Infolge geänderter sicherheitspolitischer Szenarien und neuer Prioritäten in der Aufgabenstellung des Bundesheeres bei knappen Ressourcen (Budget, Kader, GWD) sind aufgrund des langfristigen Budgetsanierungsprogrammes weitere Massnahmen erforderlich.
Fasslabend nennt insbesondere eine optimale Anwendung des flexiblen Wehrdienstzeitmodells, effizienzsteigernde Massnahmen in strukturschwachen Verbänden und die verbesserte personelle Ausstattung der Kampftruppen gegenüber Kommanden und Stäben.
Angesichts veränderter Verhältnisse soll überprüft werden, ob
die Zahl von 3 Korpskommanden noch zweckmässig ist. Ausserdem will Minister Fasslabend die Führungsorganisation straffen und die Kompetenzen von Korpskommanden und Militärkommanden klarer fassen.
Dazu kommt der Verkauf von nicht wirtschaftlich nutzbaren Kasernen und Lagern sowie die Zusammenführung von auf mehrere Garnisonen verteilten Truppenkörpern. Die Grundwehrdiener sollen aber auch weiterhin in der Nähe ihres Wohnortes einrücken können (III-73 d.B.). (Schluss)