14201/J XXIV. GP
Eingelangt am 05.03.2013
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Anfrage
der Abgeordneten Mag. Johann Maier
und GenossInnen
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend „Nationalsozialistische Gewaltverbrecher – Operation Last Chance II“
In der AB 11/XXIII.GP vom 21.
Dezember 2006 beantwortete die damalige Justizministerin eine parlamentarische
Anfrage des Abg. Mag. Johann Maier und GenossInnen betreffend „Nationalsozialistische
Gewaltverbrechen - Aufklärung in Österreich durch das
Justizministerium“ u.a. wie folgt:
Zu den Fragen 1-3: „… Die systematische
Überprüfung einer Vielzahl von Personen an Hand historischer
Aktenvorgänge ist als wenig zweckmäßig anzusehen, um neue
Ermittlungsansätze zu erhalten, zumal die gegen einige dieser Personen
bereits anhängig gewesenen Strafverfahren zu einem großen Teil ohne
Anklageerhebung eingestellt worden sind. Daher hat das Bundesministerium
für Justiz die Zentrale Stelle Ludwigsburg auch um Hinweise ersucht, ob im
Rahmen von in Deutschland anhängigen Strafverfahren allenfalls
Verdachtsmomente gegen österreichische Staatsbürger hervorgekommen
sind, die noch nicht verjährte Straftaten betreffen. Gegenüber der
für Rechtshilfeangelegenheiten zuständigen Fachabteilung meines Hauses
stellten die deutschen Justizbehörden in diesem Zusammenhang in Aussicht,
dass für den Fall der Ausforschung eines österreichischen
Verdächtigen die österreichischen Behörden jedenfalls
verständigt werden.
Da noch weitere Nachforschungsergebnisse aus Deutschland abzuwarten sind, kann
derzeit nicht abgeschätzt werden, ob und welche weiterführenden
Erhebungsmaßnahmen zu setzen sein werden. Zwar sind die
österreichischen Strafverfolgungsbehörden unvermindert bestrebt,
nationalsozialistische Gewaltverbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Nach den
bisherigen Erfahrungen sind die Erfolgsaussichten bei realistischer Betrachtung
der bestehenden Möglichkeiten jedoch als eher gering einzuschätzen.“
Und weiter (zu 5):
„Festzuhalten
ist, dass den in den Listen des Simon Wiesenthal-Centers Jerusalem genannten
Personen in keinem einzigen Fall konkrete Straftaten vorgeworfen werden. Das
Bundesministerium für Justiz wurde lediglich darauf hingewiesen, dass
diese Personen Angehörige von in Kriegsverbrechen verwickelten Einheiten
waren. Die Frage nach der strafrechtlichen Verfolgbarkeit der genannten
Personen ist an Hand dieser Listen jedenfalls nicht zu beantworten, zumal die
Tatsache der Zugehörigkeit zu einer solchen Einheit für eine
Anklageerhebung allein noch nicht ausreicht.“
Und weiter (zu 6):
„Die in der Begründung der Anfrage aus dem Jahresbericht des Simon
Wiesenthal-Centers Jerusalem 2006 zitierte Kritik muss ich zurückweisen.
Die Behauptung, Österreich habe es im Beobachtungszeitraum - so wie in den
Vorjahren - unterlassen, „bekannte und in Österreich lebende
Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen“, während es im
Vergleichszeitraum Verurteilungen vor allem in den USA gegeben habe, entspricht
nicht den Tatsachen. Es ist zwar richtig, dass es in dieser Zeit zu keiner
Verurteilung in Österreich gekommen ist. Soweit die Identität von
mutmaßlichen Kriegsverbrechern bekannt ist und der Verdacht wegen der
ihnen zur Last gelegten Tathandlungen in einem nach rechtsstaatlichen
Grundsätzen geführten Strafverfahren geprüft wurde, konnten
diese jedoch vor allem deswegen nicht vor Gericht gestellt werden, weil sie
entweder flüchtig oder verhandlungsunfähig waren bzw. sind. In der Zwischenzeit
sind auch einige dieser Verdächtigen verstorben. “
In der Öffentlichkeit ist nun nicht bekannt, ob es seit dieser Antwort
(AB 11/XXIII.GP vom 21. Dezember 2006) Ermittlungen der österreichischen Justizbehörden
gegen Personen gegeben hat, die verdächtigt wurden, Kriegsverbrechen
begangen oder an diesen beteiligt gewesen zu sein.
Der Direktor des Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, stellte
am 14. Dezember 2011 in Berlin die „Operation, Last Chance II“ vor.
Es handelt sich dabei um den wahrscheinlich letzten Versuch, noch lebende
Naziverbrecher habhaft zu werden. Den Anlass dafür bot u.a. das Urteil des
Münchner Landgerichts im Prozess gegen den ukrainischen
„Hilfswilligen“ John Demjanjuk, der im Mai 2011 zu fünf Jahren
Haft verurteilt wurde.
Dabei stellte das Gericht nicht auf nachgewiesene Ermordungen von Häftlingen durch Demanjuk ab, sondern stellte auf seine Zugehörigkeit zur Wachmannschaft (als Aufseher) im KZ Sobibor ab. Aufgrund dieser Entscheidung sind nach Expertenmeinungen in Deutschland und Europa
auch Verurteilungen all
jener Personen möglich, die in Wachmannschaften von Konzentrationslagern
Dienst gemacht hatten. Dasselbe gilt für die Angehörigen von
Einsatzgruppen. Derartige Zugehörigkeiten wurden als hinreichender Beweis
der Beteiligung an Mordverbrechen durch das Gericht angesehen.
Die Operation „Last
Chance I“ wurde im Jahr 2007 von der damaligen Justizministerin Dr. Maria
Berger unterstützt.
„Zur
Unterstützung des Grundanliegens der Operation „Last Chance“ habe ich im
Hinblick auf die besondere Bedeutung dieser Fälle veranlasst, dass das
Bundesministerium für Justiz - entgegen der bislang geübten
Praxis - eine Belohnung von je 50.000 Euro für Hinweise ausgelobt hat, die
zur Ergreifung und Verurteilung der NS-Kriegsverbrecher Alois Brunner und
Aribert Heim durch österreichische Gerichte führen.“ (AB 1306/XXIII.GP vom
06.09.2007).
Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an die Bundesministerin
für Justiz nachstehende
Anfrage:
1.
Wie viele Namen von österreichischen
Staatsbürgern wurden nun seit 2006 (siehe AB 1306/XXIII.GP) von der
zentralen Stelle Ludwigsburg bzw. von deutschen Justizbehörden dem
Bundesministerium für Justiz übermittelt?
2. Wie viele lebende Personen, die nach Ansicht des Simon-Wiesenthal-Centers Jerusalem oder der zentralen Stelle Ludwigsburg in Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt sein könnten, konnten seit 2006 in Österreich ausgeforscht werden (Aufschlüsselung auf Bundesländer)?
3. Welche Hinweise oder Erkenntnisse zu diesen Personen bzw. angeführten Einheiten und Vorfälle konnten durch das Ressort wiederum bis jetzt dem Simon-Wiesenthal-Center übermittelt werden?
4. Welchen in Kriegsverbrechen verwickelten militärischen Einheiten etc. gehörten diese vom Simon-Wiesenthal-Center genannten Personen an?
5. Welche Verbrechen – die noch nicht verjährt sind – werden den ausgeforschten lebenden Personen konkret durch das Simon-Wiesenthal-Center vorgeworfen?
6. Welche Verbrechen – die noch nicht verjährt sind – werden den ausgeforschten lebenden Personen konkret durch die österreichischen Strafverfolgungsbehörden vorgeworfen?
7. Wie viele der von Simon-Wiesenthal-Center oder der zentralen Stelle Ludwigsburg genannten und noch lebenden Personen sind nach Kenntnis des Ressorts untergetaucht?
8. Wie viele der von Simon-Wiesenthal-Center oder der zentralen Stelle Ludwigsburg genannten und noch lebenden Personen sind nach Kenntnis des Ressorts nicht verhandlungsfähig?
9.
Gegen wie viele der von Simon-Wiesenthal-Center oder
der zentralen Stelle Ludwigsburg genannten Personen wurden nach dem Zweiten
Weltkrieg in Österreich deswegen Strafverfahren geführt?
In wie vielen Fällen kam es zur Anklage?
In wie vielen Fällen zu einer Verurteilung?
10. In wie vielen Fällen ist dem Ressort aufgrund eigener Ermittlungen die Identität von mutmaßlichen Kriegsverbrechern bekannt geworden?
11. Welche Maßnahmen hat Österreich – entsprechend den
Ausführungen in der AB 11/XXIII.GP vom 21. Dezember 2006 –
ergriffen, um nationalsozialistische Gewaltverbrecher zur Verantwortung zu
ziehen?
Zu wie vielen Ermittlungen kam es seit dem Jahr 2006?
In wie vielen Fällen wurde Anklage erhoben?
12. Wie wird vom Ressort die zitierte Gerichtsentscheidung „John
Demjanjuk“ beurteilt?
Welche Bedeutung hat diese Entscheidung auf die Rechtsprechung der österreichischen
Nachkriegsjustiz?
13. Hat das Ressort aufgrund dieses Urteils direkte oder indirekte Hinweise
über die Tätigkeit von Österreichern in Wachmannschaften von
Konzentrationslagern oder in Einsatzgruppen erhalten?
Wenn ja, wie viele?
14. Welche Maßnahmen wir das Ressort nach der Demjanjuk-Entscheidung setzen, um beispielsweise herauszufinden, welche Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft in
diesen Mordkommandos (Wachmannschaften von KZ-Vernichtungslagern und in Einsatzgruppen) gedient haben, welche davon noch leben und wo sich die Überlebenden aufhalten?
15. Hat das Ressort diesbezüglich Kontakt mit Deutschland aufgenommen,
um Informationen über Personen mit Österreichischer Staatsbürgerschaft
zu erhalten, die Mitglieder in
KZ-Wachmannschaften oder Einsatzgruppen waren?
Wenn nein, warum nicht?
16. Ist dem Ressort überhaupt bekannt wie viele Österreicher bis
1945 Mitglieder von
KZ-Wachmannschaften bzw. von Einsatzgruppen waren?
Wenn ja, wie viele waren es?
Wie viele davon sind noch am Leben?
17. Wurden dem Ressort von der Zentralen Stelle in Deutschland bereits einschlägige Informationen über Österreicher die in Wachmannschaften von Konzentrationslagern oder Einsatzgruppen tätig waren übermittelt?
18. Wenn nein, aus welchen Aktenbeständen in Österreich bzw. im Ausland (z.B. Deutschland) könnten sich Hinweise finden lassen, wie viele und welche Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft bis 1945 in Wachmannschaften von Konzentrationslagern oder in Einsatzgruppen tätig waren?
19. Werden Sie – wie in Deutschland systematisch durch die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg – veranlassen, dass auch in Österreich Urteile aber auch Verfahrenseinstellungen unter dem Aspekt der rechtskräftigen Demjanjuk-Entscheidung überprüft und allenfalls wieder aufgerollt werden?
20. Welches Ergebnis erbrachte die von ihrer Vorgängerin BM a.D. Dr. Maria Berger vorgenommene Auslobung von 50.000 Euro im Rahmen von „Operation Last Chance: I“?
21. Welche Planungen und Maßnahmen zur Unterstützung des
Projekts „Operation Last Chance II“ gibt es durch das Ressort?
Welche internationale Zusammenarbeit ist geplant?
Mit welchen Staaten wird dafür bereits zusammengearbeitet?