647 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIII. GP

 

Bericht

des Finanzausschusses

über die Regierungsvorlage (609 der Beilagen): Bundesgesetz über die Finanzprokuratur (Finanzprokuraturgesetz - ProkG)

Die Finanzprokuratur ist eine staatliche Einrichtung, deren Wurzeln zumindest bis in das 13. Jahrhundert zurückreichen. Die Habsburger formten die von den Hohenstaufern als Kaiser des heiligen römischen Reiches deutscher Nation in Sizilien übernommene Einrichtung zu einem auf Zeit vom Kaiser und Landesherren bestellten Beamten, der die Rechte des Kaisers als Landesherr in seinen Ländern gegen die Interessen der Landstände zu wahren hatte. Ab dem Mittelalter wird dieses Amt als Fiskalat oder Kammerprokuratur bezeichnet, das der Kammer des Landes untergeordnet ist. Teile des heutigen Aufgabenbereiches der Prokuratur lassen sich auf diese Zeit zurückführen. Auch kennt die Niederösterreichische Raitkammerordnung von 1539 bereits eine Art Überwälzung der persönlichen Klage gegen den Amtsmann auf den Fiskus, der durch den Kammerprokurator vertreten wird, womit die Grundlagen für die heutige Amtshaftung und die Zuständigkeit der Prokuratur erkennbar sind. In der Zeit vor und nach den napoleonischen Kriegen wird der Aufgabenbereich der in allen habsburgischen Ländern eingerichteten Kammerprokuraturen nicht nur zum Wahrer der landesherrlichen Interessen als Ankläger im Strafverfahren und Anwalt des Staatsvermögens, sondern auch zum umfassenden Aufseher über die öffentlichen Interessen ausgebildet.

Im Gefolge der Revolution von 1848 in Gang gesetzte grundlegende Verfassungsentwicklungen bleiben nicht ohne Folgen für die Kammerprokuraturen und Fiskalate. Durch die Übernahme des modernen Strafverfahrens aus Frankreich, das die Einrichtung einer Anklagebehörde, der Staatsanwaltschaften, notwendig macht, wird auch eine Neuorganisation der Kammerprokuraturen erforderlich. Die bisher von ihnen wahrgenommenen Aufgaben eines Anklägers gehen verloren. Gleichzeitig werden mit Erlass des Finanzministeriums vom 13.VIII.1851 die zu diesem Zeitpunkt in den Kronländern unter den Bezeichnungen Hofkammerprokuratur, Kammerprokuratur und Fiskalate existierenden Ämter in die neu geschaffenen Finanzprokuraturen übergeführt und diese zur gerichtlichen Vertretung, zur Erstattung von Rechtsgutachten sowie zur Mitwirkung beim Abschluss von Rechtsgeschäften betreffend das Staatsvermögen berufen.

Durch die tiefgreifenden Reformen des Zivilprozesses im ausgehenden 19. Jahrhundert wird auch eine grundlegende Umgestaltung der Prokuraturen nötig. Durch die fast zeitgleich mit der Zivilprozessordnung in Kraft getretene Provisorische Dienstinstruktion 1898 wird die Organisation der Prokuraturen, deren Aufgaben und das Verhältnis zu ihren Auftraggebern neu geregelt. Die Dienstinstruktion bleibt bis zur vorübergehenden Auflösung der Prokuratur im Jahre 1938 in Geltung.

Der erste Weltkrieg und die wirtschaftliche Depression im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Monarchie bringt die sukzessive Auflösung der Prokuraturen in Klagenfurt (1916), Salzburg (1922) sowie Innsbruck, Linz und Graz (1923) mit sich. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wird die in Wien verbliebene Prokuratur mit Verordnung vom 20. Juni 1939 aufgehoben.

Mit BehördenüberleitungsG vom 20. Juli 1945 wird die Prokuratur in Wien wiedererrichtet. Sie erhält mit dem am 12. September 1945 erlassenen Prokuraturgesetz ihre noch heute in Geltung stehende gesetzliche Grundlage und nimmt ihre Tätigkeiten nach Wiederwirksamwerden der Bundesverfassung am 10. Februar 1946 auf, die ihr bis heute im Wesentlichen verblieben sind.

Die Finanzprokuratur als staatliche Einrichtung wird in der Verfassung nicht ausdrücklich erwähnt. Es handelt sich um eine Einrichtung des Bundes, die organisatorisch als Amt ausgebildet und in den Verwaltungskomplex des Bundesministeriums für Finanzen eingegliedert ist. Ihr kommen als Dienstbehörde hoheitliche Befugnisse zu, wodurch sie als Behörde zu qualifizieren ist, gleichwohl ihre Tätigkeiten in Erfüllung der ihr gesetzlich überantworteten Aufgaben überwiegend privatwirtschaftlicher Natur sind. Gleichwohl kommt der Prokuratur im funktionellen Sinn nicht der Charakter einer nachgeordneten Dienststelle des Bundesministeriums für Finanzen zu, denn sie unterliegt bei der Erfüllung ihrer Vertretungs- oder Beratungstätigkeit keinen Weisungen des Bundesministeriums für Finanzen. Die von ihren Auftraggebern erteilten Vertretungs- und Beratungsaufträge sind, soweit sie von dazu zuständigen Organen des Bundes erfolgen, als Weisungen zu qualifizieren; in allen übrigen Fällen liegt ein (gesetzliches) Auftragsverhältnis vor. Somit wird die Finanzprokuratur für den Auftraggeber Bund als Hilfsorgan des jeweiligen obersten Organs tätig, dem ihr Tätigwerden zuzurechnen ist.

Die verfassungsrechtliche Grundlage für die Tätigkeit der gerichtlichen Vertretung zur Abwehr oder Durchsetzung nicht-hoheitlicher Ansprüche findet sich in der Kompetenzbestimmung des Art 10 Abs. 1 Z 6 B-VG „Zivilrechtswesen“. Demgegenüber bietet Art 10 Abs. 1 Z 1 leg. cit. die verfassungsrechtliche Kompetenz für die Vertretungstätigkeit vor dem Verfassungsgerichtshof und Art 10 Abs. 1 Z 6 leg. cit. („Verwaltungsgerichtsbarkeit“) für ihr Einschreiten vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Da es sich um eine nicht-hoheitliche Interessenwahrung handelt und der durch die Finanzprokuratur vertretene oder beratene Rechtsträger seinem Gegner gleichrangig gegenübersteht, handelt es sich auch um eine Tätigkeit der Privatwirtschaftsverwaltung, womit Art 17 B-VG ebenso eine Grundlage für die Tätigkeit der Finanzprokuratur bildet. Als Organ des Bundes ist die Finanzprokuratur an die von der Verfassung vorgegebenen Rahmenbedingungen gebunden.

Das während der Geltung der vorläufigen Verfassung erlassene Prokuraturgesetz bildet die einfachgesetzliche Grundlage für das Tätigsein der Fianzprokuratur und wird durch die Bestimmungen der als Durchführungsverordnung ebenfalls 1945 erlassenen 1. ProkV ergänzt.

Für den Prokuraturdienst werden schon bisher ganz besondere Ausbildungserfordernisse gefordert. Neben der als Prokuraturprüfung bezeichneten Dienstprüfung, die ebenso in einen schriftlichen und in einen mündlichen vor einem Senat abzuhaltenden Prüfungsteil zerfällt, ist binnen 5 Jahren ab Tätigkeitsbeginn im höheren Dienst der Prokuratur die Rechtsanwaltsprüfung erfolgreich abzulegen, anderenfalls der Bedienstete aus dem höheren Dienst auszuscheiden hat.

Der Dienstbetrieb selbst steht unter der Leitung und Verantwortung des vom Bundesminister für Finanzen bestellten Präsidenten, dem bisher ein Vizepräsident zur Seite gestellt war. Die Vertretungs- und Beratungstätigkeit wird von dem in Abteilungen und Organisationseinheiten gegliederten höheren Dienst verrichtet. Die Anordnungen für den Dienstbetrieb erfolgen in Form von individuellen oder generellen Weisungen, welche durch Erlassung von Personal- oder Organisationsdirektiven erfolgen.

Das Bundesministerium für Finanzen hat als zuständige Zentralstelle im Frühjahr 2006 die Reorganisation der ihr organisatorisch nachgeordneten Finanzprokuratur eingeleitet. Dieser Organisationsreform war eine umfangreiche Evaluierung des derzeitigen Aufgabenbereiches und der  Voraussetzungen für eine effiziente Beratung und Vertretung der Mandanten der Finanzprokuratur vorausgegangen. Im Rahmen dieser Evaluierung wurden unter Begleitung eines externen Beraters verschiedene Varianten einer zukünftigen Organisation untersucht, wobei alle in Betracht kommenden Alternativen, so unter anderem die Überführung der derzeit wahrgenommenen Aufgaben in eine vom Bund verschiedene Rechtsperson (Ausgliederung) oder die Zusammenlegung der in der Bundesverwaltung bereits jetzt vorhandenen Einrichtungen, die rechtsberatend tätig sind (Verfassungsdienst, Völkerrechtsbüro), in eine organisatorische Einheit, als Varianten geprüft wurden. Nach der Untersuchung ist gesichert, dass durch eine sogenannte Organisationsprivatisierung der Aufgabenbereich der Finanzprokuratur wesentlich eingeschränkt und dadurch die effektiv von der Finanzprokuratur zu lukrierenden Einnahmen dramatisch zurückgehen würden. Die damit zwangsläufig verbundene Minderung des Deckungsgrades für die Ausgaben und damit des Budgetsaldos (Flexibilisierungsverordnung) würde zu einer Belastung des Bundeshaushaltes führen. Gleichzeitig könnte gerade das aus wirtschaftlicher und rechtlicher Sicht angestrebte Ziel einer Ausweitung der Beratung und Vertretung von ausgegliederten Rechtsträgern nicht erreicht werden.

Dass die Form eines neuen Gesetzes gewählt wurde anstelle einer Novelle zum derzeitigen Prokuraturgesetz, liegt darin begründet, dass durch ein einheitliches Gesetz, das die Stellung der Finanzprokuratur abschließend regelt, zugleich die Zusammenführung derzeit verstreuter Bestimmungen (etwa betreffend Grundausbildung, Zuständigkeiten, ua.) ermöglicht wird und auch die Neuordnung der Aufgaben und der inneren Organisation der Finanzprokuratur besser verdeutlicht wird.

Der Rechnungshof hat zuletzt im Jahr 2006 die Organisation der Finanzprokuratur einer Überprüfung unterzogen. Der Bericht des Rechnungshofes vom Juli 2007 (Reihe Bund 2007/10) bestätigt nicht nur die im Ressortbereich des Bundesministeriums für Finanzen vorgenommene Evaluierung, sondern stimmt in seinen Empfehlungen mit den Zielsetzungen, die das vorliegende Bundesgesetz leiten, überein.

Der Rechnungshof hat grundsätzlich die Bündelung von Prozessvertretungen und Beratungskompetenz bei der Finanzprokuratur als sinnvoll und damit positiv hervorgehoben. Insbesondere ist die Finanzprokuratur als Bestandteil der Bundesverwaltung auf Grund ihrer Stellung mit dem Verwaltungsaufbau und den -abläufen vertraut. Dies erspart den Mandanten laut Rechnungshof zeitaufwändige Informationen über allfällige Besonderheiten des Bundes. Ferner wurde positiv hervorgehoben, dass die Finanzprokuratur nicht gewinnorientiert arbeitet, was ihr die Möglichkeit eröffnet, in aussichtslosen Fällen prozessvermeidend und damit kostensparend zu agieren. Als zentrale Anlaufstelle im Aufforderungsverfahren trägt die Finanzprokuratur ferner zu einer bundesweit einheitlichen Vorgehensweise und zu einer Gleichbehandlung der Antragsteller bei.

Neben positiven Aspekten hat der Rechnungshof insbesondere folgende Punkte bemängelt bzw. in seinen Schlussbemerkungen unter anderem empfohlen:

-       den Organisationsaufbau zu verändern, die Strukturen zu verflachen und sowohl die Anzahl der Abteilungen als auch die Anzahl der leitenden Organe um rund die Hälfte zu reduzieren;

-       die Entlastung der Prokuraturanwälte von nicht anwaltlichen Tätigkeiten durch interne Umschichtung von Aufgaben und personellen Ressourcen;

-       den Ausbau der Weiterbildung;

-       eine rechtliche Klarstellung des Mandantenkreises herbeizuführen und auf eine generelle Ermächtigung der ausgegliederten Rechtsträger zur Inanspruchnahme von Vertretungs- und Beratungsleistungen der Finanzprokuratur hinzuwirken sowie

-       die veraltete Prokuraturverordnung an die Praxiserfordernisse anzupassen.

Grundsätzliche Ziele, die mit einer Restrukturierung verfolgt werden:

-       Stärkung der Stellung der Finanzprokuratur als kompetenter, effizienter und moderner Dienstleister für den Bund und für jene Rechtsträger, die vom Bund beherrscht werden und dessen Aufgaben erfüllen;

-       Festigung und Ausbau der Finanzprokuratur als Vertrauensanwalt ihrer Kunden, der als zentraler Ansprechpartner den Bund und die von ihm ausgegliederten Rechtsträger in allen Bereichen rechtlich vertritt und berät;

-       trotz grundsätzlicher Abdeckung aller Rechtsgebiete (jedenfalls „Ersthelfer“) erfolgt eine dynamische Erweiterung und weitere Spezialisierung in einzelnen Rechtsgebieten (abgestimmt auf die Bedürfnisse der Mandanten);

-       Verstärkung der Koordinierungsfunktion für die Mandanten;

-       Ausbau der Finanzprokuratur als unbürokratische und zentrale Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger bei Geltendmachung von Ansprüchen gegen ihre Mandanten (One Stop Shop);

-       verstärkte Betreuung von ausgegliederten Rechtsträgern;

-       Klarstellung und Kodifizierung der in unterschiedlichen Materiengesetzen enthaltenen Einschreitungsbefugnisse;

-       Erreichung einer höheren Kostendeckung durch kostenbewusste Aufgabenübernahme und -erfüllung;

-       Einführung einer mit der des Bundes kompatiblen, effizienten und aussagekräftigen Kosten- und Leistungsrechnung sowie

-       größere Flexibilität und bessere Erreichbarkeit der Bediensteten auch außerhalb der Kernarbeitszeiten.

Der Finanzausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 1. Juli 2008 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter die Abgeordneten Dr. Peter Fichtenbauer, Dr. Johannes Jarolim, Josef Bucher, Mag. Bruno Rossmann, Lutz Weinzinger, Marianne Hagenhofer und Mag. Kurt Gaßner sowie der Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen Dr. Christoph Matznetter.

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf mit Stimmenmehrheit angenommen.


Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Finanzausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (609 der Beilagen) die verfassungs­mäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2008 07 01

                       Mag. Peter Michael Ikrath                                            Dkfm. Dr. Günter Stummvoll

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann