Bundesrat Stenographisches Protokoll 617. Sitzung / Seite 27

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

644/M-BR/96

Welche weiteren Schritte der österreichischen Außenpolitik sind geplant, das Vorhaben, die Vollbeschäftigung als Ziel in den EU-Vertrag aufzunehmen, bestmöglich zu unterstützen?

Präsident Josef Pfeifer: Herr Vizekanzler, bitte.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Wir haben ein gemeinsames Papier – die gesamte Bundesregierung und ich dann als Sprecher Österreichs – in der Regierungskonferenz vorgetragen, das interministeriell abgesegnet ist, das heißt Verankerung des Ziels der Vollbeschäftigung im EU-Vertrag. Damit stehen wir allerdings mit den Belgiern völlig allein da. Die anderen treten nur für das Ziel einer hohen Beschäftigung ein, was ich eigentlich ein bißchen komisch finde, denn wir haben ja im Artikel J.4 des Vertrages auch das Ziel des Friedens festgeschrieben, obwohl wir genau wissen, daß Friede genauso ein Endziel und nicht immer vollständig erreichbar ist. Daher meine ich, daß das Ziel der Vollbeschäftigung eigentlich im Europäischen Vertrag durchaus seinen Platz haben müßte. In diesem Punkt sind wir aber absolut isoliert.

Zweiter Punkt: Wir wollen ein eigenes Kapitel "Beschäftigung". Beschäftigungsfragen sollen nicht irgendwo zwischen der Berufsausbildung und der sozialen Verantwortung versteckt sein. Doch dieser Teil ist heftigst umstritten. Ich hatte allerdings im letzten Europäische Rat in Dublin den Eindruck, daß sich in dieser Frage eine gewisse Bewegung bemerkbar gemacht hat. So hat beispielsweise Bundeskanzler Kohl erstmals gesagt, er wolle darüber keinen Religionskrieg führen, er möchte aber wissen, was die konkreten Auswirkungen dieses Beschäftigungs-Kapitels sind. Sollte dies aber etwas kosten, dann seien die Deutschen dagegen, aber wenn das nur eine Zielformulierung ist, dann werde man keinen Religionskrieg führen.

Ich bin nicht sicher, ob das jetzt schon eine veränderte Position ist, aber ich hoffe es sehr, denn ich bin der Meinung – wobei ich auch glaube, daß man durch ein Beschäftigungs-Kapitel keinen einzigen Arbeitsplatz zusätzlich schaffen kann –, daß wegen der großen Sensibilität dieses Thema auf die europäische Ebene gehoben und in einem europäischen Grundsatzvertrag, wie es der Maastricht-Vertrag oder demnächst der Vertrag von Amsterdam sein wird, verankert werden muß.

Dann folgt natürlich die operationale Umsetzung: Die Kommission soll bei jedem Vorschlag, den sie macht, die Arbeitsplatzeffekte bewerten können. Wir wollen ein Monitoring, nationale Pläne, jedes Jahr eingereicht, im Rat beraten, und zwar in einem gemeinsamen Rat der Arbeitsminister, Sozialminister, Finanz- und Wirtschaftsminister, eine Beratung auch auf Expertenebene und natürlich auch in der Kommission und konkrete Vorschläge auch von den anderen Mitgliedstaaten.

Präsident Josef Pfeifer: Eine Zusatzfrage? – Bitte.

Bundesrat Karl Drochter: Herr Bundesminister! Es gibt Meinungen in Europa, aber auch in Österreich, daß sich durch die geplante Ostintegration die Beschäftigungssituation in Europa – und somit auch in Österreich – wesentlich verschlechtern könnte. Es ist zu erwarten, daß es in manchen wirtschaftlichen Bereichen zu schockartigen Belastungen kommt, die in der Folge auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Europa und auch in Österreich haben werden. Welche Maßnahmen sind im Zusammenhang mit der Osterweiterung in der EU, aber auch in Österreich geplant?

Präsident Josef Pfeifer: Bitte, Herr Vizekanzler.

Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel: Zunächst einmal würde ich diese These in Frage stellen, ob das tatsächlich so sein wird. Alle Ökonomen sagen übereinstimmend, daß durch eine Erweiterung der Union, wenn man es richtig macht – in Frage kommen nur jene Staaten, die fähig sind, sich zu integrieren, die den Acquis Communautaire, den Binnenmarkt akzeptieren und die wirtschaftlich einigermaßen konkurrenz


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite