Auftakt zu den Beratungen über EU-Austritts-Volksbegehren
Wien (PK) – Mit einem Hearing leitete der Verfassungsausschuss heute den parlamentarischen Verhandlungsprozess über das EU-Austritts-Volksbegehren ein und erteilte ExpertInnen das Wort. Stefan Griller (Universität Salzburg), Gerhard Hesse (Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt), Eva Lichtenberger (ehemalige Abgeordnete zum Europäischen Parlament), Sigmar Stadlmeier und Yvonne Toncic-Sorinj (Leiterin der EU-Grundsatzabteilung im Außenministerium) unterzogen dabei das Thema EU-Austritt aus ihrer fachlichen Sicht einer kritischen Bewertung. Die Bevollmächtigte des Volksbegehrens Inge Rauscher legte Protest gegen das Procedere im Ausschuss ein und beklagte, die Proponenten der Initiative hätte gegenüber Regierung und Parlamentsfraktionen nicht ausreichend Möglichkeit, ihr Anliegen zu vertreten. Sie sprach von einer "parlamentarischen Farce" und zog gemeinsam mit ihrem Stellvertreter Helmut Schramm noch vor der Anhörung der ExpertInnen aus dem Ausschuss aus.
In der heutigen Sitzung traf der Ausschuss noch keine endgültige Entscheidung über das Volksbegehren. Die Abgeordneten verständigten sich vielmehr darauf, zunächst noch schriftliche Stellungnahmen einzuholen, und richteten entsprechende Ersuchen an das Bundeskanzleramt, das Wirtschaftsministerium, das Finanzministerium, das Sozialministerium, das Außenministerium, das Verteidigungsministerium und das Landwirtschaftsministerium. Bis spätestens 7.Februar 2016 muss der Verfassungsausschuss dem Nationalrat über das Ergebnis seiner Verhandlungen berichten.
4,12% der Wahlberechtigten fordern Volksabstimmung über Austritt aus der EU
Das Volksbegehren (781 d.B.), das von 261.056 ÖsterreicherInnen – 4,12% der Wahlberechtigten – unterzeichnet wurde, verlangt eine Volksabstimmung über einen Austritt aus der EU, wobei die InitiatorInnen vor allem das Argument vorbringen, es seien so gut wie alle Versprechungen vor dem EU vor 20 Jahren gebrochen worden. Statt des angekündigten Aufschwungs sei es zu einer Abwärtsbewegung Österreich gekommen – von der Landwirtschaft über die Umwelt bis hin zu den Bereichen Beschäftigung und Staatsverschuldung. Durch einen Austritt aus der EU könnte weiterer Schaden abgewendet werden, lautet die dem Volksbegehren zugrunde liegende Einschätzung.
Inge Rauscher kritisiert Hearing als "parlamentarische Farce"
In ihrem Statement vor dem Auszug aus der Sitzung bezeichnete Inge Rauscher das Volksbegehren als zutiefst demokratische Forderung und erinnerte an jüngste Umfragen, denen zufolge die Befürworter eines Austritts mit 45% der Gesamtbevölkerung bereits gleichauf mit den Austrittsgegnern liegen. Die Anliegen der Initiative seien mehr als berechtigt, gehe es doch um nichts weniger als um die Wiedergewinnung der Substanz eines freien, selbständigen und neutralen Österreich, um die Umkehr von Rekordarbeitslosigkeit und Rekordstaatsverschuldung, um den Wiederaufbau der volkswirtschaftlichen Basis, der mittelständischen Wirtschaft und der Ernährungssouveränität durch unsere Bauern. Angesprochen sind nach den Worten Rauschers aber auch die Abwehr des transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP sowie eine Neubesinnung auf die immerwährende Neutralität, die ihrer Meinung nach mit der EU-Mitgliedschaft und der Nähe der Union zur NATO unvereinbar sei.
Als unzumutbar und einer gelebten Demokratie unwürdig kritisierte Rauscher die vom Verfassungsausschuss gewählte Vorgangsweise für die Behandlung des Volksbegehrens. Die UnterstützerInnen würden gegenüber den ExpertInnen der Parteien zu wenig Redezeit erhalten, klagte sie. Durch die heutige Anhörung würde mehr als eine Viertelmillion ÖsterreicherInnen mundtot gemacht und deren VertreterInnen zu Statisten degradiert werden. Rauscher forderte die Beiziehung von ExpertInnen des Volksbegehrens in gleicher Zahl und mit gleicher Redezeit, wie für die von den Fraktionen nominierten ExpertInnen vorgesehen ist, und regte dafür eine weitere Sitzung des Verfassungsausschusses an. Das heutige Hearing sei bloß eine Farce und eine Selbstbeweihräucherung der Fraktionen, urteilte sie und verließ gemeinsam mit ihrem Stellvertreter Helmut Schramm aus Protest die Sitzung.
Stefan Griller: Argumente des Volksbegehrens sind "blanker Unsinn"
Das Volksbegehren gehe von falschen oder völlig verzerrten Prämissen aus, sämtliche von den InitiatorInnen vorgebrachten Argumente seien "blanker Unsinn", lautete der Grundbefund von Stefan Griller. Die makroökonomische Entwicklung werde von allen namhaften Fachleuten als positiv beurteilt, von einem allgemeinen Abschwung könne keine Rede sein. Österreich sei vielmehr einer der größten Profiteure der EU-Mitgliedschaft. Griller untermauerte dies durch den Hinweis auf die Steigerung des BIP von jährlich 0,9% und wies überdies auf die Schaffung von 18.000 Arbeitsplätzen pro Jahr hin. Die Arbeitslosenrate sei um 0,1% niedriger als bei einem Nicht-Beitritt, durch den EU-Beitritt habe sich überdies das Preisniveau um 0,2% reduziert. Als Nicht-Mitglied wäre Österreich in allen Bereichen schlechter dran, resümierte er.
Gerhard Hesse: Volksabstimmung kein praktikables Mittel für Austritt
Gerhard Hesse hielt einen Austritt aus der EU für rein rechtlich zwar möglich, sah dabei aber große Probleme in der Praxis. Aus verfassungsrechtlicher und innerstaatlicher Sicht sei eine Volksabstimmung über diese Frage jedenfalls mangelhaft, zumal Art. 50 der Bundesverfassung für eine Änderung der Vertragsgrundlage der EU eine andere Abstimmungsmodalität – nämlich eine 2/3 Mehrheit – vorsieht. Das Unionsrecht wiederum verfügt nach Einschätzung Hesses über ausreichende Instrumentarien, um auf durchaus berechtigte Kritik an der Politik Brüssels zu reagieren, betonte Hesse und wandte sich gegen eine Institutionendebatte in der EU. Für Änderungen mangele es am politischen Willen. Dieser könne nicht durch einen weiteren Konvent ersetzt werden, der zudem ja auch keinerlei demokratische Legitimation habe.
Eva Lichtenberger will auf Defizite in der EU durch demokratische Mitwirkung reagieren
Die entscheidende Frage für Eva Lichtenberger war, wie man Veränderungen in der EU herbeiführen und auf Defizite reagieren könne. Sie kam dabei zu dem Schluss, dass dies nur durch eine demokratische Mitwirkung in der Union möglich sei. Ein Blick in die Schweiz zeige nämlich, dass ein Nicht-Mitglied sehr viele von der EU erlassenen Gesetze autonom nachvollziehen muss. Für Österreich, das ja ökonomisch und politisch sehr stark mit den EU-Staaten verflochten ist, würde sich die Notwendig ergeben, seine Verbindungen zur Union über Verträge zu gestalten. Dies wäre dann aber einem diplomatischen Procedere unterworfen, dem es an Transparenz ebenso fehlt wie an einer demokratischen Komponente, argumentierte Lichtenberger.
Sigmar Stadlmeier: Austritt würde zu Verlust der Mitwirkung führen
Sigmar Stadlmeier ging in seiner Einschätzung von dem Umstand aus, dass Österreich wirtschaftlich zu 70% mit der EU verwoben ist. Ein Austritt wäre zwar theoretisch möglich, die entsprechenden Details müssten aber in einem Austrittsvertrag geregelt werden. Sollte es dabei zu keiner Einigung kommen, trete eine Fallfrist von 2 Jahren in Kraft, nach deren Auslaufen der Austritt wirksam wird. De facto hätte Österreich also 2 Jahre Zeit, sich auf den Austritt vorzubereiten. Ob man nun für eine EWR-Mitgliedschaft oder für ein Modell nach Schweizer Vorbild optiert, in beiden Fällen hätte Österreich keinen materiellen Einfluss auf die Gestaltung der Binnenmarktregeln und wäre damit wieder beim autonomen Nachvollzug der 80er Jahre angelangt, betonte Stadlmeier.
Yvonne Toncic-Sorinj: Bevölkerung würdigt positive Beitrittseffekte
Yvonne Toncic-Sorinj sprach ebenfalls von positiven Beitrittseffekten und nannte dabei neben der Wirtschaft den Wohlstand und den Modernisierungsschub in Verwaltung und Politik, hob aber auch die neuen Chancen für Studierende im Rahmen der Vernetzung mit Europa hervor. Die Vorteile der EU würden auch von der Bevölkerung gewürdigt, betonte sie und wies auf Meinungsumfragen hin, denen zufolge 67% für einen Verbleib in der EU und 42% für eine weitere Vertiefung der Union eintreten. Während sich zum Zeitpunkt des EU-Beitritts nur 11% der Bevölkerung als Europäer gefühlt haben, seien es jetzt bereits 77%.
Regierungsparteien für Weiterentwicklung der Zusammenarbeit in der EU
Der EU-Beitritt hat sich ausgezahlt, bestätigte in der Debatte auch SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Bestehende Defizite der Union können seiner Meinung nach nicht durch einen Austritt behoben werden, vielmehr bedürfe es einer Weiterentwicklung der EU im Sinne einer tieferen Integration vor allem in den Bereichen Rechtspolitik, Europapolitik und Sozialpolitik. Die positive Einschätzung Schieders teilte auch ÖVP-Mandatar Wolfgang Gerstl mit Blick auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Durch den verstärkten Austausch und den Abbau der Grenzen befinden sich die Menschen heute in einem Raum, den sie sich vor 30 Jahren noch nicht vorstellen konnten, fügte er an und erinnerte an die verstärkte Mobilität von Studierenden, Beschäftigten und Reisenden. Dazu komme noch die Sicherung von Frieden und Freiheit, die für Gerstl letztlich das entscheidende Argument für die Europäische Union darstellt. Es führe kein Weg an mehr Zusammenarbeit unter den EU-Mitgliedstaaten vorbei.
Grüne und NEOS wollen durch Mitwirkung innerhalb der EU auf Defizite reagieren
Nach Ansicht der beiden Grün-Abgeordneten Albert Steinhauser und Wolfgang Zinggl ist das Ringen um Ideen und Weltanschauungen in der EU, und nicht außerhalb zu führen. Auch in Österreich gebe es ja viel Unzufriedenheit mit der eigenen Politik, niemand käme deshalb aber auf die Idee, aus dem Land auszutreten. Mit den Volksbegehren auseinandersetzen will sich NEOS-Mandatar Nikolaus Scherak. Faktum bleibe aber, dass die Initiative von einer Minderheit unterstützt wurde und dass die Fraktionen im Parlament einen Austritt aus der EU ablehnen. Die Kritik an den Institutionen der EU sei aber berechtigt und müsse geführt werden. Dazu sollte man aber in der EU bleiben und nicht aus ihr austreten, zeigte sich Scherak überzeugt.
FPÖ und Team Stronach: Kritik an EU muss ernst genommen werden
Namens der FPÖ erinnerte Harald Stefan an die große Zahl von Unterstützungserklärungen und betonte, an erfolgreiche Volksbegehren müssten Konsequenzen geknüpft werden. Das verbreitete Misstrauen gegenüber der EU und die Bedenken der Bevölkerung sollten nicht einfach weggewischt werden. Vielmehr gelte es, im Parlament offen mit den Argumenten des Volksbegehrens umzugehen
Seitens des Team Stronach interpretierte Christoph Hagen das Volksbegehren als Protestkundgebung gegen Missstände in der EU, wie etwa Korruption und Lobbyismus. Dazu komme noch Kritik an der wirtschaftlichen Entwicklung, die Hagen als nachvollziehbar bezeichnete. Konkret erinnerte er an Kaufkraftverlust und Preissteigerungen seit dem Beitritt zur Euro-Zone.
Sonja Steßl: Politik muss positive Errungenschaften des Beitritts stärker betonen
Viele Menschen seien mit der EU unzufrieden, dieses schlechte Stimmungsbild dürfe man nicht einfach schulterzuckend zur Kenntnis nehmen, mahnte Staatssekretärin Sonja Steßl und sprach von einem Auftrag an die Politik, die positiven Errungenschaften des EU-Beitritts stärker herauszustreichen. Klar ist für sie dabei, dass manche EU-Entscheidungen zu früh gekommen sind, in anderen Bereichen hingegen ein Mehr an europäischer Integration durchaus wünschenswert gewesen wäre. Einen Austritt aus der EU lehnt Steßl aber mit Nachdruck ab. (Fortsetzung Verfassungsausschuss) hof