Parlamentskorrespondenz Nr. 277 vom 26.03.2015

Nationalrat unterstützt Ausbauplan für Hospiz- und Palliativangebot

Wien (PK) – 51 Empfehlungen hat die parlamentarische Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens" dem Plenum des Nationalrats unterbreitet. Darin findet sich an der Spitze die Forderung nach einem verbindlichen "Hospiz- und Palliative Care Stufenplan" bis 2020 unter Einbeziehung der Bundesländer, wobei die Abgeordneten unterstreichen, dass Kompetenzfragen zwischen den Gebietskörperschaften und Finanzierungsstrukturen kein Hindernis sein dürfen.

Demnach sollen in der ersten Etappe jeweils rund 18 Mio. € in den Jahren 2016 und 2017 zum Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung zusätzlich zum Status Quo eingesetzt werden. Diese Summe setzt sich aus 8,9 Mio. € für die Kinder- und Jugendversorgung, 17,8 Mio. € für stationäre und mobile Hospizversorgung und Palliativkonsiliardienste und 10 Mio. für Palliativbetten zusammen. Die Mittel für die erste Etappe der Umsetzung des Hospiz- und Palliativstufenplanes sollen Eingang in die Agenda der kommenden Finanzausgleichsverhandlungen und Verhandlungen mit den Sozialversicherungsträgern finden, heißt es im Bericht. Zur Unterstützung der Umsetzung schlagen die Abgeordneten vor, einen österreichweiten, unabhängigen Hospiz- und Palliativkoordinator bzw. eine –koordinatorin einzusetzen. Dem Nationalrat soll jährlich ein Bericht über den Fortschritt der Umsetzung vorgelegt werden.

Besondere Bedeutung wird von den Kommissionsmitgliedern auch einer entsprechender Aus- und Weiterbildung beigemessen, um die Hospizkultur und Palliative Care umfassend in die Grundversorgung zu integrieren. Im Hinblick auf die Versorgung zu Hause betrachten sie es als ein "Gebot der Stunde", Maßnahmen zu setzen, die zu einer vereinfachten und reibungslosen Zusammenarbeit zwischen PatientInnen, HausärztInnen, Angehörigen, Krankenkasse sowie Hospiz- und Palliativdiensten führen. Darüber hinaus sollen Hürden für die Patientenverfügung und die Vorsorgevollmacht abgebaut werden.

Während über diese Zielsetzungen Einigkeit unter den Kommissionsmitgliedern bestand, konnte kein Konsens über die Frage erzielt werden, ob das Verbot der Sterbehilfe verfassungsrechtlich verankert werden soll. Das Meinungsspektrum dazu reichte von einer Staatszielbestimmung über eine Beibehaltung der geltenden Gesetzeslage bis hin zur Forderung nach deren Lockerung. Jedenfalls zeigte die Diskussion in der Enquete-Kommission die Schwierigkeit auf festzulegen, inwieweit in diesem Bereich das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gehen soll. Der Bericht der Enquete-Kommission stellt dazu fest, dass es sich bei dieser Frage um eine rechtspolitische Entscheidung handle. Er weist aber auf die Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Nr. 1418/99 als wegbereitend hin, zumal darin festgehalten wird, dass die Würde von Todkranken und Sterbenden in jeder Hinsicht geachtet und geschützt werden muss. Konkret enthält der Text des Europarats drei Zielrichtungen: die Anerkennung und den Schutz des Anrechts eines Todkranken oder Sterbenden auf umfassende Palliativpflege, weiters den Schutz des Rechts auf Selbstbestimmung eines Todkranken oder Sterbenden, und schließlich die Bekräftigung des Verbotes der vorsätzlichen Tötung von Todkranken oder Sterbenden.

Bestmögliche Versorgung darf nicht vom Wohnort und von den ökonomischen Voraussetzungen abhängen

Der Bericht der Enquete-Kommission wurde einstimmig zur Kenntnis genommen. Von allen Rednerinnen und Rednern wurde die konstruktive Zusammenarbeit in der Enquete-Kommission sowie der menschliche und sachliche Zugang zu dem Thema hervorgehoben. Die Diskussion mit den zahlreichen Expertinnen und Experten habe das Thema aus der Tabuzone herausgeholt und Bewusstsein geschaffen, so der allgemeine Tenor. In diesem Sinne sprach die Vorsitzende der Kommission Gertrude Aubauer (V) von einem besonderen Tag für das Parlament. Alle sechs Fraktionen hätten dokumentiert, dass man zusammen stehe und niemanden am Ende des Lebens allein lassen wolle. Die Enquete-Kommission habe klare Empfehlungen mit einem konkreten Umsetzungsplan verabschiedet, um ein flächendeckendes Hilfsangebot zur Verfügung stellen zu können.  

Die Brisanz des Themas lässt sich vor allem auch daran festmachen, wenn man bedenkt, dass der österreichweite Bedarf an Hospiz- und Palliativversorgung erst zu 50% gedeckt ist. Außerdem finanzieren sich heute viele Einrichtungen in erster Linie durch Spendengelder.  Groß ist der Nachholbedarf im Hinblick auf die Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Besonderes Lob zollten die Abgeordneten daher den unzähligen freiwilligen Helferinnen und Helfern, ohne deren Engagement vieles nicht möglich wäre.

Die zu Wort gemeldeten Kommissionsmitglieder hielten mit Nachdruck fest, im Sinne der Selbstbestimmung und der Menschenwürde gehe es darum, auf die individuellen Bedürfnisse der Schwerkranken und Sterbenden Rücksicht zu nehmen und ihnen die Möglichkeit zu geben, möglichst schmerzfrei zu sterben. Jedem müsse, unabhängig vom Wohnort und vom persönlichen finanziellen Hintergrund, die Möglichkeit zur bestmöglichen Versorgung gegeben werden, unterstrich etwa SPÖ-Gesundheitssprecher Erwin Spindelberger die Empfehlungen. Auch dem Wunsch, in den eigenen vier Wänden zu sterben, solle in jedem Fall entsprochen werden können, wofür jedoch der Abbau einiger bürokratischer Hürden für die Hausärztinnen und Hausärzte notwendig wäre, merkte Erwin Rasinger (V) an. Jedenfalls müsse man bei der Hospiz- und Palliativversorgung weg vom Bettlerstatus hin zu einem regulärem Status kommen, sagte er.

Auf den enormen Fehlbedarf bei der Hospiz- und Palliativversorgung für Kinder und Jugendliche wies besonders Beate Meinl-Reisinger (N) hin. Sie appellierte an die zuständigen Ministerien und an die ParlamentarierInnen, nicht locker zu lassen, den betroffenen Angehörigen sowie den Kindern und Jugendlichen die notwendige Hilfe zukommen zu lassen.

Dem Nationalrat werde jährlich ein Bericht über die erfolgten Umsetzungsschritte vorgelegt, betonte dazu Gertrude Aubauer (V), nachdem vor allem Abgeordnete der Oppositionsparteien unterstrichen hatten, sehr genau darauf zu schauen, dass den Empfehlungen auch in der Realität entsprochen werde.

Die 18 Mio. € nicht aufzubringen, wäre eine Schande

Würdiges Sterben dürfe keine ökonomische Frage sein, darüber waren sich alle einig. Sollte es nicht gelingen, die 18 Mio. € für den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung aufzubringen, so wäre das eine Schande, stellte Erwin Rasinger (V) unmissverständlich fest und wies drauf hin, dass etwa die kostenlosen Zahnspangen das Dreifache kosten. Er zeigt sich damit eines Sinnes mit Ulrike Königsberger-Ludwig (S), die darauf drängte, dass sich Bund, Länder und Gemeinden so rasch wie möglich an einen Tisch setzen. Königsberger-Ludwig sprach damit, wie auch Eva Mückstein (G) und Gerald Loacker (N), die schwierige Kompetenzlage an. In diesem Zusammenhang drängten sowohl Loacker als auch Leopold Steinbichler (T) auf eine gute Lösung bei den Finanzausgleichsverhandlungen. Ebenso meinte Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F), bei Sterbenden und Schwerkranken zu sparen, wäre der falsche Weg. Kritik wurde dabei vereinzelt an Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser sowie an Sozialminister Rudolf Hundstorfer geäußert, die kurz nach Vorlage der Ergebnisse der Enquete-Kommission verlauten ließen, nicht über die nötigen finanziellen Mittel zu verfügen.

Weniger Hürden für Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

In der Diskussion wurde die Frage der Selbstbestimmung nicht nur in Bezug auf das flächendeckende Versorgungsangebot angesprochen. Dabei ging es zunächst darum, die Instrumente der Patientenverfügung und der Vorsorgevollmacht nicht nur durch verstärkte Information bekannt zu machen, sondern auch den Zugang dazu durch den Abbau bürokratischer und finanzieller Hilfen zu erleichtern, wie Ulrike Königsberger-Ludwig (S) sowie Daniela Musiol (G) und Katharina Kucharowits (S) betonten. Hier werden sowohl ÄrztInnen als auch NotarInnen ihren Beitrag dazu leisten müssen, merkte Michaela Steinacker (V) an.

Sterbehilfe bleib kontroverses Thema

Kontrovers wurde die Debatte im Hinblick auf den assistierten Suizid und Sterbehilfe. Während es seitens der ÖVP abgelehnt wurde, von der geltenden Gesetzeslage abzugehen, zeigten SPÖ-Abgeordnete Diskussionsbereitschaft in Hinblick auf eine Lockerung. Seitens der Freiheitlichen wurde explizit kritisch angemerkt, dass man das Thema in der Enquete- Kommission bewusst ausgespart hat.

Der österreichische Weg, nicht durch die Hand eines anderen, sondern an der Hand eines anderen zu sterben, müsse weiter gegangen werden, meinte etwa Franz-Joseph Huainigg (V). Den Menschen müsse man das Leiden nehmen, aber nicht Leidende abschaffen, sagte Wolfgang Gerstl (V) und für Erwin Rasinger (V) stellt etwa die gesetzliche Regelung in Holland einen Horror dar. Das Beispiel zeige deutlich, wenn man hier gesetzliche Regelungen trifft, kommt man auf eine schiefe Ebene, warnte er. Man schüre damit die Angst, dass allen Menschen gesagt wird, wann es Zeit ist zu gehen.

Im Gegensatz dazu meinte Johannes Jarolim (S), es gebe ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht auf Leben. Seine Klubkollegin Ulrike Königsberger-Ludwig (S) hielt dazu fest, Selbstbestimmung und Würde des Lebens seien untrennbar miteinander verbunden, und Katharina Kucharowits (S) regte an, Menschen, die mit Sterbenskranken in die Schweiz fahren, nicht mehr zu kriminalisieren.

Daniela Musiol von den Grünen appellierte in diesem Zusammenhang, sachlich über das Thema zu diskutieren, denn es gebe Menschen, die den Wunsch haben, früher zu sterben, als es der Gesundheitszustand vorsieht. Man dürfe auf keinen Fall PflegerInnen, ÄrztInnen und Angehörige mit dieser Frage alleine lassen, vielmehr sei es notwendig, darüber sachlich und wissenschaftlich fundiert über die Grenzen zu diskutiere. Dies wurde auch von Gerald Loacker (N) eingefordert. Die Frage der Selbstbestimmung am Ende des Lebens dürfe nicht auf der Strecke bleiben, so Loacker.

Team Stronach verlangt Statistik zu Schwangerschaftsabbrüchen und löst heftige Debatte aus

Zu großer Unruhe im Plenarsaal führte die Wortmeldung von Marcus Franz (T). Wie zuvor auch Franz-Joseph Huainigg (V) und Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) hielt er es für notwendig, nicht nur von der Würde am Ende des Lebens zu sprechen, sondern auch von der Würde am Anfang des Lebens. Huainigg und Belakowitsch-Jenewein traten dafür ein, diese Frage in einer weiteren Enquete-Kommission grundsätzlich zu erörtern.

Marcus Franz spitzte diese Debatte jedoch auf die Frage der Schwangerschaftsabbrüche zu und kritisierte scharf, dass es dazu keine Statistik in Österreich gebe. Eindringlich warnte er vor Tendenzen in der EU, den Schwangerschaftsabbruch zu einem Menschenrecht zu machen. Ein von ihm eingebrachter Entschließungsantrag, in dem er fordert, alle Schwangerschaftsabbrüche unter Wahrung der Anonymität persönlicher Daten zu erfassen und bundesweit flächendeckend eine anonyme Beratung für ungewollt Schwangere einzurichten, fand nur die Unterstützung der FPÖ und blieb somit in der Minderheit.

Nationalratspräsidentin Doris Bures sah sich aufgrund der Art seiner Ausführungen veranlasst, Marcus Franz aufzufordern, sich an das Thema zu halten, das durch den Bericht der Enquete-Kommission vorgegeben war, und bat ihn auch auf seine Wortwahl bedacht zu sein.

Die kritischen Reaktionen von Daniela Musiol (G), Ulrike Königsberger-Ludwig (S) und Beate Meinl-Reisinger (N) auf die Rede von Marcus Franz konnte dessen Klubkollege Leopold Steinbichler nicht nachvollziehen. E gehe hier um das Leben, argumentierte er und stimmte mit Franz darin überein, dass die Würde des Lebens nicht teilbar sei.  

Reges Interesse der BürgerInnen am Thema der Enquete-Kommission

Die Einsetzung der Enquete-Kommission war auf Antrag aller sechs Parlamentsfraktionen am 25. Juni 2014 einstimmig im Hauptausschuss des Nationalrats beschlossen worden. Insgesamt traten die Kommissionsmitglieder zehn Mal zusammen, in vier öffentlichen Sitzungen wurden zahlreiche Expertinnen und Experten mit anschließender Diskussion gehört.

Die Möglichkeit, seine Meinung auch außerhalb der Sitzungen mittels Stellungnahmen abgeben zu können, wurde von mehr als 700 Bürgerinnen und Bürgern genützt, womit die Bedeutung des Themas für die Menschen klar dokumentiert ist.  (Fortsetzung Nationalrat) jan