Arbeitsmarktprobleme der Baby-Boomer beschäftigen den Nationalrat
Wien (PK) – "Beschäftigung 50plus – wie Österreich später in Pension geht" lautete der Titel der Aktuellen Stunde zu Beginn der 61. Sitzung des Nationalrats. Das Thema hatte die SPÖ ausgewählt, deren Klubobmann Andreas Schieder das Ziel der Bundesregierung unterstrich, das faktische Pensionsantrittsalter bis 2018 von durchschnittlich 58,4 Jahren auf 60,1 Jahre anzuheben. Wichtiger als ein höheres gesetzliches Pensionsalter sei es, die Beschäftigtenquote älterer Arbeitnehmer zu erhöhen, um das Pensionssystem zu sichern, meinte Schieder.
Hohe Beschäftigungsquote Älterer sichert das Pensionssystem
Menschen länger im Arbeitsprozess zu halten, sei auch deshalb wichtig, weil die Arbeit ein identitätsstiftendes Merkmal in der Gesellschaft sei und Menschen über 50 berufliche Erfahrungen haben, die zum Vorteil der Betriebe genutzt werden können. Dabei gelte es aber, Fragen der Gesundheit zu beachten, insbesondere im Gastgewerbe und in Gesundheitsberufen, wo die Menschen aus gesundheitlichen Gründen früher in Pension gehen.
Voraussetzung für ein höheres Pensionsalter seien Jobangebote für ältere Menschen und Anreize für ArbeitnehmerInnen, nicht in Frühpension zu gehen. An dieser Stelle hielt der SPÖ-Klubobmann fest, dass das frühere Pensionsantrittsalter der Frauen wegen der noch nicht erreichten Gleichstellung im Arbeitsleben gerechtfertigt sei. Er lehne eine vorzeitige Anhebung des Frauenpensionsalters daher ab.
Dass die Arbeitslosigkeit älterer Menschen steige, zugleich aber auch die Beschäftigungsquote von ArbeitnehmerInnen über 50 hat laut Schieder konjunkturelle Ursachen. Dank spezieller Maßnahmen des Arbeitsmarktservice für ältere ArbeitnehmerInnen liege Österreich aber besser als andere EU-Länger. Schieder rief dazu auf, in der Debatte über das Pensionsantrittsalter nicht nur Zahlen zu diskutieren, sondern zu beachten, dass hinter jeder Zahl ein menschliches Schicksal stehe.
Maßnahmen zur Anhebung des Pensionsantrittsalters wirken
Sozialminister Rudolf Hundstorfer berichtete von Erfolgen auf dem Weg zu einem höheren Pensionsantrittsalter. Es sei gelungen, das durchschnittliche Pensionsantrittsalter um 13 Monate auf 59,8 Jahre anzuheben. Männer gehen derzeit mit 63,3 und Frauen mit 59,9 Jahren in Pension. Abgenommen habe auch die Zahl der Pensionsanträge und die Zuerkennung von Invaliditätspensionen. "Wir sind auf dem richtigen Weg, die Reformen wirken". Voraussetzung für ein weiteres Steigen des Pensionsantrittsalters sei die Unterstützung der Betriebe. Das Arbeitsmarktservice arbeite erfolgreich und habe im letzten Jahr 110.000 ArbeitnehmerInnen über 50 Jahren auf neue Arbeitsplätze vermittelt. Maßnahmen zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer rechneten sich, das investierte Geld komme durch Sozialversicherungsbeiträge, Steuern und durch die Einsparung von Arbeitslosenunterstützung zurück, sagte der Minister. Besorgt zeigte sich der Sozialminister wegen der starken Zunahme von Invaliditätspensionen wegen psychischer Erkrankungen.
Das österreichische Pensionssystem ist im internationalen Vergleich kostengünstig, sagte Hundstorfer mit Bezug auf diesbezügliche Diskussionen und klärte darüber auf, dass im Unterschied zu Schweden oder Dänemark die Invaliditätspensionen in Österreich im Rahmen der Alterspensionen finanziert werden.
Zur Debatte über eine Pensionsautomatik hielt Hundstorfer fest, dass kein Land der Welt ein solches System eingeführt habe und die Personalplanung der Wirtschaft schwierig wäre, würde sich das Antrittsalter ständig ändern. Auch ein Automatismus bei der Festsetzung der Pensionshöhe sei problematisch, immerhin habe der Nationalrat seit 2009 fünfmal eingreifen müssen, um Altersarmut zu verhindern. "Ein Pensionsautomatismus bringt nichts", zeigte sich Hundstorfer überzeugt und verteidigte entschieden das Bestehen des Umlagesystems bei der Finanzierung der Pensionen.
Bonus-Malus-System für die Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen
"Niemand will vorzeitig in Pension gehen", sagte Abgeordneter Josef Muchitsch (S). Es werde aber nur gelingen, die Generation 50 plus in Beschäftigung zu halten, wenn alle Beteiligten ihren Beitrag leisten. Die Politik müsse Rahmenbedingungen setzen und die Wirtschaft Arbeitsplätze anbieten. Dabei gab Muchitsch zu bedenken, dass ein Anheben des Pensionsantrittsalters nur dort möglich sei, wo dies gesundheitlich vertretbar sei. Mit einem Pensionsautomatismus könne man das Pensionsantrittsalter nicht erhöhen. Der Redner warnte vor einem Abbau des Vertrauensschutzes oder einer Erhöhung des Pensionsantrittsalters für Frauen. Sein Vorschlag lautete auf ein Bonus-Malus-System bei der Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen.
Strafen für Betriebe schaffen keine Jobs
Die aktuellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt sind kein österreichisches, sondern ein europäisches Phänomen, sagte Peter Haubner (V). Lösungen seien nur gemeinsam mit der Wirtschaft zu erreichen. Die Wirtschaft habe kein Interesse, ältere MitarbeiterInnen in Pension zu schicken, was man an der steigenden Beschäftigung von Menschen über 50 ablesen könne. Die Initiativen zur Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen seien erfolgreich, sagte auch Haubner. Er warnte davor, die Betriebe zusätzlich zu belasten. "Strafen schaffen keine Arbeitsplätze". Haubner verlangt Reformen im Pensionssystem, um Österreich von der Position des Europameisters bei den Frühpensionen wegzubringen. Sein Vorschlag laute auf Anreize für die Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen und auf eine Senkung der Lohnnebenkosten zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe.
Zuwanderung belastet den Arbeitsmarkt
Axel Kassegger (F) zeigte sich besorgt wegen des Explosion der Arbeitslosigkeit und warf der SPÖ vor, mit schönen Reden darüber hinwegtäuschen zu wollen, dass sich die Bundesregierung auf Ankündigungen beschränke, aber nichts gegen steigende Arbeitslosigkeit unternehme. Eine zu hohe Zuwanderung belaste den Arbeitsmarkt und in weiterer Folge das Sozialsystem. Zugleich steige die Arbeitslosigkeit, klagte Kassegger und regte eine Diskussion über die Effektivität der Arbeitsmarktverwaltung an.
Auch Grüne für Bonus-Malus-System
Judith Schwentner (G) hielt es für problematisch, dass ein Drittel der Menschen nicht aus ihrem Job heraus in Pension gehen, sondern aus der Arbeitslosigkeit. Die Abgeordnete schlug vor, alle Regelungen und Betriebsvereinbarungen nach Bestimmungen zu durchforsten, die verhindern, dass Menschen länger arbeiten. "Warum verabschiedet sich die Gemeinde Wien etwa grundsätzlich von jeder weiblichen Bediensteten über 60?", fragte Schwentner. Ein Bonus-Malus-System sei wichtig, um Anreize für die Betriebe zu schaffen, ältere ArbeitnehmerInnen zu beschäftigen. Auch über Pläne für eine Teilpension sollte die Regierung endlich Auskunft geben, verlangte Schwentner.
Standortpolitik schafft Arbeitsplätze
Die neue Klubobfrau des Team Stronachs, Waltraud Dietrich, sah Handlungsbedarf bei der Überwindung der Zwei-Klassen-Gesellschaft im Pensionssystem und kritisierte das niedrige Pensionsantrittsalter von 54,5 Jahren bei den Beamten der Gemeinde Wien. Die Sicherung des Pensionssystems erfordere die Einführung eines fairen Systems ohne Privilegien und Politik für den Wirtschaftsstandort. Denn durch wirtschaftspolitische Versäumnisse gehen jährlich 70.000 Jobs verloren, rechnete Waltraud Dietrich vor. Auch machte sie auf die enormen Probleme aufmerksam, die die Arbeitslosigkeit für jeden Einzelnen der 500.000 Betroffenen mit sich bringe, und kritisierte die aus ihrer Sicht oft nicht zielführenden Umschulungsmaßnahmen des AMS.
Junge zahlen die Rechnung für fehlende Reformen
Gerald Loacker (N) sah die Weigerung der SPÖ, die seit 1970 elf der 14 Sozialminister stellte, Reformen herbeizuführen und das Pensionssystem an die demographische Entwicklung anzupassen, als Ursache für die Probleme älterer Arbeitnehmer. Seine Kritik galt dem "Automatismus", auf den SPÖ und ÖVP im Pensionssystem setzten, dass nämlich die jungen Menschen die Kosten der Altersversorgung tragen müssen. Mehr Flexibilität für den Einzelnen schlug Loacker bei der Festlegung des Pensionsantrittsalters vor und verlangte einmal mehr, die Kammerumlage 2 zu streichen und die Wirtschaft zu entlasten.
Das unterschiedliche Pensionsrecht der Frauen ist gerechtfertigt
Demgegenüber verteidigte SPÖ-Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig die Sozialpolitik der SPÖ und ein solidarisches Sozialsystem, das die Menschen vor den Risiken des Lebens schütze, zu denen auch das Alter gehöre. Die SPÖ tritt für ein solidarisches Pensionssystem auf der Grundlage des Generationenvertrags ein. Bei der Sicherung des Pensionssystems müsse man die demographische Entwicklung im Auge behalten und für eine hohe Erwerbsquote sorgen. Gefordert sah Königsberger-Ludwig auch die Wirtschaft, denn die Menschen wollen weder vorzeitig noch als Arbeitslose in Pension gehen. Das unterschiedliche Pensionsantrittsalter der Frauen habe wegen der nach wie vor bestehenden Ungleichbehandlung der Frauen in der Arbeitswelt einen gesellschaftlichen Grund, es berücksichtige die Leistungen der Frauen bei der Kinderbetreuung und bei der Altenpflege. Eine Absage erteilte Königsberger-Ludwig auch Vorschlägen für eine Pensionsautomatik.
Handlungsbedarf wegen Arbeitslosigkeit älterer Menschen
August Wöginger (V) wertete die steigende Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen um 20.000 pro Jahr als Beweis dafür, dass die Maßnahmen für diese Gruppe greifen und das AMS seine Aufgabe gut erfülle. Angesichts von 30.000 Menschen über 50 Jahren, die zusätzlich arbeitslos wurden, sah Wöginger aber zugleich Handlungsbedarf. Die Baby-Boom-Generation kommt in die Altersgruppe über 50 und diese Menschen haben es sehr schwer, bei Arbeitslosigkeit einen neuen Job zu finden. Für Menschen mit psychischen Problemen schlug Wöginger eine verpflichtende Rehabilitation vor. Auch Vorschläge für eine Teilpension und für Anreize an die Betriebe, ältere Menschen zu beschäftigen, sah Wöginger positiv.
Werner Neubauer (F) konfrontierte SPÖ und ÖVP mit dem Vorwurf, in Unternehmen, auf die sie selbst Einfluss haben, Menschen frühzeitig in Pension zu schicken, beispielsweise bei der Post, wo ein 45-jähriger sein Recht auf Arbeit höchstgerichtlich durchsetzen musste. Rechne man die versteckte Arbeitslosigkeit zu den offiziellen Zahlen hinzu, ergebe sich eine Gesamtarbeitslosigkeit von über 700.000 Personen, kritisierte Neubauer und verlangte eine transparentere Arbeitslosenstatistik. Scharfe Worte fand der Redner auch für Privilegien bei der Nationalbank, wo Durchschnittseinkommen von 98.000 Euro bezahlt und Sozialleistungen in zweistelliger Millionenhöhe an Angestellte ausgeschüttet werden.
Mobbing von oben und wachsende Probleme mit dem Burnout
Eva Mückstein (G) befasste sich mit den oft schlechten Arbeitsbedingungen, die es älteren ArbeitnehmerInnen schwer machten, sich an ihren Arbeitsplätzen zu halten. Manche Arbeitgeber setzten bewusst Mobbing-Strategien ein, um ihre Personalstände zu reduzieren. Als Beispiel nannte die Abgeordnete eine Frau mit Betreuungspflichten, die mit gezieltem Mobbing in eine dramatische Burn-Out-Situation getrieben wurde. Mücksteins Vorschlag lautete, die gesellschaftlichen Kosten, die die Entlassung älterer ArbeitnehmerInnen verursache, den Betrieben anzulasten. Ältere Menschen brauchten altersgerechte Arbeitsbedingungen sowie eine gezielte Burn-Out- und Mobbingprävention, sagte Mückstein.
Rouven Ertlschweiger (T) führte aktuelle Probleme auf dem Arbeitsmarkt auf jahrzehntelange Reformversäumnisse zurück, die der Ausbruch der Krise dramatisch verschärft habe. Das "Zauberwort" für die Erhaltung von Arbeitsplätzen und einen gesunden Pensionsantritt laute "lebenslanges Lernen". Es sei nicht fair, dass die jungen Menschen die Kosten für ein durchschnittliches Pensionsantrittsalter von 58,6 Jahren tragen müssten. Außerdem vermindere jedes zusätzliche Arbeitsjahr das Alzheimerrisiko um 3%, sagte der Redner. Ertlschweiger drängte auf Anreize für die Betriebe, ältere ArbeitnehmerInnen zu beschäftigen, verlangte bessere AMS-Schulungen für Arbeitslose und regte eine Reform des Bildungssystems an, damit SchulabgängerInnen gute Chancen am Arbeitsmarkt haben.
Josef Schellhorn (N) konnte Vorschlägen zur Einführung eines Bonus-Malus-Systems bei der Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen nichts abgewinnen. Es würde Branchen, Regionen und Betriebe benachteiligen, für die ältere ArbeitnehmerInnen gar nicht zur Verfügung stehen. Es brauche eine Mentalitätsreform und Anpassungen an die neue Arbeitswelt. "Wir müssen es für die Menschen und für die Unternehmen einfacher machen zu arbeiten, dann wird die Zahl der ArbeitnehmerInnen über 50 rasch zunehmen", sagte Schellhorn.
In einer abschließenden Wortmeldung korrigierte Sozialminister Hundstorfer Aussagen des Abgeordneten FPÖ über Golden handshakes in Betrieben auf Kosten der SteuerzahlerInnen und erinnerte die FPÖ daran, dass sie dem Gesetz zur Senkung von Sonderpensionen nicht zugestimmt habe. Probleme bei der VOEST resultierten in erster Linie aus hohen Energiekosten, nicht aber aus den Kosten des Faktors Arbeit, hielt Minister Hundstorfer fest. (Fortsetzung Nationalrat) fru