Parlamentskorrespondenz Nr. 954 vom 23.10.2014

Nationalrat ebnet Weg für Zusammenlegung von Bezirksgerichten

Wien (PK) – Mit der Änderung eines Übergangsgesetzes aus dem Jahr 1920 legte der Nationalrat in seiner heutigen Sitzung die verfassungsrechtliche Basis für die Zusammenlegung von Bezirksgerichten. Damit entfällt nun die Bestimmung, der zufolge sich die Grenzen der politischen Bezirke und der Gerichtsbezirke nicht überschneiden dürfen. Grüne und NEOS sicherten mit ihrer Zustimmung dem Beschluss dabei die erforderliche Zweidrittelmehrheit. FPÖ und Team Stronach wiederum, die gegen die Gesetzesänderung votierten, scheiterten mit ihren im Zuge der Debatte eingebrachten Anträgen auf verfassungsrechtliche Bestandsgarantie für Gemeinden und Städte durch verpflichtende Volksabstimmung. Nicht durchsetzen konnten sich auch die Grünen, die ihrerseits in einer Initiative ein verfassungsrechtlich verankertes Mitbestimmungsrecht der Bevölkerung bei der Zusammenlegung von Gemeinden forderten.

Keine Hürden mehr für Zusammenlegung von Bezirksgerichten

Der Verfassungsgerichtshof hat in mehreren Erkenntnissen festgestellt, dass die in der Vergangenheit erfolgten Zusammenlegungen von Bezirksgerichten zum Teil unzulässig waren. Grund dafür war ein aus dem Jahr 1920 stammendes Übergangsgesetz, das normierte, dass sich die Grenzen der politischen Bezirke und der Gerichtsbezirke nicht schneiden dürfen. Die Koalitionsparteien haben bereits zu Jahresbeginn einen Anlauf unternommen, diese im Fachjargon als Überschneidungsverbot bezeichnete Bestimmung der Verfassung aufzuheben. Der entsprechende Gesetzesantrag landete aber nach Beratungen im Verfassungsausschuss in der Warteschleife, da es damals an der erforderlichen Zweidrittelmehrheit fehlte.

ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl erinnerte, 1920 sei es vor allem darum gegangen, ein Bezirksgericht mit der Postkutsche in einem Tag zu erreichen, und meinte, allein daran könne man schon erkennen, dass die Bestimmung längst obsolet sei. Den heutigen Beschluss sah er als Teil der Strukturreform in Richtung eines schlanken, effizienten und bürgernahen Staates. Es gehe heute darum, im Sinne einer modernen Justiz den Blick über die Bezirksgrenzen hinaus zu heben, pflichtete ihm auch seine Fraktionskollegin Michaela Steinacker bei. Das Überschneidungsverbot könne man dabei getrost den Rechtshistorikern überlassen, fügte die Justizsprecherin der Volkspartei an.

Dass man heute über Bezirks- und Landesgrenzen hinweg denken müsse, davon war auch SPÖ-Verfassungssprecher Peter Wittmann überzeugt, der die Gesetzesänderung vor allem auch unter dem Aspekt der Hebung von Sparpotenzialen begrüßte. Ein Schritt der Vernunft sei die Maßnahme, bestätigte Johannes Jarolim. Der Justizsprecher der Sozialdemokraten unterstrich überdies, heute brauche man keine unausgelasteten Kleinstgerichte mehr, sondern vielmehr Einheiten mit mindestens vier bis fünf RichterInnen, um auch eine entsprechende Spezialisierung zu ermöglichen.

Auch Grüne und NEOS unterstützen die Gesetzesänderung

Die Menschen interessiert nicht, ob ein Gerichtssprengel einen Bezirkssprengel überschneidet, entscheidend ist vielmehr die Erreichbarkeit des Bezirksgerichts, argumentierte namens der Grünen Albert Steinhauser. Das Vorgehen der Regierung im Vorfeld der Gesetzesänderung kritisierte er allerdings als Blamage. So habe man durch die Verordnung zur Gerichtszusammenlegung Fakten gesetzt, ohne über eine entsprechende Mehrheit für eine verfassungskonforme Lösung zu verfügen. Die Grünen haben, wie Steinhauser erklärte, im Ausschuss noch nicht zugestimmt, da die Koalition ihre Zusage zur Schaffung eines Minderheitsrechts auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gebrochen hatte. Nach der nunmehrigen Einigung in dieser Frage stehe einer Unterstützung der Gesetzesänderung durch seine Fraktion nichts mehr im Wege. Die Grünen zeigen damit, so Steinhauser, dass es mit ihnen nicht immer einfach ist, zu einer Mehrheit zu kommen. Hat man den Konsens aber erreicht, dann halte dieser auch.

In den Chor der Zustimmung reihte sich auch NEOS-Mandatar Nikolaus Scherak ein, der die Anpassung als inhaltlich völlig richtig würdigte, dabei aber nicht mit Kritik an der Regierung sparte. SPÖ und ÖVP hätten bei der Verordnung zur Gerichtszusammenlegung bewusst die Verfassung ignoriert, weil sie die erforderliche Mehrheit nicht zustande gebracht hatten, lautete sein Vorwurf.

Kritik von FPÖ und Team Stronach an Gerichtszusammenlegungen und Gemeindefusionen

Das von Grünen und NEOS kritisierte Vorgehen der Regierung bei der Zusammenlegung der Bezirksgerichte war Grund für FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan, gegen die Gesetzesänderung zu stimmen. Es sei der falsche Weg gewählt worden, beanstandete er. Anstatt zuerst die verfassungsrechtliche Grundlage entsprechend zu ändern und dann die Sprengel anzupassen, habe man mit der Verordnung bewusst einen Verfassungsbruch begangen und damit Rechtsunsicherheit in Kauf genommen. Stefan sah die Novelle des Übergansgesetzes aus 1920 aber auch im Zusammenhang mit der gestern beschlossenen Wertgrenzenanpassung in der Jurisdiktionsnorm und äußerte seine Befürchtung, es könnte nun zu weiteren Schließungen von Bezirksgerichten kommen.

Team Stronach-Abgeordnete Waltraud Dietrich, die ebenfalls gegen die vorliegende Änderung stimmte, gab der Debatte schließlich eine Wende in Richtung Gemeindefusionen und warf der Regierung vor, zwar immer viel von direkter Demokratie zu reden, bei den Zusammenlegungen dann aber über die Bevölkerung "drüberzufahren". Sie forderte ebenso wie Harald Stefan von den Freiheitlichen eine verfassungsrechtliche Bestandsgarantie durch eine verpflichtende Volksabstimmung bei der Zusammenlegung von Gemeinden. Das Thema Gemeindefusionen griff auch Werner Kogler seitens der Grünen auf. Er drängte auf ein verfassungsrechtlich verankertes Mitbestimmungsrecht der Bevölkerung im Falle einer Gemeindefusion. (Fortsetzung Nationalrat) hof