Wählen mit 16: Wahlbeteiligung der Jugendlichen ging zurück
Wien (PK) – Österreich hat im Jahr 2007 das Wahlalter gesenkt. Seither können alle ÖsterreicherInnen, die am Wahltag das 16. Lebensjahr vollendet haben, an Nationalratswahlen und anderen Urnengängen teilnehmen. Das ausgeweitete Wahlrecht wurde von den Jugendlichen zunächst gut angenommen, aber ist die Euphorie geblieben? Und wie schaut es generell mit dem politischen Interesse und Wissen von ErstwählerInnen aus? Eine von der Parlamentsdirektion in Auftrag gegebene und heute im Parlament präsentierte Studie zur Nationalratswahl 2013 zeigt aufschlussreiche Befunde.
Eines der zentralen Ergebnisse: Die Wahlbeteiligung der ErstwählerInnen lag 2013, anders als noch 2008, deutlich unter der allgemeinen Wahlbeteiligung. Das könnte daran liegen, dass die Politik und die Medien den 16- und 17-Jährigen dieses Mal weniger Aufmerksamkeit geschenkt haben als noch bei der letzten Nationalratswahl. Allerdings gaben 16- und 17-Jährige mit 63% sogar etwas häufiger an, an der Wahl teilgenommen zu haben, als 18- bis 20-Jährige (59%). Und auch in anderen Bereichen, etwa beim politischen Wissen oder beim politischen Interesse, konnten zwischen 16- bis 17-jährigen und 18- bis 20-jährigen ErstwählerInnen keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Auffallend ist, dass das politische Interesse der jüngsten WählerInnen rund um die Wahlen besonders stark gestiegen ist.
Ganz allgemein lässt die Studie den Schluss zu: Wer interessierter ist und wer sein Wissen besser einschätzt, geht eher wählen. Im Sinne einer höheren Wahlbeteiligung wäre es nach Meinung der Studienautorinnen also zielführend, Jugendliche vor den ersten Wahlen für Politik zu interessieren und ihnen Kompetenzen zu vermitteln. Vor allem bei Lehrlingen orten sie allerdings große Defizite. Während die meisten Schülerinnen und Schüler im Wahljahr in irgendeiner Form mit Politik im Unterricht bzw. an der Schule in Berührung kamen, waren es bei den Lehrlingen nur die Hälfte. Auch bei anderen Ergebnissen hinken die Lehrlinge den SchülerInnen deutlich hinterher.
Hier tue sich bereits in einem sehr jungen Alter eine große Kluft in der Gesellschaft auf, hält die Studie kritisch fest. Gehe man davon aus, dass Wählen ein Verhalten sei, das sich zur Gewohnheit herausbilden kann, wäre es denkbar, dass sich in Österreich mittelfristig eine schichtspezifische Wahlbeteiligung entwickle, heißt es warnend. Als gute Möglichkeit, Lehrlinge zu erreichen, heben die Autorinnen Jugendzentren hervor.
Einfluss auf das politische Interesse der Jugendlichen hat aber nicht nur die Schule, sondern auch die Familie. Wer noch mit den Eltern im Haushalt wohnt, diskutiert signifikant häufiger mit ihnen über Politik als jene, die bereits ausgezogen sind. Vor der Senkung des Wahlalters hing das politische Interesse der 16- und 17-Jährigen überhaupt fast ausschließlich vom Elternhaus ab. Politische Diskussionen mit FreundInnen scheinen hingegen keinen besonders hohen Stellenwert zu haben: 41 % der 16- und 17-Jährigen und 32 % der 18- bis 20-Jährigen gaben an, niemals mit ihren FreundInnen über Politik zu diskutieren, bei den über 30-Jährigen sind es mit 22 % deutlich weniger.
Ein gutes Zeugnis stellt die Studie dem Angebot des österreichischen Parlaments für Kinder und Jugendliche aus. Mehr als die Hälfte der ErstwählerInnen hat schon einmal das Parlamentsgebäude besucht, unter den SchülerInnen sind es sogar zwei Drittel. Ein Viertel gab an, die Demokratiewerkstatt des Hohen Hauses zumindest dem Namen nach zu kennen. Ebenfalls mehr als die Hälfte hat schon einmal eine Nationalratsdebatte im Fernsehen verfolgt. Auch hier gilt: je mehr Aktivitäten rund um das Parlament desto mehr politisches Interesse konnte beobachtet werden.
Was die Wirksamkeit politischer Beteiligung betrifft, scheinen ErstwählerInnen im Übrigen optimistischer zu sein als der Rest der Bevölkerung. Die Aussage "Politiker kümmern sich nicht um das, was Leute wie ich denken" fand bei ihnen deutlich weniger Zustimmung als bei anderen Befragten. Bemerkenswert ist auch die Beobachtung, dass junge Frauen zwar nicht schlechter über Politik informiert sind als Männer, ihre Selbsteinschätzung fällt aber deutlich negativer aus.
Erreichen die Politik und die Medien junge WählerInnen?
Vorgestellt wurde die Studie von Sylvia Kritzinger, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Wien. Bei einer daran anschließenden Diskussion ging es vor allem um die Frage, inwieweit Politik und Medien Jugendliche überhaupt erreichen. Wie Kommunikationswissenschaftler Matthias Karmasin ausführte, hat sich die Mediennutzung in den letzten Jahren stark verändert. Das Fernsehen ist bei jungen Menschen nicht mehr primäre Informationsquelle, sondern wurde vom Internet – inklusive der sozialen Medien – abgelöst.
Karmasin zufolge ist es empirisch belegt, dass politische Einstellungen auch durch das Mediennutzungsverhalten beeinflusst werden. Ob man Politik Lösungskompetenz zutraut, hänge nicht zuletzt davon ab, welche Medien man vorrangig nutze. Der Kommunikationswissenschaftler gab außerdem zu bedenken, dass die Ausübung des Wahlrechts nur eine von vielen Formen politischer Beteiligung ist und nicht notwendiger Weise etwas über das politische Interesse aussage, viele Jugendliche würden die sozialen Medien nutzen, um einen Diskurs über Freiheit und Gerechtigkeit zu führen.
Eine zentrale Bedeutung misst Karmasin der Medienkompetenz von Jugendlichen bei. Es habe sich gezeigt, dass Leute, die Medienkompetenz haben, sich stark für Politik interessieren und weniger politische Entfremdung empfinden, skizzierte er und appellierte in diesem Sinn, Politische Bildung mit einer Stärkung der Medienkompetenz zu verknüpfen. Die Politik sieht Karmasin auch insofern gefordert, als er es für essentiell hält, den BürgerInnen das Gefühl zu geben, dass sie MitautorInnen der Gesetze sind, denen sie sich unterwerfen müssen.
Für mehr Politische Bildung, vor allem an den Schulen, machte sich der Schüler und Blogger Konstantin Kladivko stark. Zudem äußerte er den Wunsch nach einer objektiven Kommunikationsplattform über Politik. Seiner Meinung nach sind junge Leute häufig zu wenig informiert, um politische Entscheidungen treffen zu können. Ob Wählen mit 16 sinnvoll ist, ließ er in diesem Sinn auch dahingestellt. Geringe Erfolgsaussichten misst Kladivko politischer Werbung in sozialen Medien bei, diese werden seiner Einschätzung zufolge nicht für Information über Politik genutzt.
SPÖ, ÖVP und Team Stronach wollen nicht am Wahlalter rütteln
An der Diskussion nahmen auch die JugendsprecherInnen der Koalitionsparteien und des Team Stronach teil. Keiner der drei Abgeordneten wollte dabei am "Wählen mit 16" rütteln. Es sei wichtig, dass die Jugendlichen möglichst früh beginnen, sich zu engagieren und sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen, argumentierte etwa ÖVP-Abgeordneter Asdin El Habbassi. Einig war er sich mit Katharina Kucharowits (S) und Rouven Ertlschweiger (T) aber darin, dass es an den Schulen mehr Politische Bildung brauche.
An die Medien und die BürgerInnen appellierte El Habbassi ein realistischeres Verständnis von Politik zu entwickeln und verwies in diesem Zusammenhang auf eigene Erfahrungen. Als seit Jahren aktiver Jugendlicher sei er immer wieder über die Maßen für sein ehrenamtliches politisches Engagement gelobt worden, schilderte er, nun, da er sozusagen vom Beruf Politiker sei, würde er ständig mit den gängigen Vorurteilen gegenüber PolitikerInnen konfrontiert, obwohl er im Grunde nichts anderes mache als zuvor.
Dass Jugendliche per se politisch desinteressiert seien, wollte keiner der JugendsprecherInnen bestätigen. Sie habe im Wahlkampf 2013 vielmehr genau das Gegenteil erlebt und ein eklatantes Interesse von Jugendlichen an Politik festgestellt, sagte Kucharowits. Was sie aus der Diskussion mitnehme, sei, dass es wichtig sei, verstärkt Lehrlinge anzusprechen.
Rouven Ertlschweiger ist überzeugt, dass Jugendliche sich dann für Politik interessieren, wenn sie das Gefühl haben, dass PolitikerInnen etwas verändern können. Das sei derzeit nicht unbedingt der Fall, meinte er. Als umso wichtiger erachtet er es daher, dass die PolitikerInnen verstärkt auf die Menschen zugehen und wieder "authentischer" werden.
Von Seiten des Publikums wurde unter anderem der dringende Wunsch geäußert, "Wählen mit 16" mit Politischer Bildung zu verknüpfen. Zudem wurde ein bessere Lehrerausbildung in diesem Bereich gefordert. Moderiert wurde die Diskussion, zu der Nationalratspräsidentin Barbara Prammer gemeinsam mit der Vereinigung der ParlamentsredakteurInnen eingeladen hatte, von ORF-Journalist Fritz Jungmayr.
Die Studie "Wählen mit 16 bei der Nationalratswahl 2013" wurde im Rahmen einer großen nationalen Wahlstudie (AUTNES) vom Department of Methods in the Social Sciences der Universität Wien (MeSoS Vienna) durchgeführt. Studienautorinnen sind neben Sylvia Kritzinger auch Eva Zeglovits und Patricia Oberluggauer. (Schluss) gs
HINWEIS: Fotos von der Studienpräsentation finden Sie im Fotoalbum auf www.parlament.gv.at.