Parlamentskorrespondenz Nr. 813 vom 20.11.2013

Europäische Lösungen bei Datensicherheit und Spionageabwehr nötig

Wien (PK) – Über die Tätigkeit der Geheimdienste wird im Parlament üblicherweise in abgeschirmten Räumen vertraulich gesprochen. Heute war das anders. Über die vom US-Amerikaner Edward Snowden ausgelöste Überwachungs- und Spionageaffäre und die Konsequenzen daraus debattierten die Abgeordneten heute in der Öffentlichkeit des Nationalratsplenums. Tenor der Diskussion war die Auffassung, dass Abhöraktivitäten ausländischer Geheimdienste in Österreich nicht toleriert werden können und es einer europäischen Lösung beim Schutz der Daten bedürfe. Außerdem ging es auch um die Frage einer Asylgewährung für Edward Snowden.   

Verteidigungsminister Gerald Klug schloss eine Bespitzelung von Menschen in Österreich durch das Heeresnachrichtenamt aus. Zur Kooperation mit der National Security Agency (NSA) wollte Klug im Plenum nicht detailliert Stellung nehmen, er sei aber jederzeit bereit, über diese Zusammenarbeit im geheimen parlamentarischen Unterausschuss Auskunft zu geben. Beim Thema Datensicherheit ließen sowohl Klug als auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ihre Präferenzen für eine europäische Lösung erkennen. Die Ministerin sprach sich für einen sicheren europäischen Datenraum aus und für gezielte Investitionen in die europäische Datensicherheit. Man soll "Alarmanlagen nicht bei potentiellen Einbrechern kaufen", formulierte Mikl-Leitner pointiert.

Gerald Klug: Zusammenarbeit mit NSA liegt im Interesse Österreichs 

Verteidigungsminister Gerald Klug erklärte den Abgeordneten zunächst die unterschiedlichen Aufgaben und rechtlichen Grundlagen der drei Organisationen, die in Österreich nachrichtendienstliche Aufgaben erfüllen: Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Innenministerium sowie das Heeresabwehramt (HAA) und das Heeresnachrichtenamt (HNA) im Landesverteidigungsressort. Das Nebeneinander verschiedener Nachrichtendienste entspreche internationalen Standards, verhindere eine Konzentration von Informationen sowie Ressourcen in einer Hand und vermeide Gefahr von Missbrauch, klärte Klug auf. Die Einrichtung einer "Superorganisation" sei aus demokratiepolitischen Gründen abzulehnen, sagte Klug.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung dient der Abwehr von Bedrohungen des Staates und der Abwehr von Spionage. Die Untersuchung angeblicher Spionagetätigkeit zähle aber ausdrücklich nicht zu den Befugnissen von HAA und HNA. Während das HAA dem Selbstschutz des Bundesheeres gegen Sabotage, Kriminalität und Cyber-Angriffen dient, befasst sich das Heeresnachrichtenamt mit der Aufklärung im Ausland und liefert Lageberichte für die politische und militärische Führung. Dies ist laut Klug etwa für die Sicherheit österreichischer Soldaten und Polizisten bei Friedensmissionen im Ausland sowie immer dann wichtig, wenn im Ausland entführte Österreicher gesund nach Österreich zurückgebracht werden sollen, zuletzt etwa aus dem Jemen.

Fallweise arbeiten österreichische Dienste auch mit Diensten anderer Länder zusammen, vor allem mit solchen, die gemeinsam mit Österreich Soldaten zu Friedensmissionen entsenden. Österreich arbeitet auch mit der National Security Agency (NSA) zusammen, die derzeit weltweit für Negativschlagzeilen sorge. "Diese Zusammenarbeit ist für die Sicherheit jedes einzelnen von uns wichtig", unterstrich Gerald Klug und sprach von einer Frage der nationalen Sicherheit Österreichs. Er sei jederzeit bereit, über alle Details dieser Zusammenarbeit im geheimen parlamentarischen Unterausschuss Auskunft zu geben.

In seinen weiteren Ausführungen plädierte Minister Klug bei den Fragen Spionageabwehr und Datensicherheit für eine europäische Antwort, weil einzelnen, vor allem kleinen Staaten das Gewicht dazu fehle. Dabei dürfe man auch andere Staaten als die USA nicht aus den Augen verlieren. Weiters stellte der Minister klar, dass "das Heeresnachrichtenamt "kein Handlanger der NSA" sei und fügte hinzu, dass das HNA keinerlei Befugnis habe, im Inland tätig zu werden. "Eine Bespitzelung von Menschen in Österreich durch das Heeresnachrichtenamt findet nicht statt", sagte der Minister. "Wir schöpfen keine Daten ab, wir hängen nicht an Glasfaserknotenpunkten und es existieren keine Programme wie Prism in Österreich". "Was wir nicht haben, können wir daher auch nicht an ausländische Dienste weitergeben". Anderslautende Behauptungen seien als "politisch motiviert" zurückzuweisen, sagte Klug und erläuterte an dieser Stelle das System der Kontrolle der militärischen Nachrichtendienste durch den zuständigen parlamentarischen Unterausschuss, durch Rechnungshof, Parlamentarische Bundesheerkommission und Unabhängigen Verwaltungssenat. Wir arbeiten auch mit der Staatsanwaltschaft zusammen, betonte Klug im Hinblick auf eine Anzeige des Abgeordneten Peter Pilz.

Mikl-Leitner: Datensicherheit wichtig für den Wirtschaftsstandort

Auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner erklärte die klar geregelten Aufgaben der nachrichtenendienstlichen Einrichtungen in Österreich beim Schutz vor illegalen nachrichtendienstlichen Tätigkeiten. Es geht um die Sicherheit von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung, um Einzelpersonen und um die Sicherheit von Daten der BürgerInnen. Jede dieser Einrichtungen unterstehe gesetzlichen Kontrollmechanismen und arbeite auf klar definierten gesetzlichen Grundlagen. Selbstverständlich arbeiten die drei Dienste zusammen, haben jeweils einen Rechtsschutzbeauftragten und unterliegen der parlamentarischen Kontrolle. Österreich könne aus Sicherheitsgründen auf diese Dienste nicht verzichten. Es sei notwendig, Nachrichten zu beschaffen und gefährdete Personen und Einrichtungen durch Prävention und Repression vor Bedrohungen zu schützen. Dem Schutz von wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Daten kommt wachsende Bedeutung für die Qualität des Wirtschaftsstandorts und die Erhaltung des Sozialsystems zu. Die Abwehr von Wirtschafts- und Forschungsspionage und dabei auch der Schutz der  Informationstechnologie werden immer wichtiger, betonte Mikl-Leitner. Daher befasse sich das "Kuratorium Sicheres Österreich" auch mit Fragen der digitalen Sicherheit.

Im Hinblick auf die NSA-Affäre sprach sich auch die Innenministerin nachdrücklich dafür aus, einen sicheren europäischen Datenraum zu schaffen und in die europäische Datensicherheit zu investieren. Konkret schlug Mikl-Leitner vor, europäische Produkte für den Schutz der Datensicherheit zu entwickeln, um der Gefahr entgegenzuwirken, "Alarmanlagen bei potentiellen Einbrechern zu kaufen". Es brauche einen europäischen Sicherheitsstandard anstelle von 28 nationalen Standards, forderte Mikl-Leitner: "An einer gemeinsamen Vorgangsweise in der Europäischen Union führt kein Weg vorbei". Für die Kooperation der Nachrichtendienste in Europa und für den Schutz der europäischen Technologie bedürfe es klarer gesetzlicher Bedingungen. In den letzten Monaten sei das Vertrauen auf dem Gebiet des Datensicherheit aus der Bahn geraten – das gelte es jetzt zu korrigieren, schloss Mikl-Leitner.

Scharfe Kritik von FPÖ und Grünen an Ausführungen der MinisterInnen

Im Rahmen der Debatte zeigten sich vor allem FPÖ und Grüne von den Erklärungen der beiden MinisterInnen enttäuscht. Anstatt die Abgeordneten und die Bevölkerung darüber zu informieren, wie weit die Zusammenarbeit der österreichischen Nachrichtendienste mit der NSA tatsächlich gehe und was getan werde, um illegale Abhöraktionen einzustellen, habe Verteidigungsminister Klug lediglich "um den heißen Brei herumgeredet", kritisierte etwa FPÖ-Chef Heinz-Christian-Strache. Und das, obwohl bekannt geworden sei, dass die österreichischen Dienste enger mit der NSA kooperierten als NATO-Partner der USA.

Sein Fraktionskollege Harald Vilimsky sprach von einem Skandal im Umgang mit dem Parlament und betonte, es gebe genügend Hinweise darauf, dass die USA Telefongespräche in Österreich abgehört und das Internet überwacht hätten. Für ihn ist es unverständlich, dass die österreichischen Sicherheitsbehörden nicht in jener Pötzleinsdorfer Villa "Nachschau gehalten haben", von der aus offensichtlich Abhöraktivitäten erfolgen.

Auch für den Sicherheitssprecher der Grünen, Peter Pilz, ist es evident, dass die USA gezielt Daten in Österreich mittels Antennenanlagen am Dach der amerikanischen Botschaft und in der Pötzleinsdorfer Villa abhören. Seiner Ansicht nach belügt Verteidigungsminister Klug die Abgeordneten außerdem, wenn er versichert, er gebe im geheimen Unterausschuss des Landesverteidigungsausschusses über die Zusammenarbeit des Heeresnachrichtendienstes mit anderen Nachrichtendiensten Auskunft. Klug habe dort weder die Kooperationsverträge offengelegt noch sagen wollen, mit welchen Staaten es überhaupt derartige Verträge gebe.

Abgeordneter Albert Steinhauser (G) erwartet, dass es über die Rolle Österreichs bei der Zusammenarbeit nationaler Geheimdienste noch weitere Enthüllungen geben wird. Sowohl seiner Meinung nach als auch nach Meinung von Abgeordnetem Pilz stehen die Freiheit der BürgerInnen und die Demokratie insgesamt auf dem Spiel. Es brauche, so Pilz, eine verantwortungs- und selbstbewusste Politik, um der Tendenz zur Massenüberwachung der Bevölkerung Einhalt zu gebieten.

Für seinen Vorwurf der Lüge an Klug handelte sich Pilz einen Ordnungsruf von Zweitem Nationalratspräsidenten Karlheinz Kopf ein.

SPÖ und NEOS zollen Edward Snowden Respekt

Seitens der SPÖ zollte Klubobmann Andreas Schieder dem Aufdecker Edward Snowden "für seinen Mut und Einsatz" Respekt. Wer die Wahrheit sage, sei kein Verbrecher und dürfe auch nicht als solcher behandelt werden, meinte er, blieb, was eine etwaige Asylgewährung für Snowden betrifft, aber vage. Diese Frage sei, so Schieder, keine Entscheidung der Politik. Generell bekräftige der SPÖ-Klubobmann, man müsse die richtige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit finden und den USA klar machen, dass Europa grundsätzlich ein anderes Verständnis von Datenschutz und Privatsphäre habe. Massenhafte Datensammlungen sind für ihn nicht tolerierbar.

Asyl für Edward Snowden kann sich neben FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache auch NEOS-Mandatar Nikolaus Alm vorstellen. Über diese Frage ernsthaft zu diskutieren, wäre nach Ansicht von Alm ein wichtiges Signal, dass Europa der Schutz der Privatsphäre wichtig sei. Wenn systematische Datensammlung weiter wie bisher toleriert werde, sei man bald im Jahr 1984 Orwellscher Zeitrechnung, warnte er.

NEOS-Chef Matthias Strolz forderte von der Bundesregierung mehr Mut, diese dürfe angesichts der bekannt gewordenen Aktivitäten der USA nicht weiter tatenlos bleiben. Unter anderem schlug er vor, das SWIFT-Abkommen mit den USA auszusetzen.

ÖVP: Für hohe Datensicherheit braucht es europäische Lösung

Einig ist sich Strolz mit der ÖVP, dass Datenschutz und Datensicherheit nur in europäischem Einklang gelöst werden können. Ein hohes Maß an Datensicherheit kann ÖVP-Abgeordnetem Werner Amon zufolge nur dann erreicht werden, wenn es europäische Datenhighways mit eigner Verschlüsselung gibt und strenge Strafen für Datenmissbrauch festgelegt werden. Zudem will er europäische IT-Unternehmen dabei unterstützen, eine europäische Suchmaschine zu entwickeln.

Ähnlich argumentierte auch seine Fraktionskollegin Dorothea Schittenhelm. Sie zeigte sich zudem über die öffentlich bekannt gewordenen Fakten besorgt und verlangte von den USA vollständige Aufklärung. Amon warnte allerdings davor, "in dumpfen Anti-Amerikanismus zu verfallen".

Auf einen europaweit hohen Datenschutzstandard drängte auch SPÖ-Abgeordnete Elisabeth Grossmann. Wenn Daten massenweise abgeschöpft und Glasfaserkabeln angezapft werden, komme man mit innerstaatlichen Instrumenten nicht weit, gab sie zu bedenken. Die europäische Datenschutzgrundverordnung ist für sie der richtige Weg, sie verwies allerdings auf großen Widerstand von Wirtschaftsseite.

Team Stronach für diplomatischen Protest

Wenig Verständnis für die gegen unbekannte Täter eingebrachte Anzeige zeigte TS-Abgeordneter Georg Vetter. Eine Strafanzeige sei nur Geldverschwendung, da sie entweder schubladisiert oder folgenlos bleiben werden werde, sagte er und sprach sich stattdessen dafür aus, den diplomatischen Weg zu beschreiten. Vetter zufolge werden die Geheimdienste ohnehin überschätzt, 90 % der gesammelten Informationen gingen auf Wichtigtuerei und Bestätigung der eigenen Existenzberechtigung zurück.

Nicht so entspannt zeigte sich TS-Klubobfrau Kathrin Nachbaur. Sie sieht in der verdachtsunabhängigen Speicherung von Daten und Abhöraktivitäten eine massive Bedrohung der Freiheit. Zudem befürchtet Nachbaur, dass die Unmengen von Daten, die von den USA gesammelt werden, im Sinne von Wirtschaftsspionage auch für Wettbewerbsvorteile der Wirtschaft genutzt werden.

Einberufung des Unterausschusses des Landesverteidigungsausschusses?

Abgeordneter Otto Pendl (S) regte die Einberufung des Unterausschusses des Landesverteidigungsausschusses für den 3. Dezember an. Dort könnten die schwierigen datenschutzrechtlichen Probleme diskutiert werden. Johann Höfinger (V) erinnerte an die wichtigen Schutzaufgaben, die ein Staat wie Österreich erfüllen müsse. Das brauche auch konstruktive Zusammenarbeit mit befreundeten Staaten und ihren Nachrichtendiensten. Wo Daten an den Rechtsgrundlagen vorbei gesammelt wurden, seien diese Vorgänge aber aufzuklären.

Die Abgeordneten der Opposition warfen in weiteren Wortmeldungen der Bundesregierung Versäumnisse vor und beklagten, dass die Arbeit des Parlaments in den zuständigen Ausschüssen behindert werde. So vermisste Mario Kunasek (F) Aussagen der Innenministerin zum Bereich des Schutzes der kritischen Infrastruktur, wo er viele Sicherheitslücken ortete. Das betreffe auch das Thema der Software, die im öffentlichen Bereich eingesetzt werden. IT-Firmen müssten entsprechend überprüft werden.

Abgeordnete Daniela Musiol (G) forderte wie ihr Vorredner die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle. Die Innenministerin habe nach Bekanntwerden der Abhöraffäre viel zu lange gezögert, Schritte zum Schutz der Privatsphäre der BürgerInnen zu setzen, die immer mehr gefährdet werde. Musiol sah hier eine Folge der Vorratsdatenspeicherung.

Christoph Hagen (T) kritisierte, dass auch die militärischen Geheimdienste dem Parteienproporz folgten und sich gegenseitig in ihrer Arbeit behinderten. Christoph Vavrik (N) ortete ein gestörtes Verhältnis zur Arbeit der Nachrichtendienste in Österreich. Der notwendige nachrichtendienstliche Austausch zwischen befreundeten Staaten habe seine Grenze dort, wo es um die Privatsphäre der BürgerInnen gehe. Der kalte Krieg sei längst vorbei, es sei daher zu klären, wie die Kooperation mit den USA heute aussehe, forderte er. (Fortsetzung Nationalrat) fru/gs/sox