Parlamentskorrespondenz Nr. 206 vom 13.03.2013

Bundesrat: Personennahverkehr soll im EU-Wettbewerb nicht entgleisen

Wien (PK) - Neben den angestrebten unionsweiten Vorschriften für Tabakwaren befasste sich der heutige EU-Ausschuss des Bundesrats intensiv mit dem einheitlichen europäischen Eisenbahnraum, den die EU-Kommission auf Schiene bringen will. Kritisch sahen mehrere BundesrätInnen die von der EU angepeilte Ausschreibungspflicht im gesamten innerstaatlichen Schienenpersonenverkehr und den dazu vorgeschlagenen Wegfall der Wahlfreiheit von Gebietskörperschaften, Personenverkehrsdienste im Wettbewerbsverfahren oder direkt zu vergeben. Neben diesen Kritikpunkten bemängeln die Ausschussmitglieder einstimmig in einer begründeten Stellungnahme auch, die regionale und lokale Selbstverwaltung bei der Daseinsvorsorge, wie sie der Vertrag von Lissabon vorsieht, werde mit den geänderten Bestimmungen umgangen.   

Eine rege Debatte entspannte sich zudem um ein Schreiben des irischen Ratsvorsitzes zum EU-Vorgehen gegen Falschetikettierung von Rindfleischprodukten.

EU will Eisenbahnnetz ohne Hindernisse für neue Bahnbetreiber

Das "Vierte Eisenbahnpaket" der Kommission zielt darauf ab, den gesamten inländischen Schienenpersonenverkehr in den EU-Mitgliedsstaaten ab 3. Dezember 2019 für neue Marktteilnehmer und Dienste zu öffnen, sodass nationale Monopole in diesem Bereich der Vergangenheit angehören. Das Kommissionsvorhaben umfasst Legislativvorschläge, mit denen im Sinne des Binnenmarkts Eisenbahnunternehmen EU-weit zu gleichen Bedingungen operieren können. Dazu will die EU sämtliche technische oder administrative Markteintrittshindernisse für neue Unternehmen beseitigen und hofft auf Qualitäts- und Effizienzsteigerungen durch den entstehenden Wettbewerb.

Nach den Vorstellungen der Kommission soll aus Wettbewerbsgründen auch für öffentliche, sogenannte gemeinwirtschaftliche Leistungen im Schienenpersonenverkehr Ausschreibungspflicht bestehen (COM(2013)28 final). Derzeit können Mitgliedsstaaten wählen, ob öffentliche Dienstleistungen des Schienenverkehrs außerhalb des städtischen Ballungsraumes, etwa S-Bahnen und Regionalzüge, per Ausschreibungsverfahren oder direkt vergeben werden. Ginge ein Eisenbahnunternehmen bei einer Ausschreibung allerdings leer aus, hätte laut EU-Vorschlag die zuständige Behörde das Restwertrisiko für die nicht benötigten Wagons und Lokomotiven zu tragen, müsste diese also auf Kosten der Allgemeinheit erwerben, machten die anwesende Arbeiterkammer-Expertin und ein Vertreter des Verkehrsministeriums geltend. Diesen Punkt im EU-Eisenbahnpaket bemängelte die Vorarlberger FPÖ-Bundesrätin Cornelia Michalke, obwohl sie den vermehrten Wettbewerb im Eisenbahnsektor generell positiv sah. Völlig werde man verstärkten Wettbewerb im Schienenverkehr zwar nicht aufhalten können, waren sich die Bundesrätinnen Elisabeth Kerschbaum (G/N) und Monika Mühlwerth (F/W) einig, es gelte jedoch, die notwendigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Auf die Anregung Kerschbaums, soziale und ökologische Qualitätskriterien festzulegen, bevor verpflichtende Ausschreibungen schlagend werden, wurde seitens der Arbeiterkammer zu bedenken gegeben, dass vorwiegend die Europäische Eisenbahnagentur (ERA) gemäß dem EU-Plan derartige Kriterien zu fixieren hat.

Die ERA soll als einzige Anlaufstelle für Fahrzeuggenehmigungen und Sicherheitsbescheinigungen von Eisenbahnunternehmen installiert werden, heißt es nämlich in weiteren Legislativentwürfen des Eisenbahnpakets (COM(2013) 27 final), (COM(2013) 30 final). Durch die für ganz Europa geltende Zulassung erwartet man nicht zuletzt eine Verringerung von Kosten und Dauer der Genehmigungsverfahren um jeweils 20%. Für die Implementierung einheitlicher Standards im transeuropäischen Eisenbahnsystem plant die Kommission, der ERA stärkere Befugnisse zur Überwachung der nationalen Vorschriften und der Beaufsichtigung staatlicher Sicherheitsbehörden zu geben. Aufheben will die Kommission die Möglichkeit staatlicher Ausgleichsleistungen für Zahlungsverpflichtungen bestimmter Eisenbahnbetriebe - wie besondere Familienzulagen und Renten -, die für Unternehmen anderer Verkehrsarten nicht gelten (COM(2013)26 final).

Außerdem regt die Kommission eine Trennung der Geschäftsbereiche Infrastruktur und Eisenbahnbetrieb an (COM(2013)29 final). Ob der im Legislativentwurf angegebene Zeitplan bis 2019 zu halten sei, wurde von den VertreterInnen des Verkehrsministeriums im Ausschuss allerdings in Frage gestellt, denn aus ihrer Sicht reichten die geplanten Fristen nicht für die Umsetzung der Regelungen im gesamten öffentlichen Personenverkehr der EU aus, wenn man die Qualität der Leistungen erhalten wolle.

Wettbewerb als Mittel zur Qualitätssteigerung?

Kundenzufriedenheit hänge gerade im Bahnverkehr nicht vom Grad der Liberalisierung dieses Bereichs ab, und wiege daher zahlreiche Nachteile einer Marktöffnung wie mögliches Preisdumping oder sinkende Beschäftigungsstandards durch Privatisierungen nicht auf. Damit ging die Expertin der Arbeiterkammer sehr kritisch auf die Bestimmungen im Entwurf zum Legislativpaket ein. Die Vertreterin des Verkehrsministeriums informierte den Ausschuss, die Verhandlungen auf EU-Ebene über das neue Eisenbahnpaket stünden erst am Beginn, die damit befasste Ratsarbeitsgruppe behandle derzeit als ersten Themenbereich technische Fragen zum Erreichen einer besseren Interoperabilität im Eisenbahnnetz der EU.

In ihrem verkehrspolitischen Weißbuch 2011 hält die EU fest, dass bis 2050 der Großteil der Personenbeförderung über mittlere Entfernungen auf die Eisenbahn entfallen sollte, was zur Reduktion der Treibhausgasemissionen um 20% beitragen würde. Bundesrätin Angelika Winzig (V/O) begrüßte vor diesem Hintergrund die Schritte zur Schaffung einheitlicher Voraussetzungen für den Bahnverkehr in Europa, nur so ließe sich die Bahn effizienter und attraktiver gestalten.

Bundesrat warnt vor übereilter Liberalisierung im Personennahverkehr

Der EU-Ausschuss des Bundesrats teilte in seiner begründeten Stellungnahme viele der Bedenken, die aus der gemeinsamen Stellungnahme aller Bundesländer sowie einer zusätzlichen Stellungnahme des Wiener Landtags zum Eisenbahnpaket hervorgingen. Regionale und lokale Gebietskörperschaften eigneten sich am besten dafür, den öffentlichen Personennahverkehr nach den Bedürfnissen und Präferenzen der Nutzenden zu gestalten, heißt es darin. Die völlige Marktliberalisierung im öffentlichen Personennahverkehr brächte dagegen möglicherweise Verschlechterungen der Qualität, Sicherheit, Leistungsfähigkeit und flächendeckenden Verfügbarkeit sowie eine Verteuerung der Leistungen mit sich. Die begründete Stellungnahme an EU-Institutionen über die Liberalisierung des nationalen Schienenverkehrsmarktes wurde vom Ausschuss einstimmig gebilligt.

Eine Abkehr von der derzeitigen Wahlfreiheit nationaler, regionaler oder lokaler Behörden, Dienstleistungen im Wettbewerb oder direkt an eigene Unternehmen zu vergeben, sei subsidiaritätsrechtlich nicht nachvollziehbar und unverhältnismäßig, widerspreche sie doch dem Vertrag von Lissabon, der das Recht auf kommunale Selbstbestimmung für Dienste der Daseinsvorsorge vorsieht, hob Bundesrat Stefan Schennach (S/W) hervor. Private Verkehrsunternehmen würden sich lediglich auf gewinnversprechende Routen konzentrieren, befand sein oberösterreichischer Parteikollege Werner Stadler, da sie nicht wie Staatsbahnen den politischen Auftrag hätten, ausreichende Verbindungen zum Nutzen der Bevölkerung anzubieten.

Bundesrat Franz Wenger (V/S) plädierte daraufhin dafür, die Diskussion über Vergabepraktiken öffentlicher Personenverkehrsdienstleistungen nicht auf den Eisenbahnsektor zu reduzieren und machte auf diesbezügliche Qualitätsprobleme im Busbereich aufmerksam, für den gemäß der heimischen Bundesvergabeverordnung Ausschreibungen vorgesehen sind.

Pferdefuß bei Rindfleisch-Kennzeichnung thematisiert

Wo Rind draufsteht kann auch Pferd drin sein. Diesen Anschein ergaben Anfang des heurigen Jahres Labortests bei einigen mit "Rindfleisch" gekennzeichneten Produkten in EU-Mitgliedsländern, die auf Pferdefleisch in den Waren stießen. Die Kommission initiierte daraufhin gemeinsam mit Lebensmittelexperten eine unionsweite Testreihe, um Fleischwaren auf Pferde-DNA und auf Spuren von Tierarzneimitteln zu überprüfen. Diese Informationen über die Entwicklungen des Pferdefleischskandals, übermittelt vom Rat der Europäischen Union (RAT 6644/13 ), veranlassten die Mitglieder des EU-Ausschusses sich näher mit dem derzeitigen Stand der Dinge auseinanderzusetzen. Im Rahmen des Kontrollverfahrens werden unionsweit ca. 2250 DNA-Tests an verarbeiteten Lebensmitteln zur Verifizierung der enthaltenen Tierart und rund 3000 weitere Proben bei Pferdefleisch auf verbotene Medikamentrückstände durchgeführt, berichtete eine Expertin des Gesundheitsministeriums. Zeitgleich mit dem Aktionsplan der EU laufen die Ermittlungen der Mitgliedsländer, um die Akteure des Fleischbetrugs ausfindig zu machen. Auch die europäische Polizeibehörde Europol ist in die Ermittlungstätigkeit eingebunden.

Österreich habe bereits vor Einlangen der entsprechenden Kommissionsempfehlung mit der Probeziehung an Fertigprodukten begonnen und es seien dabei keinerlei gesundheitsgefährdenden Fälle entdeckt worden, betonte die Expertin. Auch wenn es kein Gesundheitsrisiko bei heimischen Fleischwaren gebe, treffe der durch den EU-weiten Betrugsskandal verursachte Imageschaden österreichische Betriebe massiv, besonders jene im Exportgewerbe, machte Bundesrat Franz Perhab (V/St) aufmerksam. Der Überlegung des Bundesrats Stefan Schennach (S/W), mit einem einheitlichen staatlichen Gütesiegel ließe sich KonsumentInnenbetrug möglicherweise leichter unterbinden, konnte ÖVP-Bundesrat Martin Preineder (N) nichts abgewinnen. Er regte vielmehr an, das bestehende AMA-Gütesiegel noch mehr am Markt zu stärken, anstatt in die kostenaufwendige Bekanntmachung eines neuen Gütesiegels zu investieren.

Bezug nahm der Ausschuss auch auf ein Schreiben von Gesundheitsminister Alois Stöger an EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg, in dem er sich dafür ausspricht, dass zukünftig im Interesse der VerbraucherInnen die Herkunft von Fleisch auch bei verarbeiteten Lebensmitteln verbindlich anzugeben ist. Zudem sei es für die Erleichterung der Rückverfolgung von Fleischzutaten sinnvoll, eine unionsweite Datenbank zu installieren, in der alle Mitgliedsländer ihre Fleischlieferungen melden müssen. Dass jedenfalls bei den Kennzeichnungspflichten auf Fleischwaren Verbesserungsbedarf bestehe, bekräftigte Grünen-Mandatarin Elisabeth Kerschbaum (N). Bundesrätin Sonja Zwazl (V/N) meinte dazu, das österreichische Kontrollsystem für Nahrungsmittel, AGES, sei vorbildlich, es dürften der Wirtschaft deshalb nicht noch weitere Kosten für Überprüfungen aufgebürdet werden. (Schluss EU-Ausschuss) rei

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