Vorratsdatenspeicherung: Viel Skepsis bei Hearing im Justizausschuss
Bisher rund 200 Abfragen durch Justiz und Sicherheitsbehörden
Wien (PK) – Am 1. April dieses Jahres trat die umstrittene Vorratsdatenspeicherung in Österreich in Kraft. Seither sind Netzbetreiber verpflichtet, sämtliche Telefon- und Internetverbindungsdaten sechs Monate lang zu speichern und bei Bedarf den Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln. Bereits bei der Beschlussfassung des Gesetzes gab es heftige Kritik von vielen Seiten, zuletzt unterstützten mehr als 106.000 BürgerInnen eine parlamentarische Bürgerinitiative, die auf einen Stopp der Datensammlung drängt und aktive Schritte Österreichs zur Abschaffung der entsprechenden EU-Richtlinie einmahnt. Heute hielt der Justizausschuss des Nationalrats ein Expertenhearing zu dieser Initiative ab.
Dabei übte nicht nur der Vertreter der Bürgerinitiative Andreas Krisch Kritik an der Vorratsdatenspeicherung, auch zahlreiche Rechts- und DatenschutzexpertInnen aus Österreich und Deutschland stellten die Notwendigkeit und die Nützlichkeit der flächendeckenden Sammlung von Internet- und Telefonverbindungsdaten in Frage. So wies Michael Kilchling vom Max Planck Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg darauf hin, dass bisher keine einzige Studie die Sinnhaftigkeit der Vorratsdatenspeicherung belege. Auch eine von der EU-Kommission vorgelegte Evaluierungsstudie qualifizierte er als nutzlos, da sie unter anderem Verkehrs- und Vorratsdaten in unzulässiger Weise miteinander vermische. Christoph Tschohl vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte und der Präsident der Salzburger Rechtsanwaltskammer Leopold Hirsch sprachen von überschießenden Grundrechtseingriffen, die durch die Ziele der EU-Richtlinie nicht zu rechtfertigen seien. Kritisch äußerte sich auch Reinhard Kreissl vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie.
Bürgerinitiative fordert Evaluierung aller Überwachungsgesetze
Wie Bürgerinitiativen-Vertreter Krisch betonte, geht es der Bürgerinitiative zum einen darum, dass Österreich sich auf EU-Ebene für eine Abschaffung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einsetzt. Zum anderen urgierte er eine Evaluierung aller Überwachungsgesetze in Österreich. Nach Einschätzung von Gerhard Kunnert vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts ist die Chance für eine Richtlinienänderung derzeit allerdings gering. Ein entsprechender Vorstoß der EU-Kommission ist ihm zufolge aufgrund des massiven Widerstandes einiger EU-Staaten eingeschlafen. Wie Kunnert und Eva Souhrada-Kirchmayer von der Datenschutzkommission berichteten, wird vor allem in Polen exzessiv auf Vorratsdaten zugegriffen.
Verteidigt wurde die Vorratsdatenspeicherung von Vertretern des Justiz- und des Innenministeriums. So hielt Christian Pilnacek, Leiter der Sektion Strafrecht im Justizministerium, den Kritikern der EU-Richtlinie entgegen, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht diese als per se nicht grundrechtswidrig gewertet hat. Er und der Leiter der Rechtsabteilung für den Bereich Telekom und Post im Verkehrsministerium, Christian Singer, verwiesen außerdem auf umfangreiche datenschutzrechtliche Vorkehrungen in Österreich. So stellt laut Singer etwa eine beim Bundesrechenzentrum eingerichtete Datendurchlaufstelle sicher, dass kein direkter Datenzugriff von Behörden und Betreibern möglich ist. Zudem würden alle Zugriffe protokolliert. Er machte außerdem geltend, dass Österreich bei der Umsetzung der EU-Richtlinie sehr restriktiv vorgegangen sei und mit der sechsmonatigen Datenspeicherung die Minimalvariante gewählt hat.
Wie der Rechtsschutzbeauftragten des Justizministeriums Gottfried Strasser mitteilte, wurden ihm bis zum gestrigen Tag 188 Abfragefälle vorgelegt. Ende Oktober waren es 168, wobei in einem Fall ein Widerruf erfolgte. In drei Fällen dieser 168 Fälle ging es um Mord, in 58 um schweren Diebstahl, in 14 um schweren Raub, in 20 um Stalking, in 16 um schweren Betrug, in 20 um Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz und in 10 um Vergewaltigungen. In 19 Fällen sei bisher eine Aufklärung erfolgt, darunter in sieben Stalkingfällen. Als konkretes Beispiel für eine erfolgreiche Abfrage von Vorratsdaten nannte er etwa die Klärung eines Mordes, bei dem ein Handy geraubt wurde.
Der Rechtsschutzbeauftragte des Innenministeriums Manfred Burgstaller berichtete von 9 Vorratsdatenabfragen durch die Sicherheitsbehörden von April bis Ende September zur präventiven Abwehr von Gefahren, vier Mal ging es um die Zuordnung von IP-Adressen, fünf Mal um die Feststellung des Standorts eines Handys. Damit sei es etwa gelungen, den Urheber einer im Internet gefundenen Anleitung zur Anfertigung eines Bombengürtels zu eruieren und einen schwerkranken Mann zu retten.
Bisher kein missbräuchlicher Datenzugriff bekannt
Weder Strasser noch Burgstaller ist, wie sie erklärten, ein missbräuchlicher Datenzugriff bekannt, auch der Datenschutzkommission liegt laut Souhrada-Kirchmayer kein entsprechender Hinweis vor.
Seitens der Abgeordneten herrschte Konsens darüber, dass die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung fortgesetzt werden müsse, allerdings waren sich die Fraktionen über das Wie nicht einig. So forderten etwa die Justizsprecher der Grünen und der FPÖ, Albert Steinhauser und Peter Fichtenbauer, eine Vertagung der Beratungen, um eine gemeinsame Position für die weitere Vorgangsweise Österreichs auf EU-Ebene zu erarbeiten, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. Beide drängten zudem auf eine Evaluierung aller Überwachungsgesetze und –paragraphen in Österreich.
Als Ergebnis der Beratungen fasste der Ausschuss schließlich auf Initiative der Koalitionsparteien mit S-V-F-B-Mehrheit eine Entschließung. Darin ersuchen die Abgeordneten die zuständigen Regierungsmitglieder, nach Vorliegen der Ergebnisse der derzeit beim Europäischen Gerichtshof und beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahren zur Vorratsdatenspeicherung, etwaig notwendige Gesetzesänderungen vorzulegen, wobei sie vor allem den Aspekt der Datensicherheit hervorstrichen. In den Erläuterungen zum Entschließungsantrag wird außerdem explizit auf die vom Verkehrsministerium erlassene Datensicherheitsverordnung verwiesen. Die Bürgerinitiative wurde einstimmig zur Kenntnis genommen.
Gleich zu Beginn des Hearings hatte Ausschussvorsitzender Peter Michael Ikrath bedauert, dass das Hearing aufgrund der Geschäftsordnung des Nationalrats nicht öffentlich abgehalten werden kann. Er und die anderen Mitglieder des Justizausschusses hoffen, dass die Geschäftsordnung im Zuge der nächsten Reform entsprechend adaptiert werde.
Eingeladen zum Hearing waren neben dem Initiator der Bürgerinitiative Andreas Krisch die Rechtsschutzbeauftragten des Justizministeriums und des Innenministeriums, Gottfried Strasser und Manfred Burgstaller, Michael Kilchling (Max Planck Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg), Christof Tschohl (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte), Reinhard Kreissl (Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie), Leopold Hirsch (Österreichischer Rechtsanwaltskammertag), Eva Souhrada-Kirchmayer (Datenschutzkommission), Christian Pilnacek (Justizministerium), Verena Weiss (Innenministerium), Christian Singer (Verkehrsministerium) sowie Gerhard Kunnert vom Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt. (Fortsetzung Justizausschuss)