Ausbau der direkten Demokratie - Möglichkeiten und Grenzen
Wien (PK) – Mit einer Diskussion über die Ausweitung direktdemokratischer Instrumente startete heute der Nationalrat seine Plenarsitzung. Grundlage dafür war das Verlangen der FPÖ nach Abhaltung einer Aktuellen Stunde zum Thema: "Direkte Demokratie statt rot-schwarzem Reformstau, Herr Bundeskanzler!".
Strache: Volksabstimmungen ab 250.000 Unterschriften verbindlich machen
Eröffnet wurde die Debatte von Abgeordnetem Heinz-Christian STRACHE (F). Er hielt es für dringend erforderlich, über Fragen der direkten Demokratie zu diskutieren, da die Bundesregierung bei wichtigen Themen, die die Menschen maßgeblich betreffen, nach Meinung Straches die Bevölkerung einfach nicht mitreden lassen will. Diese Ignoranz erkenne man auch daran, dass bereits über 30 Anträge der Freiheitlichen betreffend die Durchführung von verbindlichen Volksabstimmungen immer wieder abgelehnt wurden. Aber nicht nur die österreichische Regierung betreibe eine Politik vom hohen Ross herab, generell befinde sich Europa – neben der Währungs- und Finanzkrise – in einer ernsthaften Demokratiekrise, urteilte Strache. Wenn Bundeskanzler Faymann sich dafür ausspricht, erst ab 700.000 Unterschriften für ein Volksbegehren eine verpflichtende Volksabstimmung durchführen zu wollen, dann sei das eine Verhöhnung der Menschen.
Die Freiheitlichen treten hingegen dafür ein, dass Volksabstimmungen ab 250.000 Unterstützungserklärungen verbindlich notwendig werden, weil auch 4 % der Stimmen ausreichen, damit eine Partei ins Hohe Haus einziehen kann. Die österreichischen BürgerInnen hätten zweifellos die Reife und das Recht, über wichtige Fragen – wie z.B. den Euro-Haftungsschirm, den EU-Beitritt der Türkei, wesentliche Änderungen der europäischen Verfassung - selbst zu entscheiden und wollten sich nicht mehr in allen Belangen fremd bestimmen lassen, ist der Klubobmann der Freiheitlichen überzeugt. Strache wiederholte noch einmal die zentralen Forderungen der FPÖ-Anträge zur direkten Demokratie. Er hoffe, dass diese Anliegen bald umgesetzt werden, sonst werde die Regierung die Rechnung bei den nächsten Wahlen präsentiert bekommen.
Faymann: Instrument der direkte Demokratie vernünftig einsetzen
Bundeskanzler Werner FAYMANN war überzeugt davon, dass über Fragen der direkten Demokratie und der stärkeren Mitwirkung der Bevölkerung sehr intensiv diskutiert werden müsse. Das Thema sei jedoch zu ernsthaft, um es einfach mit einigen Kalauern abzuhandeln, entgegnete er seinem Vorredner. Faymann trat zudem dafür ein, bei den Überlegungen sowohl die nationale als auch die europäische Ebene einzubeziehen, da man einem gemeinsamen politischen Lebensraum verpflichtet sei. Die Bevölkerungen verlange, dass die Politik handlungsfähig und wirksam agiert und dies sollte auch in der Diskussion berücksichtigt werden. Würde man zum Beispiel jedes Mal, wenn der Euro-Schutzschirm eingesetzt werden soll, eine Volksabstimmung durchführen, wie dies von den Freiheitlichen gefordert wird, dann habe man es mit 17 Ländern und mehr als 44 Parteien zu tun. Man könne sich wohl vorstellen, zu welchem Verzögerungsprozess dies führen würde, warnte der Bundeskanzler.
"Es mache absolut keinen Sinn", wenn Instrumente der direkten Demokratie dafür eingesetzt werden, um die politische Handlungsfähigkeit zu zerstören. Dennoch sei es völlig klar, dass echte Richtungsentscheidungen, wie etwa der Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, verpflichtend einer Volksabstimmung unterzogen werden sollen. Auch könnte sich der Bundeskanzler vorstellen, dass die direktdemokratische Verfahren in Österreich gestärkt werden. Was das Beispiel Schweiz betrifft, das kein EU-Land ist, so müsse man bedenken, dass die zahlreichen Volksbefragungen auch viele Nachteile mit sich bringen, argumentierte Faymann. So sei die Schweiz etwa gezwungen, hunderte Einzelverträge mit der Union abzuschließen, die zudem jedes Mal von der Bevölkerung unterstützt werden müssen. Generell seien jedoch nicht nur die Bundesregierung, sondern alle gewählten MandatarInnen aufgefordert, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie zwischen den Wahltagen, das vorhandene Instrument der direkten Demokratie eingesetzt, ausgebaut und vernünftig eingesetzt werden kann.
Die weitere Diskussion
Man solle nicht so tun, als ob es in Österreich keine direktdemokratischen Instrumente gebe, reagierte Abgeordneter Peter WITTMANN (S) auf die Ausführungen von Klubobmann Strache. Als Beispiele führte er die Volksbefragung, das Volksbegehren und die Volksabstimmung an. Alle diese drei Instrumente gibt es in Deutschland auf Bundesebene etwa nicht, zeigte der Redner auf. Österreich sei daher kein Schlusslicht in Europa in dieser Frage, sondern befinde sich im Spitzenfeld. Dennoch war Wittmann überzeugt davon, dass eine Weiterentwicklung der direktdemokratischen Verfahren kommen muss, die es aber nur auf Basis einer seriösen Diskussion geben und die nur schrittweise erfolgen kann. Was die Positionen der Freiheitlichen angeht, so sei es nie klar gewesen, über was konkret abgestimmt werden soll. Soll die Bevölkerung etwa über die Grundrechte befragt werden, oder über die Einführung der Todesstrafe, oder soll die Mehrheit über die Minderheit bestimmen, fragte der SPÖ-Mandatar. Seiner Meinung wäre es sehr gefährlich, einzelne Gruppen gegeneinander auszuspielen und sogar den Hass zwischen ihnen zu schüren. Außerdem müsse man bedenken, dass natürlich eher große Konzerne, Banken, Zeitungen etc., die schon bisher die wirtschaftliche Macht haben, die Möglichkeit haben, effiziente Meinungskampagnen durchzuführen.
Dass die derzeitigen demokratischen Strukturen nicht jenes Maß an Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen erlauben, wie es gewünscht oder gefordert wird, liege auf der Hand, meinte einleitend der Zweite Nationalratspräsident Fritz NEUGEBAUER (V). Vor allem die Jugend bringe sich vermehrt in das politische Geschehen ein und verlange eine sachkundige Auseinandersetzung mit dieser Frage, war der Redner überzeugt. Dabei gebe es zahlreiche Themen, die es wert sind, näher diskutiert zu werden, wie etwa die zunehmende Bedeutung des Internet, die Rolle des Parlaments oder die effizientere Gestaltung der europäischen Bürgerbeteiligung. Jedenfalls müsste die Debatte unter der Prämisse stehen, dass die stärkere Bürgerbeteiligung in Hinkunft nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellt; dann können adäquate Lösungen gefunden werden, stellte Neugebauer fest.
Es sei schon eine interessante Symbolik, wenn die ÖVP zu dem so wichtigen Thema "Reform und Weiterentwicklung der direkten Demokratie in Österreich" ausgerechnet den "größten Verwalter des Stillstands, den größten Reformverweigerer und größten Betonierer, den man in den eigenen Reihen hat" ans Rednerpult schickt, konstatierte Abgeordneter Herbert KICKL (F). Auch die Äußerungen von Seiten der SPÖ belegten, dass man die Bevölkerung nicht für klug genug hält, über wichtige Fragen, die ihr Leben massiv betreffen, zu entscheiden. Stattdessen führe der derzeitige Faymann-Kurs dazu, dass die Wahlurne zu einer Begräbnisstätte für jene Versprechen geworden ist, die vor der Wahl abgegeben wurden. Auch die bisherigen Vorschläge der Koalition zum Ausbau der direkten Demokratie könne man nur ablehnen, da es sich um Mogelpackungen handle, die Vetos eingebaut haben. "Dem Volk sein Recht zu geben, heißt dem Bundeskanzler und seinem Koalitionspartner die Macht zu nehmen", schloss Kickl.
Abgeordnete Daniela MUSIOL (G) forderte die Rückkehr zu einer seriösen Diskussion über die zahlreichen Vorschläge von allen Seiten. Für sie wäre es wichtig, noch in dieser Legislaturperiode einen Entwurf vorzulegen, über den natürlich eine Volksabstimmung abgehalten werden müsse. Im Gegensatz zu den Freiheitlichen sehe sie die direkte Demokratie zunächst einmal als Initiative von unten, die dann irgendwann auch in ein Gesetz gegossen werden soll. Allerdings gebe es auch klare Tabus, also Themen, die nicht zur Debatte stehen, konstatierte Musiol, und das seien die Menschen- und die Grundrechte. Die G-Abgeordnete warnte auch davor, direktdemokratische Verfahren als Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit einsetzen zu wollen, denn da brauche es viel umfassendere Gegenmaßnahmen. So müssten etwa Lösungen gefunden werden, um die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen zu schließen, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen, ferner die Umsetzung der Forderungen des Bildungsvolksbegehrens etc.
"Mit der Demokratie ist es nicht weit her in unserem Land", leitete Abgeordneter Josef BUCHER (B) seine Ausführungen ein. Die Vertreter der ÖVP wolle er nur an den EU-Wahlkampf erinnern, wo Othmar Karas zwar über 100.000 Vorzugsstimmen erhalten hat, dennoch aber Ernst Strasser nach Brüssel geschickt worden ist. Was die SPÖ und Bundeskanzler Faymann angeht, so verstehe er nicht, warum eine so große Angst besteht, die BürgerInnen über die eminent richtungsweisende Frage des europäischen Stabilitätsmechanismus abstimmen zu lassen. Bucher war sich jedoch sicher, dass sich die VertreterInnen der Koalitionsparteien bei der nächsten EU-Wahl dann wieder über das geringe Interesse und die niedrige Wahlbeteiligung beklagen werden. Eine bessere Einbindung der BürgerInnen sei unbedingt notwendig, die Bevölkerung habe einen gesunden Hausverstand, auf den man sich verlassen könne.
Abgeordnete Angela LUEGER (S) wies darauf hin, dass am 12. Oktober des Vorjahres eine Sondersitzung zu demselben Thema stattgefunden und Klubobmann Strache dieselben Forderungen wie heute erhoben habe. Interessant sei aber die Tatsache, dass die Freiheitlichen in der Zeit, als sie an der Regierung beteiligt waren, keine einzige Bürgerbeteiligung durchgeführt haben. Stattdessen werden jetzt in ganz Wien populistische Plakate affichiert, um daraus politisches Kleingeld zu schlagen, warf Lueger den Freiheitlichen vor. Da könne man nur den Eindruck gewinnen, dass die direkte Demokratie gar kein echtes Anliegen der FPÖ ist, sondern für die eigene Parteipolitik missbraucht wird. Die SPÖ verweigere sich keinesfalls einer Debatte über den Ausbau der direkten Demokratie, ganz im Gegenteil, unterstrich Lueger. Allerdings müsse das Thema sinnvoll, seriös, konstruktiv und ernsthaft behandelt werden.
Abgeordneter Johannes SCHMUCKENSCHLAGER (V) hielt es für notwendig, den Ruf der Politik zu verbessern und unterstrich die Vorschläge, die Staatssekretär Sebastian Kurz dazu kürzlich unterbreitet hat. Das Papier der ÖVP für mehr direkte Demokratie ziele auf breite Maßnahmen auf allen politischen Ebenen in Bund, Ländern und Gemeinden ab. Schmuckenschlager warnte davor, Demokratie nur als ein technisches Problem zu sehen; es gehe auch darum, die Menschen zu erreichen und zur Mitarbeit zu gewinnen. An dieser Stelle dankte der Abgeordnete den BürgerInnen, die in Wahlkommissionen mitarbeiten und dazu beitragen, dass demokratische Wahlen ordnungsgemäß stattfinden können. Auch das Parlament sei aufgerufen, den Kontakt zu den BürgerInnen zu halten und den Menschen zu erklären, wie Gesetze erarbeitet werden. Der Abgeordnete sprach sich auch dafür aus, den SteuerzahlerInnen die Möglichkeit zu geben, ihre Beiträge für bestimmte Zwecke zu widmen, plädierte für ein stärker persönlichkeitsorientiertes Wahlrecht und für mehr direkte Demokratie. Er wandte sich aber gegen ein Herunterlizitieren beim Zugang zu direktdemokratischen Instrumenten, weil dies dazu führen könnte, dass der "Fanclub von Rapid darüber entscheidet, ob das Horr-Stadion abgerissen wird oder nicht". Die Demokratie brauche Neuerungen, die Menschen brauchen aber auch mehr und bessere Information über bereits bestehende Möglichkeiten, sich an der Demokratie zu beteiligen, schloss Schmuckenschlager.
Abgeordneter Harald STEFAN (F) zeigte sich froh darüber, dass endlich wieder einmal über die direkte Demokratie diskutiert wird. Alle bekennen sich zur direkten Demokratie, interessant sei jedoch, wie nach dem "aber" argumentiert werde, das den Bekenntnisse meist folge. SPÖ und ÖVP warf Stefan vor, sie wollten glauben zu machen, die Mehrheit der Menschen – wohl auch die Mehrheit ihrer eigenen WählerInnen – würde die Todesstrafe einführen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. An dieser Stelle machte Stefan darauf aufmerksam, dass eine Volksabstimmung nur Fragen entscheiden könne, die auch im Nationalrat abgehandelt werden können. Der vorliegende Fiskalpakt wäre seiner Meinung nach ein gutes Beispiel für eine Volksabstimmung, denn das Beispiel Griechenland zeige, dass es vernünftiger gewesen wäre, die Griechen selbst über das Rettungspaket entscheiden zu lassen, statt diese Frage den "Experten" zu überlassen.
Die FPÖ verfolge ein klares Konzept und habe dem Nationalrat klare Anträge vorgelegt, die darauf abzielen, den BürgerInnen das Initiativrecht zu geben sowie die Möglichkeit, Beschlüsse eines Nationalrates aufzuheben, der sich völlig von der Bevölkerung abgehoben habe. Das Argument, die direkte Demokratie könnte die politische Handlungsfähigkeit beeinträchtigen, wies Stefan zurück und hielt fest: "Das Volk muss mitbestimmen können, wenn seine Interessen betroffen sind".
Abgeordneter Wolfgang ZINGGL (G) meinte, die Politikverdrossenheit habe viele Ursachen. Manche seien mit der Parteienlandschaft nicht zufrieden, andere entsetzt über die Korruptionsanfälligkeit der Politik. Jedenfalls werde immer deutlicher, dass das politische System mit den Möglichkeiten der Internet-Communities nicht Schritt halte – die Menschen wollen sich nicht länger von Parteien und Medien bevormunden lassen. Die Instrumente Bürgerinitiative und Petitionen hätten nicht den erwarteten Erfolg gebracht, sie würden in den zuständigen Gremien "abgewimmelt". Daher bestehe Bedarf an direktdemokratischen Instrumenten, zugleich aber auch an der Verbesserung des Repräsentativsystems, etwa durch öffentliche Verhandlungen der Ausschüsse und durch ein neues Wahlrecht, das es den BürgerInnen ermögliche, differenziertere Wahlentscheidungen zu treffen, etwa auch die Möglichkeit, bestimmte Parteien abzuwählen.
Abgeordneter Herbert SCHEIBNER (B) sprach diesem Vorschlag, "Minus-Stimmen" vergeben zu können, die notwendige Ernsthaftigkeit ab. Auch reiche es nicht aus, einfach zu sagen, wenn die Menschen häufiger abstimmen können, sei damit die Demokratie gerettet. Zu klären sei, wie man das Initiativrecht der Bevölkerung ausbauen und zugleich die Mitbestimmung der Menschen bei Entscheidungen im Parlament verbessern könne. Wesentlich sei aber, dass die Regierung endlich initiativ werde und Vorschläge zur Erneuerung Österreichs unterbreite, denn es sei dringend notwendig, die Verwaltung grundlegend zu reformieren. Visionäre PolitikerInnen seien auch in der Europäischen Union gefragt, die es neu zu ordnen gelte. Seine Fraktion stehe zur gemeinsamen Währung, habe aber verlangt, das Konzept der Währungsunion mit der Bevölkerung zu diskutieren, erinnerte Scheibner und zeigte sich überzeugt, dass eine solche Diskussion zu einer Lösung geführt hätte, die es ausgeschlossen hätte, dass Griechenland Mitglied der Europäischen Währungsunion wird. Das BZÖ wolle Hindernisse für Volksbegehren reduzieren und die Unterstützung per Internet ermöglichen.
Abgeordneter Robert LUGAR (o.F.) hielt es für bezeichnend, dass der Bundeskanzler auf Vorschläge der FPÖ zum Thema direkte Demokratie mit Worten wie "Chaos" und "Hass" reagiere. Ein Blick nach Griechenland zeige, worum es tatsächlich gehe. Dort wollte Ministerpräsident Papandreou das Volk entscheiden lassen, ob es von der EU "gerettet" werden will oder nicht. Die Griechen wollten das nicht, sagte Lugar und meinte, dies wäre eine gute Entscheidung gewesen, die Griechenland und Europa vieles erspart hätte. Direkte Demokratie sollte bedeuten, dass die Bundesregierung den Menschen alternative Lösungsmöglichkeiten vorlegt, über die das Volk abstimmen könne. Die Menschen können politische Entscheidungen treffen, weil sie wissen, dass sie die Konsequenzen ihrer Entscheidungen tragen und die Kosten bezahlen müsse, meinte Lugar. "Die Menschen können und wollen Schicksalsentscheidungen selbst treffen", schloss er. (Ende Aktuelle Stunde/Fortsetzung Nationalrat)