Verfassungsausschuss gibt grünes Licht für Verwaltungsgerichte
Wien (PK) – Die geplante Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit hat die erste parlamentarische Hürde genommen. Nach zwei Hearings (siehe PK-Meldungen Nr. 103/2012 und 205/2012) und intensiven Verhandlungen zwischen den Fraktionen stimmten die Mitglieder des Verfassungsausschuss es des Nationalrats heute einhellig für den von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf. Damit ist der Weg für einen Beschluss im Nationalrat Mitte Mai frei. Geplant ist die Einrichtung von je einem Verwaltungsgericht erster Instanz in den neun Bundesländern und zwei Verwaltungsgerichten erster Instanz beim Bund: sie sollen unter anderem die Unabhängigen Verwaltungssenate, den Unabhängigen Finanzsenat, das Bundesvergabeamt und zahlreiche sonstige weisungsfreie Sonderbehörden ersetzen.
In einzelnen Punkten, etwa hinsichtlich der Zuständigkeit für UVP-Angelegenheiten, nahmen die Abgeordneten noch Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf vor. Zudem fasste der Ausschuss, teils einstimmig, teils mehrheitlich, eine Reihe von Entschließungen und Feststellungen. Dabei geht es unter anderem um die Sicherung der Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichte, die Einführung einer so genannten "Gesetzesbeschwerde", Sachentscheidungen durch den Verwaltungsgerichtshof, das Disziplinarrecht für RechtsanwältInnen, den Instanzenzug im Universitätsbereich, den Ausbau der rechtlichen Stellung von Legalparteien und die Mitwirkung von fachkundigen LaienrichterInnen an der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Um die notwendige Disziplin beim Bundesheer nicht zu untergraben, treten die Abgeordneten weiters dafür ein, das bestehende Kommandantenverfahren möglichst unverändert beizubehalten.
Ausschussobmann Peter Wittmann (S) führt den einstimmigen Beschluss darauf zurück, dass in der Schlussphase der Verhandlungen alle Seiten Bereitschaft gezeigt haben, Kompromisse zu schließen. Er wertete die Gesetzesvorlage ebenso als großen Wurf wie ÖVP-Abgeordneter Wolfgang Gerstl und Staatssekretär Josef Ostermayer.
Auch die Oppositionsparteien zeigten sich mit der Einigung weitgehend zufrieden, auch wenn die Abgeordneten Herbert Scheibner (B) und Peter Fichtenbauer (F) auf einige aus ihrer Sicht bestehende "Wermutstropfen" verwiesen. So bedauerten sie etwa, dass es nicht gelungen sei, eine ausschließliche Bundeskompetenz für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu verankern. Seitens der Grünen machten die Abgeordneten Daniela Musiol und Albert Steinhauser geltend, dass nun viel davon abhängen werde, wie die neuen Bestimmungen in den einzelnen Materiengesetzen umgesetzt und wie die Verwaltungsgerichte organisiert sein werden.
Ziel der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist es, das Rechtsschutzsystem für die BürgerInnen auszubauen, Verfahren zu beschleunigen und den Verwaltungsgerichtshof zu entlasten. Auch international ist ein gerichtlicher Instanzenzug in Verwaltungssachen mittlerweile Standard. In Österreich wurde bereits seit Jahren über die Einrichtung von Verwaltungsgerichten 1. Instanz verhandelt, eine Einigung scheiterte bisher aber an Kompetenz- und Kostenfragen.
Mit der nunmehrigen Einrichtung von neun Landesverwaltungsgerichten und zwei Verwaltungsgerichten erster Instanz beim Bund – ein Bundesverwaltungsgericht und ein Bundesfinanzgericht - ("9+2-Modell") wird der administrative Instanzenzug in Verwaltungssachen weitgehend abgeschafft. Nur in Angelegenheiten, für die die Gemeinden zuständig sind, wird es noch Berufungsinstanzen im Bereich der Verwaltung geben. Zweite gerichtliche Instanz in Verwaltungsangelegenheiten ist dem Modell zufolge der Verwaltungsgerichtshof, er kann allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen angerufen werden, etwa wenn eine uneinheitliche Rechtsprechung vorliegt oder der Rechtsfrage aus anderen Gründen eine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Bei geringen Geldstrafen ist eine Revision grundsätzlich ausgeschlossen.
Mit dem heute von SPÖ, ÖVP und Grünen zum Regierungsentwurf vorgelegten und bei der Abstimmung mitberücksichtigten Abänderungsantrag wird ausdrücklich festgelegt, dass über Beschwerden gegen Entscheidungen nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz das Bundesverwaltungsgericht entscheidet. Das betrifft etwa überregionale Straßen- und Eisenbahnprojekte sowie sonstige Vorhaben mit erheblichen Umweltauswirkungen. Außerdem wird festgehalten, dass abweichende Regelungen vom geplanten Verfahrensgesetz für die Verwaltungsgerichte zulässig sein sollen, wenn dies "zur Regelung des Gegenstands erforderlich ist".
Zu weiteren Detailpunkten fassten die Abgeordneten insgesamt acht Entschließungen. Demnach soll der Verwaltungsgerichtshof, geht es nach den Abgeordneten, künftig etwa unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit erhalten, in der Sache selbst zu entscheiden. Zudem wird die Bundesregierung aufgefordert, die Frage der Einführung eines Kostenersatzanspruchs für BürgerInnen im Falle von willkürlichen Verfahrensverzögerungen durch Behörden zu prüfen, bis zum 20. Juni Vorschläge zur Einführung einer Gesetzesbeschwerde durch Verfahrensparteien auszuarbeiten und dem Nationalrat bis Ende März 2013 über die organisatorischen und legistischen Vorbereitungen der neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu berichten. In Bezug auf das Disziplinarrecht für RechtsanwältInnen sprechen sich die Abgeordneten für einen Instanzenzug zur ordentlichen Gerichtsbarkeit unter Einbeziehung der StandesvertreterInnen aus.
Im Bereich der Universitätsverwaltung soll der Senat – zur Wahrung der Universitätsautonomie und zur Sicherstellung rascher, sachkundiger Entscheidungen – bei Berufungsentscheidungen eingebunden bleiben. Ebenso wollen die Abgeordneten das Kommandantenverfahren beim Bundesheer möglichst unverändert beibehalten; Beschwerden gegen die Feststellung der Eignung zum Wehrdienst soll keine aufschiebende Wirkung zukommen. Um die Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit und eine einheitliche Organisation der Verwaltungsgerichte zu gewährleisten, urgiert der Ausschuss gemeinsame Standards und transparente, objektive Stellenbesetzungsverfahren.
Zur Frage der Mitwirkung von fachkundigen LaienrichterInnen an der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und verschiedenen anderen Punkten fassten die Abgeordneten zwei Ausschussfeststellungen.
Eine Liste der aufzulösenden unabhängigen Verwaltungsbehörden des Bundes und der Länder ist dem Gesetzentwurf als Anlage angeschlossen. Sie umfasst insgesamt rund 120 Behörden, angefangen von der Datenschutzkommission und dem Bundeskommunikationssenat über diverse Disziplinarkommissionen und -senate bis hin zum Umweltsenat. In Kraft treten soll das neue System der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit 1. Jänner 2014.
Im beschlossenen Gesetzespaket eingebettet ist darüber hinaus der weitgehende Entfall des Einspruchsrechts der Bundesregierung gegen Landesgesetze. Ausnahmen sind lediglich für Gesetze vorgesehen, die Abgaben betreffen. Im Gegenzug müssen Länder künftig aktiv, innerhalb von acht Wochen, Einspruch erheben, wenn sie ein Bundesgesetz ablehnen, dessen Kundmachung ihrer Zustimmung bedarf. Das betrifft beispielsweise Gesetzesänderungen im Bereich des Vergaberechts. Überdies ist es in Hinkunft grundsätzlich nicht mehr notwendig, alle authentischen Sprachfassungen eines Staatsvertrags kundzumachen.
Die Streitwertgrenze für Verwaltungs- und Finanzstrafen beim Verwaltungsgerichtshof wird von derzeit 750 € auf 1.500 € angehoben. Im Regierungsentwurf war noch ein Betrag von 2.000 € vorgesehen gewesen. Neu ist außerdem, dass der Verfassungsgerichtshof künftig auch über die Aufnahme von Personen in Wählerevidenzen bzw. deren Streichung aus der Evidenz zu entscheiden hat. Schließlich werden im Hinblick auf die geplante Einrichtung eines Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl Kompetenzverschiebungen vorgenommen.
In der Debatte äußerten sich die drei Oppositionsparteien positiv über die Verhandlungen. So begrüßte etwa Abgeordnete Daniela Musiol (G) die nunmehr abgesicherte Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für UVP-Angelegenheiten. Auch habe man die Streitwertgrenze beim Verwaltungsgerichtshof auf 1.500 € gesenkt und auf Vorbehalte seitens der Universitäten reagiert. Im Sinne der BürgerInnen begrüßte es Musiol, dass es bei den Verwaltungsgerichten erster Instanz keine Anwaltspflicht geben wird und ein Kostenersatz für mutwillige Verfahrensverzögerungen durch Behörden angedacht ist.
Musiols Fraktionskollege Albert Steinhauser sprach von einem großen Vertrauensvorschuss der Grünen. In Anlehnung an die vorliegende Novelle sei es notwendig, eine Vielzahl von Gesetzen zu ändern, skizzierte er und meinte, er gehe davon aus, dass auch bei diesen Gesetzen, die nur einer einfachen Mehrheit bedürfen, mit der Opposition verhandelt wird. Wichtig ist für Steinhauser außerdem eine mittelfristige Durchlässigkeit zwischen den ordentlichen Gerichten und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit dürfe keine "Justiz zweiter Klasse" sein, mahnte er. Steinhauser räumte allerdings ein, dass man für VerwaltungsrichterInnen zunächst nicht die gleichen Anforderungen vorsehen könne wie für andere RichterInnen, da es auch um die Übernahme von VerwaltungsbeamtInnen gehe.
Von den Grünen abgelehnt wurde lediglich die Entschließung betreffend das Kommandantenverfahren. Der gänzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gehe ihrer Fraktion, wie Abgeordnete Musiol sagte, zu weit. Zur Forderung des BZÖ nach einer ausschließlichen Bundeskompetenz für die Verwaltungsgerichtsbarkeit merkte Musiol an, sie verstehe die Tendenz des Antrags, könne dem kurzfristig vorgelegten Abänderungsantrag aber nicht zustimmen.
Abgeordneter Herbert Scheibner (B) betonte, seine Fraktion stimme dem Paket als Kompromiss zu. Für ihn ist es allerdings ein "Wermutstropfen", dass es keine ausschließliche Bundeskompetenz für Verwaltungsgerichte gibt. Er sieht die Gefahr, dass die Länder "wieder ihre eigenen Schrebergärten aufbauen". Ein von Scheibner eingebrachter Abänderungsantrag wurde aber lediglich von der FPÖ mitunterstützt und fand damit keine Mehrheit. Scheibner hofft nun, dass durch ein einheitliches Dienst- und Organisationsrecht die Durchlässigkeit für das Richterpersonal gewahrt wird.
Seitens der FPÖ äußerte Abgeordneter Peter Fichtenbauer die Hoffnung, dass die Energie bei der Umsetzung des Zentralgesetzes "nicht ermattet". Er hob unter anderem die Notwendigkeit hervor, ein adäquates Richterbild zu schaffen und sich bei den Anforderungen für VerwaltungsrichterInnen an der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu orientieren. Bedauern äußerte Fichtenbauer darüber, dass man vom in Österreich bevorzugten Revisionsmodell nicht ablässt und nach wie vor an Streitwertgrenzen festhält. In Deutschland könne das Bundesverfassungsgericht auch bei Kleinststrafen angerufen werden, wenn es um eine Grundsatzentscheidung gehe.
Ausschussobmann Peter Wittmann (S) betonte, mit dem vorliegenden Gesetzespaket sei "ein wirklich großer Schritt gelungen". Er bedankte sich bei allen Seiten für die Bereitschaft, in der Schlussphase der Verhandlungen Kompromisse zu schließen. Unter anderem hob Wittmann hervor, dass sich die fünf Parteien darauf verständigt haben, eine Gesetzesbeschwerde einzuführen.
Abgeordneter Wolfgang Gerstl (V) sprach von der größten Strukturreform seit Einführung der Bundesverfassung und unterstrich, dass sich an den Grundzügen des Regierungsentwurfs nichts geändert habe. Seiner Meinung nach haben auch die Oppositionsparteien parteipolitisches Kalkül zurückgestellt und im Sinne der Sache für die Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit gestimmt. Ablehnend äußerte sich Gerstl zum BZÖ-Abänderungsantrag, dieser zielt ihm zufolge auf eine Abschaffung der Bundesländer ab.
Was die Durchlässigkeit bei den RichterInnen betrifft, meinte Gerstl, es sei wichtig, dass ein Verwaltungsrichter von einem Landesverwaltungsgericht in ein anderes Landesverwaltungsgericht oder in das Bundesverwaltungsgericht wechseln könne. Ein einheitliches Richterkonzept für die ordentliche Gerichtsbarkeit und die Verwaltungsgerichtsbarkeit erachtet er allerdings als schwierig, seiner Auffassung nach braucht man VerwaltungsrichterInnen, die Erfahrung aus der Verwaltung mitbringen.
Staatssekretär Josef Ostermayer fasste das Ergebnis mit den Worten zusammen: "gut Ding braucht Weile". Seiner Ansicht nach wird mit dem Gesetzespaket ein "epochaler Schritt" gesetzt. Ostermayer gab allerdings zu bedenken, dass noch ein großes Stück Arbeit vor der Regierung liege: Nun müssten die Bestimmungen in einfachen Gesetzen umgesetzt und organisatorische Fragen geregelt werden. Als ganz wichtig wertete es Ostermayer, dass beim vorliegenden Gesetzespaket auch die Länder "mit an Bord sind".
Bei der Abstimmung wurde der Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des S-V-G-Abänderungsantrags einstimmig angenommen. Der Abänderungsantrag des BZÖ blieb in der Minderheit. Die Entschließungsanträge wurden großteils einstimmig beschlossen, ebenso die Ausschussfeststellungen. Der Entschließungsantrag betreffend Kommandantenverfahren passierte den Ausschuss gegen die Stimmen der Grünen, jener betreffend die rechtliche Stellung von Legalparteien gegen die Stimmen der FPÖ. (Fortsetzung Verfassungsausschuss)