Parlamentskorrespondenz Nr. 205 vom 16.03.2012

Verwaltungsgerichte: Verfassungsausschuss setzt Beratungen fort

Wien (PK) – Der Verfassungsausschuss des Nationalrats setzte heute seine Beratungen über eine Reform der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit mit einem Hearing zu zwei Themenblöcken fort. Dabei ging es zum einen um die Frage des Verfahrensrechts und zum anderen um die anlaufendenen Kosten für BürgerInnen, die sich an ein Verwaltungsgericht wenden.

Wie mehrere der geladenen ExpertInnen festhielten, ist nicht daran gedacht, an der bisherigen Kostentragungsregelung für Verwaltungsverfahren – jede Partei trägt ihre Kosten im Wesentlichen selbst – etwas zu ändern. Das Verfahrensrecht soll sich in weiten Bereichen am Allgemeinen Verfahrensgesetz orientieren, jedoch in einem eigenen Bundesgesetz geregelt werden. Eine Anwaltspflicht für Verfahren bei den Verwaltungsgerichten ist nicht geplant.

Was das weitere Procedere der Beratungen betrifft, kündigte Ausschussobmann Peter Wittmann im Anschluss an das Hearing an, die einzelnen Abänderungsvorschläge der Fraktionen zunächst einsammeln und in einem straffen Zeitplan erörtern zu wollen. Als möglichen Termin für die Beschlussfassung des Gesetzespakets im Verfassungsausschuss nannte er den 2. Mai 2012.

Basis für die Diskussion im Ausschuss bildete die von der Regierung vorgelegte Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle, die auf die Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich abzielt. Vorgesehen sind je ein Verwaltungsgericht erster Instanz in allen neun Bundesländern sowie zwei Verwaltungsgerichte erster Instanz beim Bund: ein Bundesverwaltungsgericht und ein Bundesfinanzgericht. Im Gegenzug sollen die Unabhängigen Verwaltungssenate der Länder, der Unabhängige Finanzsenat, das Bundesvergabeamt sowie zahlreiche sonstige weisungsfreie Sonderbehörden des Bundes aufgelöst und der administrative Instanzenzug weitgehend abgeschafft werden. Für die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs als zweite Instanz sind bestimmte Kriterien in Aussicht genommen.

Mit der Gesetzesnovelle mitverhandelt werden ein Entschließungsantrag der Grünen betreffend Einführung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie zwei Anträge der FPÖ (1094/A und 337/A). Die FPÖ macht sich dafür stark, dass der Verwaltungsgerichtshof Behördenakte nicht nur aufheben, sondern bei klarer Sachlage selbst eine inhaltliche Entscheidung treffen kann. Zudem will sie Verfahrensparteien die Möglichkeit einräumen, den Verfassungsgerichtshof anzurufen, wenn sie ein Zivil-, Straf- oder Verwaltungsgesetz für verfassungswidrig halten.

Eingeleitet wurde das Hearing durch eine Stellungnahme von Gerhard Hesse, Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes. Er wies darauf hin, dass die Grundzüge des Verfahrensrechts für die Verwaltungsgerichte bereits in der Bundesverfassung festgelegt würden. Ergänzend dazu ist ein besonderes Bundesgesetz vorgesehen, dass sowohl für das Bundesverwaltungsgericht als auch die neun Landesverwaltungsgerichte gelten und in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von Bund und Ländern erarbeitet werden soll. Einzelne Materiengesetze können abweichende Bestimmungen vorsehen, wenn dies sinnvoll sei. Spezielle Verfahrensregelungen sind für das Bundesfinanzgericht in Aussicht genommen.

Bei Verwaltungsgerichten bekämpft werden können laut Gesetzentwurf unter anderem Bescheide, Zwangsakte, sonstiges rechtswidriges Verwaltungshandeln und dienstrechtliche Streitigkeiten im Bereich des öffentlichen Dienstes. Dabei soll das Verwaltungsgericht in der Sache selbst entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht im Sinne der Verfahrensbeschleunigung und der Kostenersparnis geboten ist. In Verwaltungsstrafsachen hat das Verwaltungsgericht jedenfalls in der Sache selbst zu entscheiden.

Hesse zufolge sieht der Gesetzentwurf darüber hinaus grundsätzlich eine Entscheidung durch einen Einzelrichter vor. In einzelnen wichtigen Materien können aber auch Senate gebildet werden. Für den Rechtszug zum Verwaltungsgerichtshof ist ein Revisionsmodell in Aussicht genommen. Bei geringen Geldstrafen kann eine Revision gesetzlich als unzulässig verankert werden, wobei die derzeit bestehende Untergrenze für VwGH-Beschwerden laut Hesse von 750 € auf 2.000 € angehoben werden soll.

Was die Auswahl der VerwaltungsrichterInnen betrifft, solle es auch in Zukunft möglich sein, besonders qualifizierte Angehörige von Verwaltungsbehörden zu bestellen, erklärte Hesse. Im Bereich des Disziplinarrechts der freien Berufe wird ihm zufolge eine staatliche Behörde nun durch ein Gericht ersetzt. Eine Alternative dazu wäre ein Instanzenzug unmittelbar zum OGH.

Auf Fragen von Abgeordneter Daniela Musiol (G) hielt Hesse fest, dass grobe Verfahrensfehler reversibel sein sollen und das vorgesehene Revisionsmodell für Rechtsschutzsuchende grundsätzlich Vorteile bringe. Um im Bereich des Bundesheeres die Ziele des Disziplinarrechts nicht zu unterlaufen, kann sich Hesse, wie er gegenüber Abgeordnetem Wolfgang Gerstl (V) erklärte, im sogenannten "Kommandantenverfahren" die Einführung einer Beschwerdevorentscheidung vorstellen.

Wolfgang Steiner, Direktor des Oberösterreichischen Landtags, sprach sich namens der Länder dafür aus, das Verfahrensrecht für das Bundesverwaltungsgericht und die neun Landesverwaltungsgerichte so weit wie möglich am Allgemeinen Verfahrensgesetz zu orientieren. Die Regelungen des AVG hätten sich bewährt, dieses biete einen sehr bürgernahen Zugang zum Verwaltungsrecht, argumentierte er.

Konkret soll Steiner zufolge etwa die Akteneinsicht und die Kostentragungsregelung analog zum AVG geregelt und das bestehende System der Verfahrenshilfe beibehalten werden. Weiters solle auch bei den Verwaltungsgerichten kein Anwaltszwang bestehen. Auch die Beschwerdefrist sollte sich an die jetzige Regelung anlehnen und bei zwei Wochen, bzw. sechs Wochen bei Maßnahmenbeschwerden, bleiben.

Als Entscheidungsfrist für die Verwaltungsgerichte will Steiner, wie im AVG, grundsätzlich sechs Monate verankern, wobei Materiengesetze Eilverfahren mit kürzeren Entscheidungsfristen und gegebenenfalls auch längere Entscheidungsfristen vorsehen könnten. Wesentlich ist für Steiner, dass die Verwaltungsbehörden verpflichtet sind, den Rechtszustand herzustellen, der der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts entspricht. Allgemein äußerte Steiner die Hoffnung, dass das vorliegende Gesetzespaket rasch beschlossen wird.

Harald Perl, Präsident des Asylgerichtshofs, befasste sich auf Basis seiner Erfahrungen als Leiter des Asylgerichtshofs vorrangig mit Fragen der Organisation, des Controlling und der Effizienz und hob die Notwendigkeit einer effizienten Gestaltung interner Arbeitsabläufe hervor. Die RichterInnen sollten so weit wie möglich von administrativen Tätigkeiten entlastet werden, damit sie sich auf ihre Kernaufgabe, die richterliche Arbeit, konzentrieren könnten, betonte er.

In diesem Sinn plädierte Perl für die Einrichtung richterlicher Gremien wie einen Geschäftsverteilungsausschuss oder einen Personalsenat. Entscheidungen durch die Vollversammlung würden vor allem bei großen Verwaltungsgerichten zu große Ressourcen binden, argumentierte er. In diesem Zusammenhang wies Perl auch Bedenken von Abgeordnetem Walter Rosenkranz (F) zurück, der eine politische Einflussnahme auf kleine richterliche Gremien befürchtet hatte.

Zur Frage des einheitlichen Richterbildes merkte Perl an, im Asylgerichtshof habe sich gezeigt, dass es mit der Zeit zu einer sukzessiven Annäherung von Asylrichtern und Richtern der allgemeinen Gerichtsbarkeit komme. Er erachtet die in der Berufspraxis erworbenen Kenntnisse von Verwaltungsrichtern jedenfalls als wesentlich. Im Asylgerichtshof bewährt hat es sich ihm zufolge auch, einen hohen Spezialisierungsgrad für RichterInnen vorzusehen.

Für eine fundierte Verfahrensplanung ist laut Perl ein funktionierendes Controlling und eine ständige Beobachtung und Analyse der anhängig werdenden Verfahren nötig.

Johannes Fischer, Präsident des Unabhängigen Verwaltungssenats Oberösterreich, ging in seiner Stellungnahme zunächst auf die Arbeit der UVS ein und machte geltend, dass ein Großteil der Entscheidungen der Unabhängigen Verwaltungssenate akzeptiert würden. 94 % der Entscheidungen würden nicht weiter bekämpft, skizzierte er. Jene Entscheidungen, die angefochten werden, würden zu 70 % von den Höchstgerichten bestätigt, und das bei einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von drei Monaten bei den UVS.

Bei der Kostentragung solle sich, so Fischer, in Zukunft nichts ändern. Der Grundsatz der Selbsttragung der Kosten bei administrativen Verfahren solle – mit Ausnahme von Maßnahmenbeschwerden und speziellen Verfahren wie Vergabeverfahren – bestehen bleiben. Ersetzt werden müssten nur etwaige Barauslagen, etwa für nicht amtliche Dolmetscher und nicht amtliche Sachverständige. Solche Fälle seien aber die Ausnahme. Eine Sonderregelung gibt es für Verwaltungsstrafverfahren, hier muss die Partei, die verliert, Kosten von 20 % der Strafhöhe tragen.

Zur Frage des Verfahrensrechts hielt Fischer fest, das Allgemeine Verfahrensgesetz biete eine gute Grundlage, in Einzelpunkten könnte man sich aber Verbesserungen überlegen. Er regte etwa pauschalierte Eingabegebühren und eine Ausdehnung der Verfahrenshilferegelung an. Weiterhin sinnvoll wird es seiner Meinung nach sein, für spezielle Materien spezielle Verfahrensregelungen vorzusehen, etwa beim Vergaberecht.

Um Verfahren zu beschleunigen, sprach sich Fischer dafür aus, den Verwaltungsgerichten auch in Verwaltungsstrafsachen die Möglichkeit zu geben, die Entscheidung an die Behörde rückzuverweisen. Die erste Instanz könne notwendige Ermittlungsschritte meist kostengünstiger erledigen, argumentierte er. Den Zeitplan – Inkrafttreten der Novelle 2014 – wertete Fischer als ambitioniert, aber machbar.

Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags, sprach sich namens der Rechtsanwälte dafür aus, künftig einen vollen Kostenersatz für obsiegende Parteien in Verwaltungsverfahren vorzusehen. Er erachtet die bestehende Regelung, wo ein Kostenersatzanspruch nur in speziellen Materiengesetzen, etwa im Berg- und Wasserrecht oder bei Enteignungsverfahren, vorgesehen ist, als bedenklich. Nicht einmal bei einer mutwilligen Position der Behörde, etwa einer Entscheidung entgegen der verfestigten Rechtsprechung, würden Verfahrenskosten ersetzt. Wolff plädierte überdies dafür, die Möglichkeit einer Verfahrenshilfe in Form eines rechtlichen Beistands zu verankern, und gab zu bedenken, dass Verwaltungsverfahren unglaublich komplex sein könnten.

Skeptisch äußerte sich Wolff in Bezug auf eine Einbeziehung des Disziplinarrechts für die freien Berufe in die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Er hob u.a. hervor, dass die oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte ein selbstverwaltetes Tribunal sei, das sich derzeit auch zur Gänze durch die Rechtsanwaltschaft finanziere. 

Universitätsprofessorin Verena Madner, Vorsitzende des Umweltsenats, informierte die Abgeordneten über den Ablauf von Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren und wies u.a. darauf hin, dass vom unabhängigen Umweltsenat häufig Gutachten eingeholt werden müssten, da er über keinen Sachverständigenapparat verfüge. Um den Projektwerbern Kosten zu ersparen, werde überwiegend auf amtliche Sachverständige der Länder zurückgegriffen, es gebe aber keinen Vorrang für amtliche Gutachter, erklärte sie. Im Sinne eines beschleunigten Verfahrens sei es oft allerdings sinnvoller, nichtamtliche Sachverständige zu beauftragen, wobei die Kosten für solche Gutachten von den ProjektwerberInnen zu tragen seien. Die Kosten könnten sich in aufwändigen Verfahren auf mehr als 100.000 € belaufen, schilderte Madner, seien im Verhältnis zu den gesamten Projektkosten meist aber relativ gering und würden auch von den ProjektwerberInnen im Sinne einer rascheren Entscheidung in Kauf genommen.

Für beteiligte Parteien wie Bürgerinitiativen oder NGOs fallen laut Madner nur dann Kosten an, wenn sie Privatgutachten beauftragten. Feststellungsverfahren sind ausdrücklich von der Ersatzpflicht für Barauslagen befreit.

Wenn die Verwaltungsgerichte die gleiche Möglichkeit wie der Umweltsenat erhalten, amtliche bzw. nichtamtliche Sachverständige beizuziehen, werde sich an den Kosten bei Umweltverfahren wenig ändern, resümierte Madner.

Ostermayer hofft auf rasche Beschlussfassung des Gesetzespakets

Im Rahmen der Diskussion zeigte sich Abgeordnete Sonja Steßl-Mühlbacher (S) darüber erfreut, dass die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei sämtlichen ExpertInnen auf ein positives Echo stoße. Österreich sei beim Rechtsschutz im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit Nachzügler, meinte sie und äußerte in diesem Sinn die Hoffnung auf eine rasche Beschlussfassung des Gesetzespakets. Auch Abgeordneter Wolfgang Gerstl (V) hob die Bedeutung der Reform hervor.

Die Abgeordneten Johann Singer und Konrad Steindl (beide V) werteten es als wichtig, dass Verwaltungsverfahren für die BürgerInnen durch die Einführung von Verwaltungsgerichten nicht komplizierter und nicht teurer würden. Der einfache Zugang zum Verwaltungsrecht müsse erhalten und das Kostenrisiko minimiert bleiben, sagte Steindl.

Abgeordneter Harald Stefan (F) plädierte für ein einheitliches Richterbild, um einen Austausch zwischen Verwaltungsgerichten und Richtern der allgemeinen Gerichtsbarkeit zu ermöglichen. Er hinterfragte in Einklang mit seinem Fraktionskollegen Walter Rosenkranz außerdem die Einbeziehung des Disziplinarrechts für freie Berufe in die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Er fürchtet höhere Kosten bei gleichzeitiger Verschlechterung der Qualität der Entscheidungen.

Abgeordneter Rosenkranz äußerte in Anbetracht von Erfahrungen in Niederösterreich darüber hinaus Zweifel an der Absicht, Personalentscheidungen an Personalsenate zu übertragen und nicht der Vollversammlung der RichterInnen zu überlassen. Weiters urgierte er geänderte Regelungen beim Ersatz von Verfahrenskosten, insbesondere bei mutwilligen Behördenentscheidungen. Verfahrenskosten könnten manchmal durchaus existenzbedrohend sein, bekräftigte er.

Abgeordnete Daniela Musiol (G) richtete eine Reihe von Detailfragen an die ExpertInnen und äußerte u.a. die Befürchtung, dass das vorgesehene Revisionsmodell für die Anrufung des VwGH den Rechtsschutz für BürgerInnen verschlechtern könnte. Was die Universitäten betrifft, gab sie zu bedenken, dass Studierende derzeit starke Mitwirkungsrechte bei Senatsentscheidungen hätten, die bei Verfahren vor den Verwaltungsgerichten nicht sichergestellt werden könnten.

Abgeordneter Gerhard Huber (B) äußerte Zweifel daran, dass die vorliegende Novelle  Kostenersparnisse bringen werde. Er drängte gemeinsam mit seinem Fraktionskollegen Herbert Scheibner außerdem darauf, die Verwaltung generell neu zu ordnen und zu strukturieren. Scheibner hinterfragte auch den Umstand, dass Ermessensentscheidungen von Behörden von den Verwaltungsgerichten grundsätzlich nicht geprüft werden könnten. Als wichtiges Anliegen wertete er ein einheitliches Dienst- und Organisationsrecht für die Verwaltungsgerichte ohne Sonderbestimmungen für die Landesverwaltungsgerichte. Zu diskutieren ist seiner Ansicht nach weiters darüber, warum auf Gemeindeebene der Instanzenzug belassen werde.

Staatssekretär Josef Ostermayer stellte zusammenfassend fest, bei der Regierungsvorlage sei versucht worden, sämtliche Interessen zu berücksichtigen. Er sprach von einem gemeinsamen Ziel, das es umzusetzen gelte, und appellierte an das Parlament, das Verfassungsgesetz möglichst rasch zu beschließen, um den vorgesehenen Zeitpunkt 1.1.2014 einhalten zu können. (Schluss)