Österreich setzt Europäische Bürgerinitiative um
S-V-G-Mehrheit im Verfassungsausschuss nach Expertenhearing
Wien (PK) – Ein heute vom Verfassungsausschuss mit den Stimmen der Regierungsparteien und der Grünen beschlossener Antrag legt die innerstaatlichen Regeln zur Umsetzung der Europäischen Bürgerinitiative fest und gibt damit seitens des österreichischen Gesetzgebers grünes Licht für einen ersten Schritt in Richtung direkte Demokratie auf EU-Ebene. Demnach wird es ab April 2012 möglich sein, grenzüberschreitend eine Bürgerinitiative einzubringen. Um die Europäische Kommission zu veranlassen, in einem bestimmten Politikbereich aktiv zu werden, sind mindestens eine Million Unterschriften in sieben Mitgliedstaaten notwendig. Für die einzelnen Staaten gelten unterschiedliche Mindestzahlen von Unterstützungserklärungen, in Österreich liegt die Schwelle bei 14.250.
Vorausgegangen war dem Beschluss ein Expertenhearing, mit dem der Verfassungsausschuss seine am 7.Dezember 2011 vertagten Beratungen wieder aufnahm. Eckhard Riedl (Bundeskanzleramt), Univ.-Prof. Walter Obwexer (Institut für Europarecht und Völkerrecht), Eike Lindinger (Rechtsanwalt), Erwin Leitner (Bundesvorstandsvorsitzender "mehr demokratie!- die parteiunabhängige initiative") und Erwin Mayer (Denkstatt GmbH) standen den Abgeordneten Rede und Antwort und beurteilten die verfassungsrechtlichen und demokratiepolitischen Aspekte des EU-Vorhabens.
Die gemeinsame Initiative der Abgeordneten Wolfgang Gerstl (V) und Christine Muttonen (S), die auch von den Grünen mitgetragen wurde, verankert nun das Instrument der Europäischen Bürgerinitiative in der Bundesverfassung und beauftragt die Wahlbehörden mit der Durchführung. So soll die Bundeswahlbehörde für die Überprüfung und die Bescheinigung von Unterstützungserklärungen zuständig sein, unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Anfechtung von Entscheidungen der Wahlbehörden beim Verfassungsgerichtshof vorgesehen. Delikte wie Wahlfälschung oder Stimmenkauf werden vom Strafgesetz geahndet, bei Datenmissbrauch wieder kommt das Datenschutzgesetz zur Anwendung. Ein S-V-G-Abänderungsantrag nimmt u.a. Präzisierungen bezüglich der Anrufbarkeit des Verfassungsgerichtshofs und der Frist für das Sammeln der Unterstützungserklärungen vor.
Erwin Leitner kritisiert Erfordernis der ID-Nummer
Im Expertenhearing beklagte Erwin Leitner, der vorliegende Entwurf enthalte eine Fülle von Erschwernissen und Hürden, die die Anwendung in der Praxis unattraktiv machen und sich als benutzerfeindlich erweisen werden. Seine Hauptkritik betraf dabei vor allem das Erfordernis der Angabe der ID-Nummer durch verpflichtende Vorlage eines Reisepasses oder Personalausweises für die Abgabe einer Unterstützungserklärung. Er befürchtete, dass viele Menschen unter diesen Umständen nicht bereit sein werden, sich für eine europäische Bürgerinitiative mit ihrer Unterschrift zu engagieren. Auch würden Personen, die nicht über die entsprechenden Dokumente verfügen, von der Unterstützungserklärung ausgeschlossen werden, was, wie Leitner zu bedenken gab, ein demokratiepolitisches Problem darstelle.
Eike Lindinger ortet Grundrechtseingriff durch Datenpreisgabe
Eike Lindinger sah im Erfordernis der ID-Nummer ebenfalls einen Mangel und bemerkte, mit dem Entwurf werde ein "Datenstaubsauger" implementiert. Die Preisgabe von personenbezogenen Daten qualifizierte er als nicht zu rechtfertigenden Eingriff in Grundrechte und sah in der Ausweisregelung überdies eine Diskriminierung von nicht österreichischen EU-Bürgern. Der Rechtsschutz wiederum sei "trickreich" geregelt, zumal die Frist bereits mit dem Tag der Zustellung zu laufen beginnt. Unklarheiten ortete Lindinger ferner bei den Rechtschutzregelungen auf EU-Ebene und hinsichtlich der Folgen bei Nichttätigkeit der EU.
Erwin Mayer: Die Hürden sind zu hoch
Erwin Mayer bemängelte, das Instrument sei sogar noch schwächer als das österreichische Volksbegehren, laufe es doch auf eine bloße Aufforderung an die europäische Kommission hinaus, einen Gesetzgebungsprozess zu starten. Es sei nicht nachvollziehbar, dass man dafür derart hohe Hürden einbaue. Mayer beleuchtete die Thematik aber auch vor allem unter dem Aspekt eines europäischen Atomausstiegs und der Chancen der Bevölkerung, EU-weit in diese Richtung aktiv zu werden. Klar war für ihn, dass eine europäische Bürgerinitiative nur ein erster Schritt sein könne und dass die Bürger letztlich die Möglichkeit erhalten müssen, eine Volksabstimmung auf EU-Ebene zu erzwingen.
Walter Obwexer: Entwurf mit Unionsrecht kompatibel
Walter Obwexer schickte voraus, Österreich sei EU-rechtlich verpflichtet, bis Ende März die EU-Verordnung über die Bürgerinitiative innerstaatlich durchzuführen. Der Entwurf sei mit dem Unionsrecht kompatibel. Was die Frage der ID-Nummer betrifft, meinte Obwexer, Österreich seien hier die Hände gebunden, da man aufgrund eines entsprechenden Annexes zur Verordnung für die Abgabe der Unterstützungserklärung die Identifikation verlangen müsse. Eine Abänderung der EU-Verordnung sei in diesem Bereich zwar möglich, würde sich aber bis Ende März nicht mehr ausgehen.
Eckhard Riedl sieht keine datenschutzrechtlichen Bedenken
Eckhard Riedl qualifizierte die Verwendung der personenbezogenen Daten als Eingriff in die Grundrechte, der seiner Meinung nach aber gerechtfertigt sei, gehe es doch um die Verhinderung von Doppelunterzeichnungen. Er verwies auf die geltenden Bestimmungen betreffend Datensicherung und Datenlöschung und stellte klar, dass der vorliegende Entwurf keinen Anlass zu datenschutzrechtlichen Bedenken gibt. Mit Nachdruck erinnerte er zudem auch daran, dass die EU-Datenschutzrichtlinie bei der europäischen Bürgerinitiative uneingeschränkt angewendet wird.
S-V-G-Entschließungsantrag urgiert einheitliche Regeln auf EU-Ebene
In der Debatte sprach Abgeordneter Wolfgang Gerstl (V) von einem wesentlichen Schritt in Richtung direkte Demokratie auf europäischer Ebene, meinte jedoch, die EU-Verordnung sei nicht vollkommen, es gelte daher, das Instrument weiter auszubauen. In einem von Gerstl gemeinsam mit dem Abgeordneter Peter Wittmann (S) und der Abgeordneten Daniela Musiol (G) eingebrachten Entschließungsantrag wird in diesem Sinne die Bundesregierung aufgefordert, sich auf EU-Ebene für die Einführung eines zentralen Online-Sammelsystems, einheitliche Regelungen für die Abgabe von Unterstützungsbekundungen, einheitliche Bedingungen zur Unterstützung einer europäischen Bürgerinitiative für alle Unionsbürger sowie für einen einheitlichen Anspruch auf Kostenersatz auf EU-Ebene einzusetzen. Weiters appellieren SPÖ, ÖVP und Grüne an die Bundesregierung zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen die Liste der persönlichen Ausweispapiere erweitert werden könnte, um möglichst vielen Personen eine Unterstützung zu erleichtern.
Abgeordneter Johann Maier (S) erwartete sich von der europäischen Bürgerinitiative den Beginn einer verstärkten Demokratisierung der EU, seine Fraktionskollegin Abgeordnete Sonja Steßl-Mühlbacher wiederum sprach von einem ersten Schritt und einem Startschuss für die Weiterentwicklung dieses Instruments.
Für die Grünen zeigte sich Abgeordnete Daniela Musiol erfreut, dass es in dem Entschließungsantrag gelungen war, Lösungen anzuregen, um die ihrer Meinung nach demokratiepolitisch problematische ausschließliche Abstellung auf Reisepass oder Personalausweis zu überwinden. Wichtig waren für Musiol insgesamt einheitliche Regelungen auf europäischer Ebene für die Ausgestaltung des Instrumentariums.
Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) bekundete hingegen seine Enttäuschung und stellte fest, die demokratiepolitischen Versprechungen des Vertrags von Lissabon seien nicht umgesetzt worden. Er kritisierte die Fristen als zu unpräzise, vermisste eine bescheidmäßige Erledigung und hielt die ID-Nummer nicht für notwendig. Abgeordneter Harald Stefan (F) bezeichnete die europäische Bürgerinitiative in dieser Form als bloßes Ablenkungsmanöver der EU und meinte, die Hürden und der Aufwand würden in keinem Verhältnis zu den zu erwartenden dürftigen Ergebnissen stehen, die Verbesserung der Demokratie auf europäischer Ebene sei nur eine scheinbare.
Die Hürden seien zu hoch, das Instrument werde sich als nicht praktikabel erweisen, lautete der Einwand des Abgeordneten Herbert Scheibner (B), der darüber hinaus betonte, dieses Instrument könne nur ein erstes Pflänzchen sein, Ziel bleibe eine europäische Volksabstimmung. Es gehe jedenfalls nicht an, dass dieses an sich schon weiche Instrument der europäischen Bürgerinitiative nun mit Kriterien und Hürden ausgestattet werde, die man nicht einmal für das österreichische Volksbegehren verlangt. Man spiele damit genau jenen in die Hände, die die EU wegen Abgehobenheit und mangelnder Repräsentation kritisieren, warnte Scheibner.
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner teilte mit, Österreich sei nun das vierte Land in Europa, das die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft. Von der europäischen Bürgerinitiative erwartete sich die Ressortchefin insgesamt ein Mehr an Demokratie auf europäischer Ebene.
Bei der Abstimmungen wurden der Antrag der Regierungsparteien in Fassung des S-V-G-Abänderungsantrag sowie der S-V-G-Entschließungsantrag jeweils mit den Stimmen der Regierungsparteien und der Grünen angenommen.
Tierschutz in Verfassungsrang: Ausschuss setzt Unterausschuss ein
Noch keine Entscheidung fiel hingegen über die Verankerung des Tierschutzes in der Bundesverfassung. Den Abgeordneten lag eine entsprechende Bürgerinitiative (4/BI) vor, die ihrerseits Rückenwind von Anträgen der FPÖ (340/A(E)), der Grünen (290/A(E)) und des BZÖ (861/A(E)) erhielt. Nachdem seitens der Regierungsparteien ursprünglich eine Vertagung anvisiert wurde, einigte sich der Ausschuss einstimmig auf Antrag des Abgeordneten Herbert Scheibner (B) darauf, zur Behandlung dieses Themenkomplexes einen Unterausschuss im Verhältnis 5 SPÖ, 5 ÖVP, 3 FPÖ, 2 Grüne, 1 BZÖ einzusetzen. (Schluss)