Parlamentskorrespondenz Nr. 281 vom 23.03.2011

Kontroverse Diskussion um Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung

Wien (PK) – Die Frage nach Verfassungs- und Grundrechtskonformität eines zur Umsetzung der EU-Richtlinie betreffend Vorratsdatenspeicherung vorgelegten Regierungsentwurfs, der die Novellierung der Strafprozessordnung und des Sicherheitspolizeigesetzes zum Gegenstand hat, stand im Zentrum der Diskussion des heutigen Justizausschusses. Im Rahmen eines öffentlichen Hearings, zu dem man Hannes Tretter (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte), Eckhart Ratz (Vizepräsident des OGH), Johannes Öhlböck (Rechtsanwalt), Bernd Christian Funk (Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien) und Alexander Scheer (Rechtsanwalt) als Experten geladen hatte, erörterte man Vor- und Nachteile des gegenständlichen Umsetzungsversuchs der EU-Richtlinie, der schließlich in der Fassung eines Abänderungsantrags mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP mehrheitlich angenommen wurde. Die Vertagungsanträge von BZÖ und FPÖ fanden hingegen nicht die erforderliche Mehrheit.

Funk: Zweifel an Grundrechts- und Verfassungskonformität

Bernd Christian Funk (Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Wien) bezog sich im Rahmen seiner Wortmeldung vor allem auf die anvisierten Änderungen im Sicherheitspolizeigesetz und gab zu bedenken, dass diese Regelungen Sicherheitsbehörden "große Bedienungsmöglichkeiten" am Pool der Vorratsdaten einräumen würden. Der in diesem Zusammenhang gegebene Verweis auf eine Zweckbindung falle dabei sehr allgemein aus. Faktisch eröffne man damit eine Ersatzschiene für einen Bereich, der sonst im Rahmen der Strafverfolgung streng gehandhabt werde. Dass dieses Vorgehen grundrechts- und verfassungskonform sei, ziehe er deshalb in Zweifel, meinte Funk. Für ihn stand auch fest, dass die Regierungsvorlage über die zwingenden Mindestvorgaben der Richtlinie hinausgehe. Die ausschließliche Verabschiedung der zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung erforderlichen Novelle zum Telekommunikationsgesetz (TKG) beurteilte er als problematisch, zumal, wie er sagte, die drei Gesetze als Gesamtpaket zu sehen seien.

Öhlböck: Bruch mit der rechtstaatlichen Tradition Österreichs

Rechtsanwalt Johannes Öhlböck hielt fest, dass man durch die Speicherung von Vorratsdaten gleich in mehrere Grundrechte schwerwiegend eingreife. Man dürfe die gegenständlichen Änderungen deshalb nicht "im Vorbeigehen" verabschieden, zumal sie einen "Bruch mit der rechtsstaatlichen Tradition Österreichs" darstellten. Die Richtlinie, die man damit umsetze, datiere aus dem Jahr 2005. Zwischenzeitlich sei es durch den Vertrag von Lissabon und das Inkrafttreten der Europäischen Grundrechtscharta aber zu einer Entwicklung gekommen, die mit den Vorgaben der Richtlinie nicht mehr im Einklang stehe, meinte Öhlböck. Dass im Falle des gegenständlichen Entwurfs weder ein Begutachtungsverfahren noch eine Enquete stattfand, sei eine "Schande", zumal die "Vorväter" 1848 auf den Barrikaden unter Einsatz ihres Lebens für jene Freiheitsrechte gekämpft hätten, die man nun einschränken wolle, kritisierte er. Dabei unterwerfe man alle BürgerInnen ungeachtet ihrer Position einem Grundrechtseingriff: Das betreffe Rechtsanwälte genauso wie den "Beichtvater". Bei der Vorratsdatenspeicherung handle es sich schließlich um eine Überwachung, bevor es einen Verdacht gibt. Allein schon hinsichtlich der Unschuldsvermutung bestehe ein Widerspruch zur Grundrechtscharta. Er spreche sich deshalb gegen die Regierungsvorlage aus und empfehle dies auch dem Hohen Haus, meinte Öhlböck.

Ratz: Kein Grundrechtsproblem gegeben

Eckhart Ratz, Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs, konnte sich dieser Argumentation nicht anschließen und rief dazu auf, "die Kirche im Dorf zu lassen". Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht habe bei der Umsetzung der Richtlinie, die es zweifellos vorzunehmen gelte, kein Problem gesehen. Man dürfe die Grundrechte auch nicht einseitig betrachten: Ohne effektive Strafverfolgung könne ihre Ausübung schließlich nicht gewährleistet werden. Die Vorratsdatenspeicherung sei jedenfalls kein "Freibrief" für die Staatsanwaltschaft, blieben doch die Staatsanwälte unter der vollen rechtsstaatlichen Kontrolle bis hinauf zum OGH, betonte Ratz mit Nachdruck. Strafbestimmungen und die Regelung betreffend Amtsmissbrauch würden vor missbräuchlicher Anwendung, so auch vor Eingriffen in Berufsgeheimnisse, schützen.

Zu berücksichtigen gelte es in der Diskussion außerdem die Definition "schwerer Straftaten", zu deren Aufklärung die Daten verwendet werden sollen: Hier könne man nicht vom innerstaatlichen Recht ausgehen, zeigte sich Ratz überzeugt.

Scheer: Österreich schießt über das Ziel hinaus

Rechtsanwalt Alexander Scheer bezeichnete die gegenständliche Regierungsvorlage als "reine Themenverfehlung", denn Österreich schieße damit weit über das durch die Richtlinie vorgegebene Ziel hinaus und opfere grundlegende Freiheitsrechte. In Gefahr sah er unter anderem das Rechtsanwalts- und Redaktionsgeheimnis. Im Punkt, dass die Definition "schwerer Straftaten" richtlinienkonform und nicht vor dem Hintergrund nationalstaatlicher Regelungen zu erfolgen habe, stimmte Scheer seinem Vorredner zu: Die Richtlinie ziele schließlich auf die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität ab, stellte er klar und hielt sämtliche Bestimmungen, die darüber hinausgehen, für problematisch. Dass man nun auch Kriminalpolizeibehörden bei Vorliegen eines konkreten Verdachts den Weg der Datenabfrage öffne, sei durchaus bedenklich. Über eine IP-Adresse wären schließlich sehr wohl Rückschlüsse auf Inhalte möglich: Man könnte damit nachvollziehen, wer was wem und zu welcher Zeit geschickt habe. Er rate vor diesem Hintergrund zur Erstellung einer Liste "schwerer Straftaten", zur Nicht-Verabschiedung der kritisierten Artikel des Sicherheitspolizeigesetzes und der Strafprozessordnung, zur Durchführung einer diesbezüglichen Enquete sowie zur Einholung von Gutachten. Er zeigte sich außerdem davon überzeugt, dass die Änderungen des TKG zur Umsetzung der Richtlinie ausreichten, zumal es in erster Linie darum gehe, die in Österreich bisher unerlaubte Sicherung der Daten zu legalisieren, meinte Scheer.

Tretter: Notwendiger Grundrechtsschutz ist nicht garantiert

Hannes Tretter (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte) erklärte, seine Institution sei vom BMVIT damit betraut worden, eine möglichst grundrechtssensible Variante der Vorratsdatenspeicherung auszuarbeiten. Davon könne beim gegenständlichen Entwurf nicht die Rede sein: Bei diesem wäre der notwendige Grundrechtsschutz keineswegs garantiert, zumal sein Inhalt weit über die Vorgaben der Richtlinie hinausgehe. Unter anderem der Mangel legistischer Transparenz, den diese Vorlage angesichts ihrer Unübersichtlichkeit und Zirkelverweise mit sich bringe, führe ihn so weit, von "Etikettenschwindel" zu sprechen. Zu kritisieren sei auch, dass dem Richtervorbehalt nur noch ein bescheidener Anwendungsbereich zukomme, meinte Tretter. Außerdem wäre eine umfassende Informationspflicht der Betroffenen einzumahnen: Den Rechtsschutzbeauftragten halte er für ein nicht ausreichend effizientes Rechtsschutzorgan.

Vor dem Hintergrund seiner Einwände plädierte Tretter daher für den Beschluss der TKG-Novelle, aber für ein Zuwarten im Falle des gegenständlichen Entwurfs. Für eine "überfallsartige Beschlussfassung" gebe es auch keinen Grund: Man könne also die in sechs Wochen von EU-Kommissarin Reding vorzulegenden Resultate der Evaluierung der Richtlinie abwarten. Angesichts der Tatsache, dass diese nur die Speicherung, nicht aber die Verwendung der Daten vorsehe, halte er die TKG-Novelle für ausreichend, um Österreich vor einem EU-Strafverfahren zu bewahren.

Scharfe Kritik der Opposition am Vorgehen von SPÖ und ÖVP

S-Mandatar Johann Maier äußerte sein Bedauern darüber, dass im Falle des gegenständlichen Entwurfs kein Begutachtungsverfahren stattgefunden habe. Als Vorsitzender des Österreichischen Datenschutzrates könne er ein solches Vorgehen nicht gutheißen, schloss Maier. Abgeordneter Otto Pendl (S) sah die Notwendigkeit, die Bestimmungen zu präzisieren und zu schärfen und trat wie sein Fraktionskollege Johannes Jarolim für weitere Verhandlungen über die Materie ein. Eine Abänderung der derzeitigen Vorlage müsse vorgenommen werden, zeigte sich der S-Justizsprecher ob der Stellungnahmen der Experten überzeugt. Die Oppositionsparteien, die an diesem Vorgehen massive Kritik übten, lud Jarolim ein, an Gesprächen über den Inhalt eines solchen Abänderungsantrags teilzunehmen – ein Vorgehen, das auch V-Mandatar Werner Amon begrüßte.

Abgeordneter Heribert Donnerbauer (V) wandte sich gegen eine weitere Aufschiebung der Beschlussfassung, die seiner Meinung nach die Gefahr von Defiziten bei der Strafverfolgung mit sich bringen könnte. Klar war für ihn dabei, dass es neben der TKG-Änderung auch einer Anpassung der StPO und des SPG bedürfe. Seine Fraktionskollegin Karin Hakl sah in der Vorratsdatenspeicherung eine Reaktion auf die Entwicklung der Kriminalität und warnte, Datenschutz dürfe nicht "Täterschutz" werden. Sie verwies außerdem auf den S-V-Abänderungsantrag zum gegenständlichen Entwurf, mit dem man Einschränkungen hinsichtlich des Datenabrufs im SPG festschreibe.

Abgeordneter Peter Westenthaler (B) sprach angesichts der von Seiten der SPÖ zum Ausdruck gebrachten Absicht, einem Gesetz zuzustimmen, das noch nicht ausgereift sei, um es im Plenum mittels Abänderungsantrag weiterzuentwickeln, von einer "Pervertierung des Parlamentarismus". Er kritisierte, die Ermittlungsmethoden der Vorratsdatenspeicherung würden die Menschen unter einen "Generalverdacht" stellen und sprach in diesem Zusammenhang von einem "Freibrief" für die Behörden, der auch Eingriffe in Berufsgeheimnisse der Ärzte und Rechtsanwälte sowie in das Redaktionsgeheimnis zulasse. Westenthaler wies zudem auf die Bedenken der Experten aus dem Hearing hin und trat dafür ein, bloß die TKG-Änderungen umzusetzen, die Bestimmungen betreffend StPO und SPG aber zurückzustellen. Gegen ein "Durchwinken" der sensiblen Regelungen wandte sich auch sein Fraktionskollege Herbert Scheibner (B). Es gelte vielmehr, eine Abwägung zwischen der Kriminalitätsbekämpfung einerseits und dem Schutz der Interessen Unbeteiligter andererseits vorzunehmen. Wenn man sich als ParlamentarierInnen noch ernstnehmen wolle, müsse man die Beratungen über den Entwurf in jedem Fall vertagen, schloss Scheibner.

Den Bruch der Geschäftsordnung, wegen dem Ausschussobmann Heribert Donnerbauer (V) G-Abgeordneter Daniela Musiol einen Ordnungsruf erteilt hatte, weil diese den nicht öffentlichen Teil der Sitzung mittels Videokamera festhielt und über das Internet live dokumentierte, hielt B-Mandatar Westenthaler für einen "Klacks" gegenüber dem Vorgehen der Regierungsparteien. Da man den Entwurf einfach "durchwinken" wolle, habe es sich schließlich um ein "Scheinhearing" gehandelt, empörte sich der Redner. Die Sozialdemokraten wären nun am Zug, ihrer Verpflichtung nachzukommen und dieses Gesetz "zu Fall zu bringen", meinte Westenthaler.

Abgeordneter Albert Steinhauser (G) lehnte den gegenständlichen Entwurf zur Umsetzung der Richtlinie mit dem Argument ab, hier handle es sich um eine präventive Überwachung, bei der rechtschaffene Bürger ins Visier genommen würden und die Gefahr des Missbrauchs bestehe. Er verglich die Vorratsdatenspeicherung mit einer Anweisung an die Post, zu überwachen, wer an wen in Österreich Briefe versendet. Steinhauser zweifelte nicht nur an der Grundrechtskonformität, sondern auch an der Effektivität und erinnerte, in Deutschland habe die Speicherung nichts an der Aufklärungsquote geändert. Was das zweifellos "schreckliche Delikt" der Kinderpornografie anbelange, dürfe es von Seiten des BMI nicht nur dann angesprochen werden, wenn es um die Vorratsspeicherung von Daten gehe.

Den Vorwurf der Nötigung, den man seiner Fraktion ob der Weiterführung der Filmaufnahmen vor dem Hintergrund der Nicht-Vertagung des Entwurfs gemacht habe, wollte Steinhauser in jedem Fall zurückgewiesen wissen. Die diesbezüglichen Wortmeldungen der V-Abgeordneten Karin Hakl und Werner Amon seien lediglich dazu angetan, G-Mandatare zu "kriminalisieren", schloss Steinhauser.

Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) gab zu bedenken, dass die Europäische Grundrechtscharta zeitlich nach der Richtlinie erlassen wurde und demnach Vorrang gegenüber dieser habe. Auch ortete er mögliche Widersprüche zwischen beiden Regelungen. Als unverhältnismäßige Maßnahme qualifizierte Abgeordneter Werner Herbert (F) die Vorratsdatenspeicherung, wobei er überdies Zugriffe europäischer Behörden auf österreichische Daten befürchtete. Den Versuch der Grünen Fraktion, mittels Videoaufzeichnung Einfluss auf das Abstimmungsverhalten zu nehmen, bewertete sein Fraktionskollege Walter Rosenkranz als "untauglich".

Bandion-Ortner: "Künstliche Überhöhung" der Debatte

Justizministerin Claudia Bandion-Ortner wollte die Diskussion um den gegenständlichen Entwurf versachlicht wissen. Bereits heute würden zu Verrechnungszwecken Verbindungsdaten gespeichert, auf die die Justiz bei Vorliegen eines Rufdatenrückerfassungsbeschlusses Zugriff habe. Die so ermittelten Daten wären unter anderem für die Aufklärung von Einbruchsfällen und Internetbetrügereien von großer Bedeutung, meinte die Justizministerin. Was man zuvor lautstark gefordert habe, um Kinderpornografie den Kampf anzusagen, nämlich der Zugriff auf IP-Adressen, werde nun möglich.

Datenschutz sei zweifellos ein wesentliches Grundrecht, doch müsse man im Sinne des staatlichen Schutzauftrags auch Abwägungen vornehmen, meinte Bandion-Ortner. Die Polizei brauche schließlich moderne Instrumente, um mit den Kriminellen, die sie verfolge, "Schritt halten" zu können. Der Rechtsschutz werde mit gegenständlichem Entwurf außerdem erhöht. Wäre die Umsetzung grundrechtswidrig, hätte der Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs, der zweifelsfrei der "Hüter der Grundrechte" sei, heute gegen sie votiert, schloss die Justizministerin.

Fekter: Datenschutz darf nicht zum "Täterschutz" werden

Innenministerin Maria Theresia Fekter verwehrte sich gegen den Vorwurf, dass es kein Begutachtungsverfahren gegeben habe. Der vom Infrastrukturministerium vorgelegte Entwurf sei sehr wohl zur Begutachtung versandt worden, doch wäre er auf massive Kritik gestoßen, da er die Rücknahme von bereits im SPG verankerten Befugnissen bedeutet hätte. Man habe sich daher entschieden, die Materie auf drei Gesetzesvorlagen aufzuteilen, wovon zwei heute zur Abstimmung stünden.

Ohne den Rückgriff auf IP-Adressen könne man keine wirksame Bekämpfung der Kinderpornografie erzielen, meinte Fekter: Stelle man im Rahmen des Entwurfs lediglich auf Terrorismusbekämpfung ab, wie von manchen Experten empfohlen, habe man zur Verfolgung dieser Täter schlichtweg keine Handhabe. Sie spreche sich deshalb klar gegen ein "Zurückschrauben" von Ermittlungsbefugnissen aus: Datenschutz dürfe schließlich nicht zum "Täterschutz" werden.

Die Novelle zum TKG zu verabschieden, jene zum SPG aber nicht, bedeute, dass der Polizei kein Datenzugriff mehr möglich sein werde: auch nicht in jenem Umfang, wie er heute bereits offenstehe. Den Vorwurf der "präventiven Bespitzelung" wolle sie, so Fekter, zurückgewiesen wissen: Gehe es auf einem anderen kriminalistischen Weg, verzichte man schließlich auf den Datenzugriff. (Fortsetzung Justizausschuss)