Parlamentskorrespondenz Nr. 614 vom 28.06.2006

Gemeinsame Obsorge beider Eltern: hohe Akzeptanz, positive Wirkungen

Wien (PK) – Es gebe Fälle und werde auch in Zukunft Fälle geben, in denen die alleinige Obsorge eines Elternteils sinnvoll ist; insgesamt aber sei die gemeinsame Obsorge beider Eltern das günstigere Modell. Dies wegen seiner günstigen Auswirkungen auf das Familienklima, auf die Zufriedenheit von Müttern und Vätern und auf die Sicherung und Ausgestaltung der Beziehung zwischen den Kindern und den getrennt lebenden Eltern. "Insofern sind die hohe Akzeptanz und das hohe Ausmaß des Vorkommens der Obsorge beider Eltern erfreulich." Zu diesem Ergebnis kommt der Bericht der Bundesministerin für Justiz betreffend Auswirkungen der Neuregelung des Kindschaftsrechts bzw. die wissenschaftliche Evaluationsstudie, die jetzt dem Nationalrat vorliegen (III-221 d.B.) "Allerdings weist das Ergebnis, das die Obsorge beider Eltern in etwas über der Hälfte der Fälle über die Scheidung hinaus beibehalten wird, darauf hin, dass ein bedeutender Teil von Kindern nicht von dieser Obsorgeform profitiert", heißt es in der Studie weiter.

Dem entsprechend werden abschließend einzelne weitere Maßnahmen vorgeschlagen: Information der Eltern (vorzugsweise in enger Koppelung mit dem gerichtlichen Akt der Scheidung) sowie der mit der Thematik befassten Berufsgruppen, eine Ausweitung des Beratungsangebots für von Scheidung betroffene Familien, die Ausweitung der Besuchsbegleitung, eine weitere Stärkung der Kinderrechte, eine bessere personelle Ausstattung der Gerichte zur Verkürzung der Verfahrensdauer sowie schließlich eine Fortführung der wissenschaftlichen Begleituntersuchung, um die längerfristigen Auswirkungen beurteilen zu können.

Ziel der Evaluationsstudie war es, "die Anwendung der mit dem Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001 neu geschaffenen und am 1. 7. 2001 in Kraft getretenen Bestimmungen, insbesondere... über die Obsorge beider Eltern, wissenschaftlich zu beforschen und deren Auswirkungen zu studieren". Im Mittelpunkt des entsprechenden Auftrags des Justizministeriums stand "die umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Verteilung der Obsorge für minderjährige Kinder bei Trennung der Eltern", wobei betroffene Eltern und Kinder, aber auch die damit befassten Berufsgruppen (Richter, Jugendwohlfahrt, FamilienberaterInnen, RechtsanwältInnen, NotarInnen, GerichtsgutachterInnen, PsychotherapeutInnen, MediatorInnen) in den Blick genommen werden sollten. Die Autorinnen und Autoren der Studie rekrutierten sich aus der Arbeitsgemeinschaft psychoanalytische Pädagogik (Eltern-Kind-Untersuchung) sowie aus dem Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung und dem Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (Berufsgruppen-Untersuchung). Der von Helmuth Figdor und Judit Barth-Richtarz endredigierte Bericht umfasst 319 Seiten. Begleitet wurde die Erstellung des Berichts – von der Erarbeitung der Fragestellungen bis zur Diskussion der wichtigsten Ergebnisse - von einem Beirat, in dem das Justiz- und das Sozialressort sowie betroffene Berufsgruppen vertreten waren. Methodisch wurden Erhebungen mittels Fragebögen, Tiefeninterviews mit Eltern und qualitative Untersuchungen bei Kindern und qualitative Interviews mit RichterInnen eingesetzt; zudem wurden eingegangene Stellungnahmen von Kinder- und Jugendanwaltschaften und Frauenhäusern ausgewertet.

Ausgehend von analogen – wenn auch zu Österreich recht unterschiedlichen – Regelungen in Deutschland und der österreichischen Rechtslage wurden von den AutorInnen der Studie sowohl im Teil über Eltern und Kinder als auch im Teil über die betroffenen Berufsgruppen zunächst Hypothesen gebildet. Diese Hypothesen wurden dann anhand der Ergebnisse überprüft und, wenn dies möglich war, verifiziert bzw. falsifiziert.

Einzelne Ergebnisse der Untersuchung: Die Akzeptanz des Modells

So gingen die AutorInnen von der Annahme aus, dass der Anteil der gemeinsamen Obsorge gegenüber der alleinigen Obsorge eines Elternteils eher gering sein werde. "Zu unserer großen Überraschung ist diese Hypothese zweifelsfrei widerlegt worden", heißt es dazu in der Studie. So hat die Befragung betroffener Eltern ergeben, dass in mehr als der Hälfte der Fälle gemeinsame Obsorge vereinbart wurde (gegenüber gut 38 %, in denen die Mutter und 3,5 % in denen der Vater die Obsorge zugesprochen wurde).

Auch die Annahme, dass sich mit dem Modell der gemeinsamen Obsorge nur wenige Eltern würden identifizieren können, wurde durch die erhobenen Daten widerlegt. Fast 70 % der befragten Eltern halten von der gemeinsamen Obsorge "sehr viel", rund 9 % gar nichts – womit die Befragung der Eltern eine andere Einstellung der Betroffenen an den Tag brachte als es den Erwartungen der betroffenen Berufsgruppen entsprochen hätte; in Summe hatten die VertreterInnen der Richterschaft und der anderen einschlägigen Berufe nur bei rund 6 % mit hoher Erwartung gerechnet.

Durch die erhobenen Daten widerlegt wurde auch die Hypothese, gemeinsame Obsorge würde hauptsächlich von Eltern gewählt, deren Scheidung relativ konfliktarm verlief. Daher kommt die Studie in diesem Punkt zu dem Ergebnis, die gemeinsame Obsorge sei "sogar auch ein Modell, das von so genannten Hochkonfliktfamilien angenommen wird".

Widerlegt wurden auch die Annahmen, dass die Initiative zur gemeinsamen Obsorge in erster Linie von den Vätern ausgehen werde und dass von den Vätern (vor allem finanzieller) Druck ausgeübt werden würde. Teilweise bestätigt hat sich durch die Daten die Annahme, dass die Bereitschaft zur gemeinsamen Obsorge von Trennungs- bzw. Scheidungserleben der Eltern abhängig ist. Alter, Bildungsstand, Beruf und Einkommenssituation haben, wie aus den Daten der Untersuchung hervorgeht, auf die Entscheidung für die gemeinsame Obsorge keinen wesentlichen Einfluss. Deutlich mehr als die Hälfte (knapp 57 %) der befragen Eltern gaben an, dass sie die gemeinsame Obsorge wollten; als wichtigste Gründe wurden die Verantwortung beider Eltern, das Wohl des Kindes/der Kinder und die ähnliche Situation bei aufrechter Ehe angegeben.

Einzelne Ergebnisse der Untersuchung: Die Auswirkungen des Modells

Sowohl die betroffenen Eltern als auch die befassten Berufsgruppen sehen durch die gemeinsame Obsorge eine Entspannung des Beziehungsklimas: "Die Obsorge beider Eltern scheint eher zu einer Beruhigung der elterlichen Konflikte beizutragen", formulieren die AutorInnen der Studie vorsichtig. Auch die Erwartung, die gemeinsame Obsorge würde zu einer Mehrbelastung der Beteiligten führen, wurde nicht bestätigt, im Gegenteil: "Hauptbetreuende Eltern mit der Obsorge beider Eltern erleben die Verständigung und Zusammenarbeit mit dem anderen Elternteil im Vergleich zu den alleinobsorgeberechtigten Elternteilen signifikant häufiger als gut oder sehr gut". In Summe zeigte sich eine sehr hohe Zufriedenheit der Eltern mit der gemeinsamen Obsorge, die auch positive Auswirkungen auf das Ausmaß des Besuchsrechts hat. Darüber hinaus führt die gemeinsame Obsorge nicht nur zu einer quantitativen Verbesserung, sondern auch zu einer qualitativen: die (in der Regel)
Väter übernehmen mehr elterliche Verantwortung.

Diese quantitative und qualitative Verbesserung hat auch Einfluss auf die Zahlungsmoral des unterhaltspflichtigen Elternteils, weil die Höhe des Unterhalts eher als angemessen erfahren werden kann. Das Ergebnis einer vergleichbaren Untersuchung in Deutschland, wonach die Zahl der Kontaktabbrüche in der Folge der gemeinsamen Obsorge drastisch gesunken sind, konnte in Österreich eindrucksvoll bestätigt werden, wird in der Studie festgestellt. (Schluss)