Architektur

Das Hohe Haus von Kaisers Gnaden

Kaiser Franz Joseph gab 1857 den Bereich der zu schleifenden Stadtbefestigungen Wiens und ihres unverbaut gebliebenen Vorfeldes, des Glacis, für repräsentative Verbauung frei. Dadurch verlieh er der Wiener Stadtentwicklung einen entscheidenden Impuls. Einzig das Josefstädter Glacis blieb davon zunächst ausgenommen. Hier befand sich seit dem 18. Jahrhundert ein militärisches Übungsgelände.

Der Platz diente seit Anfang des 19.Jahrhunderts auch als Paradeplatz und durfte weder von Fahrstraßen durchquert noch begrünt werden. Entsprechend unbeliebt war er bei der Wiener Bevölkerung: Bei Trockenheit war die hohe Staubentwicklung ein Ärgernis für die Bewohner:innen, bei Niederschlag verwandelte sich der Untergrund in ein Schlammbad. Erst ab 1863 wurden Grasflächen und Feldwege angelegt.

Mit Stadtplanung zum Erfolg

Der Wiener Bürgermeister Cajetan Felder setzte der untragbaren Situation schließlich – nicht ganz uneigennützig – ein Ende. Da er in der Josefstadt wohnte und den Platz auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz in der Inneren Stadt täglich überqueren musste, zählte er selbst zu den Leidtragenden.

Auf seinen Vorschlag hin wurde für das Militär ein Ersatzplatz auf der Schmelz gefunden. Der Kaiser genehmigte daraufhin die Errichtung dreier zentraler öffentlicher Bauten auf dem Paradeplatz: Reichsratsgebäude, Rathaus und Universität.

Ursprünglich war geplant, sowohl für das Abgeordnetenhaus als auch für das Herrenhaus des Reichsrates jeweils ein Gebäude zu errichten. Aus Kostengründen entschied man sich letztendlich für ein einziges Bauwerk. Den Auftrag für die Planung erhielt der dänische Architekt Theophil Hansen im Jahre 1869.

Ein Architekt und Visionär

Theophil Hansen wurde am 13. Juli 1813 in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen geboren. Dort studierte er Architektur an der Königlichen Kunst­akademie. Nach Abschluss seines Studiums unternahm er viele Studien­reisen, die ihn unter anderem von Berlin über Innsbruck, Trient und Verona bis nach Venedig führten.

Den griechischen bzw. hellenistischen Baustil verdankt das Parlaments­­gebäude Hansens mehrjährigem Aufenthalt in Athen. Dort wirkte er an der Neugestaltung der Stadt mit – unter anderem bei Rekonstruktionen auf der Akropolis sowie dem Neubau der Athener Universität.

1846 übersiedelte Theophil Hansen nach Wien, wo er im Atelier des Architekten Ludwig Förster arbeitete. Das erste Bauwerk, das Hansen in Wien plante und errichtete, war das Arsenal. Auch das Gebäude des Musikvereins, die Akademie der bildenden Künste und die neue Börse stammen von ihm. Er prägte das Jahr­hundert­projekt Ringstraße, das Wien zu einer modernen Metropole machte, wesentlich mit.

Theophil Hansens Meisterstück

Das Parlamentsgebäude betrachtete Theophil Hansen als sein Lebenswerk. Neben dem Entwurf für das Gebäude konzipierte er die gesamte Ausstattung bis hin zu den Möbeln – mit dem Ziel einer harmonischen Abstimmung auch noch der kleinsten Details.

Hansen unterrichtete auch an der Akademie der bildenden Künste und wurde 1868 zum Oberbaurat ernannt. 1866 erhielt er die österreichische Staatsbürgerschaft und 1883 zeichnete man ihn in Wien mit der Ehrenbürgerschaft aus. Nahezu erblindet und nach längerem Leiden verstarb Hansen hoch geehrt im Alter von 77 Jahren am 17. Februar 1891 in Wien.

Das Reichsratsgebäude

Die Grundsteinlegung für das Reichsratsgebäude, das nunmehrige Parlaments­­gebäude, erfolgte im September 1874, der Rohbau war im August 1879 fertig. Bis zur ersten Sitzung des Abgeordnetenhauses im neuen Reichsrats­­gebäude dauerte es noch bis zum Dezember 1883. Ein Jahr später folgte die erste Sitzung des Herrenhauses.

Die Errichtung des Gebäudes wurde in der Öffentlichkeit intensiv diskutiert. Hansen, der zu Eigenmächtigkeiten neigte, und das Baukomitee waren sich vor allem über die Rampe, die – schlussendlich nicht umgesetzte – vielfarbige Gestaltung der Fassaden sowie die Brunnenanlage uneinig.

Die reine Bauzeit des Parlamentsgebäudes betrug ein Jahrzehnt, drei weitere Jahrzehnte dauerte die endgültige Ausgestaltung. So wurde der Athenebrunnen erst 1902, das 121 Meter lange Friesgemälde in der Säulenhalle sogar erst 1911 fertiggestellt. Hansen selbst überwachte alle Arbeiten von seinem Atelier im Herrenhaustrakt aus noch bis zu seinem Tod im Jahre 1891.

Ein Bau im Dienste der Demokratie

Hansen verbaute in seinem Meisterstück zahlreiche Anspielungen und Verweise auf die gelebte Demokratie. Bauformen und Symbolik entnahm er der Formensprache der griechischen Antike, um dem Ursprung der Demokratie Rechnung zu tragen.

Durch die Verwendung von Materialien aus den Kronländern der Monarchie versinnbildlichte er das Zusammenwirken aller Kräfte im Reichsrat.

Dank seiner weitsichtigen Konzeption, Planung und Ausführung schuf Hansen ein Monument und Wahrzeichen für die österreichische Demokratie.

Großen Wert legte Hansen darauf, das Äußere und das Innere des Parlamentsgebäudes aufeinander abzustimmen. Er entwarf die malerischen und plastischen Ausstattungen selbst und nahm großen Einfluss auf deren Umsetzung.

  • Der plastische Schmuck an der Fassade und im Inneren verdeutlicht das Zusammenspiel der Gewalten und die Grundideen der Demokratie.
  • Der Athenebrunnen vor dem Parlamentsgebäude verweist auf die Gewaltentrennung als ein Grundprinzip des modernen Rechtsstaates.
  • Pallas Athene in der Mitte des Brunnens verkörpert die Staatsweisheit. Neben ihr sitzen zwei allegorische Figuren, die "Gesetzgebung" mit einer Gesetzestafel und der "Vollzug der Gesetze" mit Richtschwert und Waage.
  • Ein Glasmosaikfries von Eduard Lebiedzki über dem Haupteingang des Parlamentsgebäudes greift das Motiv der Gewaltentrennung erneut auf. Auf der linken Seite ist eine Frauengestalt, die das Buch der geschriebenen Gesetze in ihren Händen hält, auf der rechten Seite Justitia und im Zentrum des Frieses ist Austria, der die Kronländer und die Stände (Handel, Verkehr, Ackerbau und Viehzucht) huldigen, dargestellt.
  • Ein weiterer Gemäldefries von Eduard Lebiedzki ist in der Säulenhalle zu bewundern. Er wurde im Zweiten Weltkrieg irreparabel beschädigt und ist heute nur noch in Fragmenten erhalten. Die allegorischen Darstellungen weisen auf die "vorzüglichsten Ideale und volkswirtschaftlichen Aufgaben des Parlaments" hin.
  • Auf den Giebeln der Gebäudeflanken wird auf die Verwaltung und die Justiz hingewiesen.
  • Am Fuße der Rampe, die zum Parlament führt, stehen die Rossebändiger. Die Bronzeskulpturen der Männer, die Pferde zähmen, stellen einen Appell an die Parlamentarier:innen dar, ihre politische Leidenschaft zu zügeln.
  • Die Abbildungen griechischer und römischer Geschichtsschreiber auf der Rampe mahnen die Verantwortung jedes politischen Handelns vor der Geschichte ein.

Wiederaufbau nach dem Krieg

In den Kämpfen des Zweiten Weltkrieges wurde das Parlamentsgebäude stark in Mitleidenschaft gezogen. Insgesamt wurde circa die Hälfte der Bausubstanz durch Feuer und Bomben vernichtet, vieles schwer beschädigt.

Eine Sanierung war unumgänglich, aber bis zum Abschluss des Wiederaufbaus sollten noch einige Jahre vergehen.

Das Ausmaß der Zerstörung

Am 7. Februar 1945 erlitt die Säulenhalle durch einen Bombentreffer schwere Schäden. Zwei Säulen wurden komplett zerstört, andere architektonische Besonderheiten – darunter die Randdeckenkonstruktion mit reich vergoldeter Kassettendecke und ein prachtvolles Friesgemälde, die später so gut wie möglich restauriert wurden – schwer beschädigt.

Der Sitzungssaal des Herrenhauses (Sitzungssaal des Nationalrats) war total ausgebrannt. Die Marmorplastiken von griechischen Philosophen und Schrift­­stellern und der reiche Schmuck des Saales konnten nicht wiederhergestellt werden.

Stattdessen sollte der frühere Herrenhaussitzungssaal sachlich, vornehm und vor allem zweckmäßig neu ausgestattet werden. Die Architekten Max Fellerer und Eugen Wörle erhielten bei der Restaurierung den Auftrag, Theophil Hansens Werk nach Möglichkeit in seiner Wirkung fortzuführen und gleichzeitig an die veränderten Bedürfnisse eines modernen Parlaments anzupassen.

Das Prinzip der Autarkie

Die mit dem Wiederaufbau des Parlamentsgebäudes (1945–­­1956) beauftragten Architekten achteten darauf, die bereits von Hansen angestrebte technische Eigenständigkeit weiter auszubauen. Die Versorgung der Volksvertreter:innen sollte durch das Prinzip der Autarkie (Selbstversorgung) auch in Krisen- und Kriegszeiten gewährleistet sein.

Für diesen Zweck wurde von Anfang an eine umfangreiche Infrastruktur als Teil des Gebäudes eingeplant. Das Parlament verfügte deshalb über eigene Wäscherei, Tischlerei und andere Werkstätten sowie entsprechende Personalressourcen.

Zum Weiterlesen

Parlamentsdirektion der Republik Österreich (Hg.) (2023): Das österreichische Parlamentsgebäude. Facetten einer Erinnerung. Zürich: Park Books.

Boeckl, Matthias (2014): Antike und Moderne. Theophil Hansens Wiener Parlamentsbau. In: Minta, Anna und Bernd Nicolai (Hg.): Parlamentarische Repräsentationen. Bern: Lange.

Domanig-Pogoreutz, Andrea (2004): Der Fries von Eduard Lebiedzki in der Säulenhalle des Wiener Parlaments. Wien: [Selbstverl.]

Gschwentner, Sabine (2006): Das Wiener Parlament und sein historischer Sitzungssaal: ein Gesamtkunstwerk der Ringstraßenzeit. Innsbruck, Univ., Dipl.-Arb. 

Haiko, Peter (1996): Das Wiener Parlament. eine ideale Architektur zur Verwirklichung historistischer Idealvorstellungen. In: Parnass, Sonderheft 12/96: 38-43 

Halatsch, Peter David und Günther Schefbeck (1997): Eduard Lebiedzki - Der verschollene Maler des Wiener Parlaments; Theophil Hansen, das Wiener Parlamentsgebäude und der Lebiedzki-Fries. [Ausstellung] Lilienthal: Langenbruch.

Höhle, Eva-Maria (1995): Der Gemäldefries in der Säulenhalle des Parlaments in Wien: Geschichte und Wiederherstellung des Gemäldezyklus. Wien: Schroll.

Pittler, Andreas und Hermann Schnell (2013): Der Baumeister des Parlaments: Theophil Hansen (1813 - 1891) ; sein Leben - seine Zeit - sein Werk. Schleinbach: Winkler-Hermaden.

Parlamentsdirektion – Projekt Sanierung Parlament (Hg.) (2018): Demokratie braucht Raum: Sanierung, Erneuerung und funktionale Optimierung des österreichischen Parlamentsgebäudes. Wien: Edition Ausblick.

Parlamentsdirektion – Projekt Sanierung Parlament (Hg.) (2020): Zwischenzeit. Das österreichische Parlament im Ausweichquartier in der Hofburg. Wien: Edition Einblick.

Parlamentsdirektion - Projekt Sanierung Parlament, Universität für angewandte Kunst Wien und Pascal Petignat (Hg.) (2020): Temporäre Unordnung: 782 Abbildungen aus dem Parlamentsgebäude im Leerstand. Berlin: De Gruyter.

Parlamentsdirektion (Hg.) (2002): Bausteine des Hauses der Gesetzgebung: ein Streifzug durch die Vielfalt der im historischen Parlamentsgebäude verwendeten Materialien. Wien.